Coming-out von Jochen Schropp: Lieber STERN, Ihr habt es verbockt!

Foto: Jochen Schropp (c) 9EkieraM1 wikipedia 

Ich bin schwul.

Manche von Ihnen werden jetzt sagen: „Und wo ist jetzt die Neuigkeit?“ Andere werden es nicht gewusst oder „geahnt“ haben. Vielleicht werden Sie sich fragen: Warum erzählt er uns das jetzt? Muss man das heutzutage überhaupt noch erwähnen? Ich finde: ja. 

(Anfang des persönlichen „Briefes“ von Jochen Schropp, den der STERN heute (Blendle-Link) unter der Überschrift „Ich bin Schwul“ als Einleitung eines Coming-out-Interviews mit dem Schauspieler und Moderator veröffentlicht.)

Respekt für Jochen Schropp. Er hat alles richtig gemacht. Und doch ist fast nichts richtig, kann fast nichts richtig sein in einem Setting, das grundfalsch ist. Nicht ein Coming-out ist (im Rosa-von-Praunheimischen-Sinne) pervers, sondern, dass es eine News ist, immer noch zur News gemacht wird.

Es gibt einen Unterschied zwischen einer Information und einer News. Eine Information benötige ich, um einen Zusammenhang zu verstehen. Zu wissen, ob jemand homosexuell ist, muss nicht, kann aber wichtig sein, genauso, wie es wichtig oder unwichtig sein kann zu wissen, ob jemand Schreiner, Veganer oder Linkshänder ist. Je nach dem, worum es gerade geht eben. Es ist eines von vielen Merkmalen. Ob es hilft, einen Menschen zu beschreiben, kommt darauf an, was ich über ihn erzählen will.

Die Frage ist nicht, ob man wissen muss, ob jemand homosexuell ist, die Frage ist, warum man es nicht wissen soll. Die sexuelle Orientierung ist bei den allermeisten Menschen eine selbstverständlich miterzählte Basisinformation. Sie bei homosexuellen Menschen nicht mitzuzerzählen, liegt einzig und alleine in der homophoben Tradition unserer Gesellschaften begründet. In einer unverdrucksten Welt, in einer, in der Homosexualität weder ein Erpressungsgrund noch eine Sensation ist, ist die Homosexualität einen Menschen eine selbstverständliche Information.

Deswegen dürfte sie eines eigentlich nicht sein: Eine News.

Genau das aber hat der STERN aus den Aussagen von Jochen Schropp fabriziert. Wie gesagt, er selbst hat alles richtig gemacht. Oder anders: Was hätte Schropp anders machen sollen? Es liegt nicht an ihm, dass der ganze Text einem Bekenntnis, fast schon einer Beichte gleichkommt, dass es sich so liest, als habe er etwas Ungeheuerliches zu erzählen, und nicht, dass das Ungeheuerliche eigentlich ist, dass man es so erzählen muss:

Weil die Leute so sind, wie sie sind, weil sie es einerseits wissen wollen, aber andererseits damit in Ruhe gelassen werden wollen. Weil sie danach gieren, weil es ihnen schwerfällt, Homosexualität nicht wie eine spektakuläre Krankheit (etwa so wie: Hatte der nicht Krebs?) weiterzuverbreiten, sich aber andererseits selbst nicht dabei ertappen wollen, weil es nicht in ihr lässiges Ist-mir-doch-egal-Weltbild passt.

Und weil die Medien so sind, wie sie sind, was hier vor allem bedeutet: so verlogen sind. Unter dem Vorwand, etwas, das selbstverständlich sein sollte, zu einer Selbstverständlichkeit zu verhelfen, machen sie das Gegenteil. Indem sie das Schwulsein zur eigentlichen News machen und nicht die Schwierigkeit, darüber zu reden, skandalisieren sie nicht die Verhältnisse, sondern das Schwulsein.

Dabei ist gar nicht mal der Beitrag und Interview selbst, also auch nicht die Fragen, die das Problem darstellen. Es ist die Verknappung. Diese liegt sowohl in der Überschrift („Ich bin schwul“), die so tut, als sei es das, was er zu erzählen habe. (Denn, nochmal: In Wirklichkeit spricht Jochen Schropp nicht über seine Homosexualität, er spricht darüber, warum er darüber sprechen muss.) Und es ist die Art und Weise, wie die Leute vom STERN die ganze Geschichte verbreiten, bzw. vorab verbreitet haben. Wer das ganze Interview und den vorangestellten persönlichen „Brief“ Schropps liest, merkt, wie sehr es dem Schauspieler und Moderator darum gegangen ist, das ganze Thema nicht als seine persönliche Befindlichkeit, sondern als gesamtgesellschaftliches Problem darzustellen.

Diese Zeilen sollen nicht um mein persönliches Outing gehen, sondern darüber, wie wichtig ich es finde, Leute, die anders sind als man selbst, zu verstehen und Andersartigkeit als selbstverständlich zu sehen. Wer hat die Norm erfunden, und warum sind uns Menschen, die anders sind als wir selbst, fremd oder gar unheimlich?

