Anfang September wurde in Malaysia erstmals ein lesbisches Paar in Malaysia aufgrund gleichgeschlechtlichem Sex zu einer Folterstrafe verurteilt, die umgehend vollstreckt wurde. Beobachter sprechen von einem Präzedesfall. Das Urteil hat auch im Land selbst zu heftigen Diskssionen geführt.
Im Koalitionsvertrag der rot-rot-grünen Landesregierung gibt es ein eigenes Kapitel zu LGBTI*. Es ist mit „Regenbogenhauptstadt Berlin“ überschrieben. Auf knapp drei Seiten ist dort detailliert aufgelistet, was und wie das Land Berlin sich für die Belange von „Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen, Transgendern, Intersexuellen und Menschen, die sich als Queer verstehen (LSBTTIQ*)“ einsetzen möchte. Einen eigenen Absatz gibt es zur internationalen Situation. Er trägt die Headline „Belange der LSBTTIQ*-Community national und international engagiert vertreten.“
Dieser Anspruch droht gerade zur Farce zu werden. Denn ausgerechnet die Regenbogenhauptstadt Berlin will im nächsten Jahr einer Homo-Hölle dabei helfen, sich international als Paradies zu inszenieren. Die Messe Berlin, zu 99,7 im Besitz des Landes Berlin, bereits im letzten Jahr Malaysia als offizielles Partnerland 2019 für ihre Tourismus-Messe ITB im März ausgesucht.
Die ITB ist laut Eigenwerbung „the World’s leading Travel Show“, sie ist also eine der weltweit größtes Bühnen für die Eigen-PR von Staaten. Und die größte Bühne, also die des begehrten Status als „Partnerland“, wird sie – wie sie dem Nollendorfblog heute auf Anfrage mitteilte – auch trotz der Berichte um das Urteil einem Staat bereiten, in dem Homosexuelle offiziell gefoltert werden können und werden.
Nun gäbe es keine Tourismus-Messen, wenn man dort Rücksichten auf Menschenrechte nehmen würde. Außerdem kann der Tourismus dabei helfen, die Menschenrechtssituation in Ländern zu verbessern. Doch einem Land einen Partnerstatus zu verleihen, es quasi zum „Country of the year“ zu machen, ist eine andere Nummer. Es ist ein Unterschied, ob man Ausstellungsflächen zur Verfügung stellt, oder sich zum Teil einer Agenda macht. (Im Aufsichtsrat der Messe sitzt für den Berliner Senat übrigens die Wirtschaftssenatorin Ramona Pop von Bündnis 90/Die Grünen:)
Wer als größte Tourismus-Show der Welt den Partner-Spot auf ein ganz bestimmtes Land richtet, nimmt nicht nur in Kauf, dass dieses Land besser scheinen wird, als es ist. Er verpflichtet sich dazu, macht es zu seinem Ziel. Dass man als Messe mit einer solchen Maßnahme somit nicht nur den Tourismus eines Landes fördert, sondern auch dessen politische Ziele und Anerkennung, kann man sogar auf der Homepage der Messe selbst nachlesen:
„Die Zusammenarbeit trägt auch dazu bei, die starke Verbindung zwischen Malaysia und Europa zu betonen. Wir werden diese wunderbare Partnerschaft damit auf eine noch höhere Stufe heben.“
wird dort der malaiische Minister für Tourismus und Kultur von Malaysia, YB Dato‘ Seri Mohamed Nazri bin Abdul Aziz, zur Begründung der Kooperation zitiert.
Die Messe Berlin tut aber so, als sei das alles kein Problem. Oder zumindest keines, mit dem sie etwas zu tun habe.
Auf meine Anfrage, ob die Messe Berlin an Malaysia als Partnerland festhalten möchte, teilt mir die ITB mit (hier gibt es das komplette Statement), dass sie die Situation zwar bedauern und auch problematische Dinge intern angesprochen würden, wenn diese Teil der medialen Diskussion seien. Jedoch:
„Als weltweit führende Touristik-Fachmesse setzen wir uns kontinuierlich und weltweit für Toleranz und gegen Diskriminierung ein – sei es aufgrund von Rasse, sexueller Orientierung oder Geschlecht.
