Am Ende des Jahres erlebt Berlins Community eine Einigkeit, wie sie das ganze Jahr nicht möglich schien. Und das ausgerechnet bei einer Gaybar.
Der „Hafen“ soll schließen. Ich finde das unfassbar traurig, denn auch ohne dort regelmäßig Gast gewesen zu sein: Der Hafen ist eine Institution des schwulen Berlin und ein Ort queerer Sichtbarkeit und Leichtigkeit. Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann dass eine Lösung gefunden wird und diese Schließung abgewendet werden kann. Berlin braucht diese Orte!
ließ Klaus Lederer höchstselbst, immerhin Berliner Bürgermeister und Kultursenator, auf Facebook wissen.
Sven Lehmann aus Köln, als queerpolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion dort eher für die größeren politischen Fragen zusändig, fordert:
Berlin ohne den #Hafen ist wie Köln ohne das Corner: unvorstellbar! Der Hafen muss bleiben!
Sogar einen Hashtag #LesbenfuerSchwule gibt es nun gegen die drohende Hafen-Schließung, der von prominenten Communityfrauen wie Stephanie Kuhnen und Annet Audehm promotet wird. Fast alle Berliner Zeitungen und der rbb haben über das drohende aus berichtet. Mehr als beachtlich auch, dass sich die queerpolitischen Sprecherinnen und Sprecher aller Berliner Koalitionsparteien (Melanie Kühnemann-Grunow, SPD, Carsten Schatz, DIE LINKE, und Anja Kofbinger und Sebastian Walter, Bündnis 90/Die Grünen) für den Hafen auf einen gemeinsamen Appell verständigt haben:
„Nach Clubsterben und der immer stärkeren Verdrängung von Mieterinnen und Mietern aus der Innenstadt trifft es jetzt auch den Regenbogenkiez. Dadurch wird Berlin ärmer. Wir fordern den Vermieter auf, eine Verlängerung des Mietvertrages zu ermöglichen und dem Hafen eine Zukunft zu eröffnen. Kneipen, die auch als Treffpunkte und Orte der Kommunikation dienen, gehören ebenso in den Kiez wie sexpositive Clubs.“
Und selbst aus der Union wird Rot-Rot-Grün für solcherlei Einfussnahme in privatwirtschaftliche Abläufe ausnahmsweise mal nicht verpügelt. Im Gegenteil. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Jan-Marco Luczak schreibt:
Der #Regenbogenkiez rund um den Nollendorfplatz ist ein Besuchermagnet für Menschen aus Deutschland, Europa und der ganzen Welt. Dazu haben ihn auch die Clubs, Bars und Kneipen gemacht. Der #Hafen ist seit 28 Jahren eine Institution – daher muss er als Teil dieses lebens- und liebenswerten Kiezes erhalten bleiben!
Warum löst ausgerechnet der Hafen diese Welle der Solidarität aus? Und was kann, was sollte diese erreichen?
Unzählige Schwulenkneipen haben in den letzten zehn Jahren in Deutschland dichtgemacht. Viele von ihnen hatten in ihrer Region eine ähnliche Funktion wie der „Hafen“ in Berlin, der im Januar 2019 nach 28 Jahren in der Motzstraße im Nollendorfkiez schließen soll: Sie waren Schutz- und Kulturraum; für die Identifikation der jeweiligen Szene spielten sie eine zentrale Rolle. Auch die Gründe der Schließungen ähnelten sich meist. Viele hatten sich ganz einfach „überlebt“. Die Szene hatte sich verändert, da konnten oder wollten viele Betreiber nicht mithalten. Eine offenere Gesellschaft, die weniger Rückzugsorte verlangt, eine sich wandelnde, „inklusivere“ Bar- und Clubkultur, vor allem aber das Internet als alternativer Flirt- und Kennenlernort zwangen viele Bars und Clubs in die Knie. Hinzu kam, dass viele Lagen für Nischenkonzepte nicht mehr bezahlbar waren. Vielen Schwulenkneipen ging es da nicht anders als anderen liebgewonnen Laden und Lädchen: Sie wurden weggentrifiziert.
Auch die Betreiber des Hafens sprechen von „Gentrifizierung“ als Grund für die ungewollte drohende Schließung. Doch die Lage scheint etwas komplizierter. Erstens hat es der Hafen offensichtlich besser es als die allermeisten Homobars geschafft, sich auch in veränderten Zeiten zu behaupten. Er hat als lebendiger Klassiker überlebt, nichts wirkt hier verstaubt. Er ist, zumindest am Wochenende rappelvoll, ist allem Anschein nach wirtschaftlich nicht bedroht; die Betreiber wollen und könnten sich leisten, weiterzumachen. Und zweitens hatten sich Vermieter und der Hafen bereits auf einen neuen Mitvertrag geeinigt. Das Verhältnis, so betonen es die Betreiber, sei immer gut gewesen, der Vermieter habe bin noch vor wenigen Monaten die Absicht betont, am langjährigen unbelastenden Geschäftsverhätnis festzuhalten. Der Vermieter hat auch ganz offesichtlich nicht die Absicht die Gelegenheit einer Neuvermietung zu nutzen, um die Schwulen aus dem Haus zu bekommen: In Berlin geht das Gerücht, dass auch die neuen Betreiber aus der Szene kommen sollen.
Auch wenn es der Vermieter ist, der im Endeffekt entscheiden muss, wem er sein Lokal vermietet, so ist es doch offensichtlich ein Player aus der Community, der eine Geschäftsentscheidung getroffen hat, deren Konsequenz die Vernichtung einer traditionsreichen Community-Instanz ist. Und die offensichtlich davon ausgeht, dass sie von der Community trotz vorhersehbarer Proteste doch irgendwann akzeptiert werden wird, denn schließlich wird das Geld von ihr kommen müssen. Will die Berliner Szene also eine ihrer wichtigsten Instutitionen behalten, darf sie nicht nur an deren Vermieter appellieren, sondern auch an die Konkurrenz aus den eigenen Reihen, und letztendlich auch an sich selbst. Sie muss sich darüber klar sein, was ihr ein solcher Ort wert ist und auch, was sie bereit ist dafür zu tun.
Die Geschichte es Hafens ist also eine grundsätzliche. Wenn wir den Hafen nicht retten, obwohl der Hafen weiter Hafen bleiben will, obwohl wir wollen, dass das so ist: Was sind wir dann überhaupt bereit und in der Lage, zu erhalten? Die designierten Nachfolger des Hafen haben offensichtlich darauf gewettet, dass stimmt, was viele sagen: Dass Community ein überholtes Konstrukt ist. Demnach sind wir eine Zielgruppe wie jede andere auch, jeder entscheidet für sich nach Angebot und Nachfrage nach seinen eigenen Interessen. Kann sein, dass dem so ist. Falls nicht, was ich hoffe, müssen wir uns – egal was es sein wird – dem Nachfolgekonzept des Hafens verweigern und auch immer deutlich machen, was es auf dem Gewissen hat.
Vielleicht kann ja die Aussicht darauf schon dazu beitragen, dass es nicht so weit kommen muss. ♦
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