2018 – das Jahr der homophoben Frauen
Am Ende des Jahres schaue ich mir die meistgeklickten Beiträge an. Meist sind es Texte über Ereignisse, die das Jahr bestimmt haben. 2016 war das der Anschlag von Orlando, 2017 die Einführung der Ehe für alle in Deutschland. 2018 hat es ein solches übergreifendes Thema nicht gegeben. Nicht einzelne Entscheidungen oder Vorkommnisse haben die Community geprägt, zumindest, wenn man schaut, wie diese auf die entsprechenden Beiträge hier im Blog reagiert hat. Und trotzdem gibt es eine Auffälligkeit: 2018 ist, zumindest hier in diesem Blog, das Jahr der homophoben Frauen:
Der mit Abstand am meisten gelesene und geteilte Blogbeitrag widmet sich der damaligen Kandidatin für den CDU-Vorsitz und jetzigen Parteichefin ( „Das politische Kalkül der Annegret Kramp-Karrenbauer verdient unsere tiefe Verachtung“ – 11. November), was sich mit der Abstimmung von „Enough is Enough“ deckt, in der „AKK trotz“ starker Konkurrenz mit deutlicher Mehrheit zur „Miss Homophobia 2018“ gewählt wurde. Übrigens hat die Nollendorfblog-Kritk an der CDU-Politikerin aus dem letzen Jahr („Ehe für alle: Der völkische Wahn der Annegret Kramp-Karrenbauer“) in diesem Jahr eine breite Würdigung in der Karrenbauer-Biografie „Die Macht ist weiblich“ (Manfred Otzelsberger, Oktober 2018, riva-Verlag) erfahren. Mein AKK-Fazit damals: „In ihr steckt völkisches Gedankengut, hinter ihr steht ein Gesellschafts- und Menschenbild, das den Fortbestand dieser Gesellschaft an eine normative Idee knüpft und gleichzeitig eine Minderheit und deren Gleichwertigkeit als Gefahr für den Fortbestand dieser Gesellschaft definiert. Gesellschaft funktioniert so natürlich nicht und hat nie so funktioniert.“ 2018 muss man sagen: Dem ist wohl leider wirklich so. Und noch schlimmer: Damit lassen sich Wahlen gewinnen.
Der am zweithäufigsten gelesene Artikel widmet sich der AfD-Bundestagsabgeordneten Nicole Höchst: „AfD-Kandidatin für Hirschfeld-Kuratorium: Studien belegen, dass es unter homosexuellen Männern mehr Pädophile gibt“ . Das Nollendorfblog hatte damals als erstes Medium auf die Pädophilen-Äußerungen der frisch gebackenen Kandidatin für die Hirschfeld-Stiftung aufmerksam gemacht. Der 28. Januar, also der Tag, an dem der Blogbeitrag erschien ist, ist auch gleichzeitig der mit der größten Tagesreichweite des ganzen Jahres. Ein deutliches Indiz für die größe der Wut innerhalb der Community auf auf die Schauermärchen von Höchst und ihrer Partei. Wie dreist ihre zentrale Lüge ist („Studien belegen, dass es unter homosexuellen Männern mehr Pädophile gibt.“) zeigt sich auch daran, dass ich noch heute auf die mir zugesagte Antwort ihres Büros warte, auf welche Studien sich Frau Höchst hier beziehen möchte. Es gilt wohl, was ich im Februar dazu geschrieben hatte: „Frau Höchst hat möglicherweise nicht nur ein gestörtes Verhältnis zu Homosexuellen, sondern auch zur Wahrheit. Wahrscheinlich prädestiniert sie das besonders für eine Funktion als Sprachrohr der AfD im Kuratorium der Magnus Hirschfeld Stiftung.“ Gut, dass Höchst im Dezember beim zweiten Anlauf keine Mehrheit im Bundestag erreichen konnte.
Um den dritten Platz hat sich Sahra Wagenknecht verdient gemacht: „Wie Sahra Wagenknecht Lesben und Schwule für dumm verkaufen will“ (27. Juni). Nachdem ich im Vorjahr noch fast ausnahmlos Prügel für meine damalige Kritik an der LINKEN-Politikerin erhalten habe, scheint sich in diesem Jahr ein Gr0ßteil der Community darüber einig zu sein, dass sich die Homophobie-Vorwürfe bestätigt haben. Auch innerhalb der Partei werden diese mittlerweile offen ausgesprochen, etwa vom Berliner Kultursenator Klaus Lederer in der Siegessäule: „Die Kritik, die beispielsweise Johannes Kram geäußert hat, teile ich sehr wohl. Es handelt sich hier um die ’schrecklich nette Homophobie‘, die nicht offen homophob daherkommt, aber die letztlich an existierende homophobe Ressentiments gegenüber queeren Menschen andockt.“ Auf queer.de belegte Wagenknecht sogar den ersten Platz: Kein Artikel wurde auf Deutschlands größter queeren Nachrichtenseite öfter gelesen als „Sahra Wagenknecht schürt Homophobie„.
Auch wenn es ein ungerechter Zufall sein mag, dass Kramp-Karrenbauer, Höchst und Wagenknecht hier in einem Zusammenhang genannt werden, auch wenn man natürlich hinzufügen muss, dass die Homophobie von Höchst ungleich brutaler als die der Kramp-Karrenbauer ist (und die der Kramp-Karrenabuer ungleich brutaler als die von Sahra Wagenknecht), so bilden die homophoben Attacken dieser drei Frauen doch ziemlich genau die Bedrohungslage ab, der sich die deutsche Community in diesem Jahr aus der Politik erwehren musste: Es ist eine komplexe und undurchsichtige Gemengelage bestehend aus offener, lügenbasierter Feinseeligkeit (Nicole Höchst), christlich-fundamentalistischer Untergangsrethorik (Kramp-Karrenbauer) sowie einer sich immer offener zeigender vermeintlich linken Logik, nach der das vermeintliche Dauer-Kümmern linker Parteien um queere Themen irgendwie dazu beigtragen haben soll, dass andere wichtige gesellschaftliche Themen liegengeblieben sind (Wagenknecht).
Beängstigend ist, dass sich die drei Frauen in aller Unterschiedlichkeit in einem einig sind: Dass es zu viel, und nicht etwa zu wenig queere Politik gegeben hat. Der Eindruck, den alle drei damit suggerieren, stellt unsere Herausforderung für das nächste Jahr dar, zeigt das, was wir 2019 bekämpfen müssen: Die Mär, nach welcher LGBTI irgendjemandem in dieser Gesellschaft etwas weggenommen hätten. Dass es dafür, dass es vielen von uns nun besser geht, nun anderen schlechter geht.
Uns muss klar sein: 2018 ist das Jahr, in dem sich dieses Land mit einer neuen Frau für das Amt der Bundeskanzlerin angefreundet hat. Dass diese Frau in diesem Jahr so weit gekommen ist, war nicht trotz, sondern wegen ihrer gezielten Homophobie möglich. 2018, das erste ganze Jahr, in dem Homosexuelle in Deutschland heiraten durften, ist auch das Jahr, in dem Homophobie wie selten vorher an vorderster Stelle große Politik gemacht hat. 2019 heißt daher vor allem: Weiterkämpfen! ♦
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