Gleichzeitig verstehen wir uns als politisch neutrale Plattform der Reise-Industrie und respektieren die Souveränität unserer Aussteller und Partner.
Unsere Aussteller präsentieren sich auf der ITB Berlin ausschließlich über die touristischen Vorzüge ihrer Region. Sie betreiben keinerlei politische Werbung.“
Auf gut Deutsch: Sie setzen sich für Toleranz und Diskriminierung ein, weigern sich aber gleichtzeitig, sich gegen Toleranz und Diskriminierung einzusetzen. Denn: Eigentlich ist es ein Glück, dass ausgerechnet in dieser Phase der Radikalisierung des Landes die geplante Partnerschaft der Messe Berlin mit Malaysia bevorsteht. Oder: Es wäre ein Glück.
Es wäre ein Glück, wenn die Messe Berlin es als Chance sehen würde für eine öffentliche Klarstellung, – ungefähr nach dem Motto:
Ausstellen darf bei uns jeder, der es sich leisten kann und das Thema bedient, wir sind ja schließlich eine Messe. Wer aber Partnerland von uns werden und auch bleiben will, muss sich ein ein paar ethische Minimalstandards halten, zu denen u.a. gehört, dass keine Homosexuellen staatlich gefoltert werden.
Ist das zu viel verlangt?
Erst recht, wenn ein solches Handeln tatsächlich etwas bewirken könnte? Darf nicht vermutet werden, dass ein entsprechender Druck auf das Land tatsächlich den Druck im Lande erhöhen könnte, dass zumindest im Vorfeld der ITB Homosexuelle dort besser geschützt wären? Ist es nicht realistisch, dass sich solche Folter-Berichte nicht wiederholen werden, wenn die Erwartung ausgedrückt wird, dass sie sich nicht wiederholen?
Es geht ja nicht darum, nur noch Länder zu Partnern zu machen, bei denen menschenrechtlich gesehen alles in bester Ordnung ist. Aber zumindest dürften doch nicht die hofiert werden, bei denen es sich gerade drastisch verschlimmert. Gerade in Malaysia, wo es auch in der Regierung Gegner solcher Strafen gibt (auch gerade wegen der Auswirkungen auf das internationale Ansehen) könnten die gestärkt werden, die auf die klaren Erwartungen aus dem Ausland verweisen. Warum nutzt die Messe Berlin diese Möglichkeit nicht?
Könnte / müsste eine Landesregierung die einen Unterschied machen möchte bei LGBTI*, die sich sogar zur Regenbogenhauptstadt deklariert, nicht gerade an einer solchen Stelle einen Unterschied machen? Was besseres kann einer „Regenbogenhauptstadt“ denn eigentlich passieren, als mit einem ihrer größten Unternehmen dazu beizutragen, dass die emanzipatorische Kraft des Regenbogens auf gerade diejenigen trifft, die diese besonders nötig haben?
Sollte die Messe Berlin bei ihrer lauen Haltung bleiben, ist das eine Einladung an die Community zu kreativem Aktivismus. Denn im Statement heißt es auch:
„Wir sind im konstanten Austausch mit den Repräsentanten des jeweiligen Partnerlandes. Beschäftigt sich die Öffentlichkeit bzw. die Medien mit Themen wie Diskriminierung oder Verfolgung von Minderheiten, sprechen wir dies selbstverständlich im Dialog an.“
Sorgen wir also dafür, dass sich die Öffentlichkeit in Berlin mit der Situation Homosexueller beschäftigt. „The World’s leading Travel Show“ ist dazu eine Gelegenheit. Es müssen nicht unbedingt die Bilder von reinen Stränden sein werden, die die Besucher der ITB im im März 2019 vom Partnerland Malaysia mit in ihren Köpfen nach Hause tragen werden.
Im März 2019 entscheidet sich, ob Berlin wirklich „Regenbogenhauptstadt“ ist. ♦
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Man kann sich nicht einerseits für Toleranz und gegen Diskriminierung einsetzen, andererseits aber politisch neutral sein. Das sind Gegensätze, die einander ausschließen. Entweder man setzt sich gegen Diskriminierung ein – oder man ist politisch neutral; und politisch neutral bedeutet vorliegend: Man unterstützt und billigt Diskriminierung.
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