Man merkt, wie sehr er versucht, sich dabei nicht wichtig zu nehmen, sondern die Gelegenheit zu nutzen, Dinge zu erklären, die anderen helfen können, die Situation Homosexueller besser zu verstehen.

Doch was davon vor allem übrig bleibt, ist, wie wichtig er sich dabei nimmt.

Denn, und das ist der böswilligen Verknappung zweiter Teil, der STERN konnte der Versuchung nicht widerstehen, das „Ich bin schwul!“ als Vorabmeldung so zu verbreiten, so dass einzig das Selbst-„Bekenntnis“ des Schauspielers im Fokus steht. Was heute im STERN steht, ist vergleichsweise egal, nachdem gestern die Meldung durch die Medien ging, von dem Star, der es nicht lassen konnte, anderen seine Homosexualität aufs Auge zu drücken.

Und da ist es nicht verwunderlich, dass das, was in BILD von einer eigentlich Mutmach-Geschichte übrig geblieben ist, eine Angstmach-Geschichte ist …

Schon in der Schule begann ein langer Leidensweg für den Moderatoren, der bei ProSiebenSat.1 Media unter Vertrag steht.

… und in der queeren Presse erwartbaren Spott hervorruft …

Jochen Schropp ist schwul und der Papst katholisch

(Überschrift auf blu.fm)

All das ist besonders schade, weil man Schropp im Gegensatz zu  (teilweise bedeutend prominenteren) ungeouteten Schaupielerkollegen nun wirklich nicht vorwerfen kann, dass er sein Nicht-Sagen zu einem Geheimnis stilisiert hatte. Jeder, der es wissen wollte, wusste es. Und es ist schade, weil Schropp genau die Dinge anspricht, mit denen sich jetzt innerhalb der Medien befasst werden müsste: Wie schwer es in Deutschland ist, gegen die heteronormativen Rollenerwartungen besetzt zu werden.

 In meiner Heimat von der Mutter einer Freundin darauf angesprochen, sagte sie mir, sie habe die Serie gemocht, aber die Liebesszenen habe sie mir nicht abgenommen. Warum? „Na ja …“, druckste sie herum. Aaah! Weil ich schwul bin!

Heterosexuelle dürfen Schwule spielen (und bekommen dafür sogar Preise!), aber Schwule können keine Heteros spielen? Wie verhält es sich dann mit der Rolle eines Mörders? Muss man für einen Krimi schon jemanden umgebracht haben, um den Mörder glaubhaft darstellen zu können? Sie verstehen den Unsinn …

Ja, sie verstehen diesen Unsinn, sie wissen, wie sie ihn beenden könnten. Aber dafür ist dieser Unsinn zu schön, zu schlagzeilentauglich. Und man kann ihn verbreiten und gleichzeitig so tun, als würde man ihn bekämpfen. Der Unsinn wird erst dann aufhören, wenn aus dem Newsfaktor Homosexualität der Informationsfaktor Homosexualität wird.
Das, was Jochen Schropp zu erzählen hat, wäre ein guter Anlass dazu gewesen. Und damit es beim nächsten Promi-Coming-out endlich anders läuft, muss man es hier so deutlich sagen:
 Liebe Leute vom STERN, Ihr habt es verbockt! Und Ihr wolltet es verbocken. Shame on you! ♦

Weiterlesen: „Jeder springt für sich allein.“

Vor einigen Tagen habe ich für das TheaterMagazin einen Grundsatzartikel über Homophobie in Theater, Film und Fernsehen geschrieben. Es geht vor allem um die Frage, warum offen (vor allem) schwule Schauspieler in der Branche immer noch ein Problem sind und wie man das ändern könnte. Außerdem berichte ich darüber, dass sich gerade eine neue Initiative gründet, ein Zusammenschluss queerer Medienmenschen, die daran arbeiten wollen, die Situation zu ändern. Auch Jochen Schropp hat seine Unterstützung zugesagt.

Hier geht es zum Beitrag.

Nachtrag, 14-05. 2018, 13.00 Uhr: 

Die Online-Seite von blu hat ihre gestrige Haltung zum Coming-out-Artikel des STERN relativiert und schreibt unter der Überschrift „Keine Sternstunde, oder: Warum ein Schwuler kein Sack Reis ist“:

Gestern berichteten wir anhand einer vom Magazin Stern lancierten Vorabinformation über das – wie wir fanden – recht späte und auch nicht wirklich überraschende Coming-out des Moderators und Schauspielers Jochen Schropp. Was genau daran jetzt nachrichtenwürdig war, ist inzwischen zum eigentlichen Inhalt der Diskussion geworden. Und zwar zurecht. (…)  Leider gab die Redaktion des Stern selbst – zumindest der für Social Media zuständige Teil – gestern die falsche Antwort darauf, indem sie das Coming-out an sich zur Story machte. „Jochen Schropp ist schwul“ war in der Vorabnachricht das, was als News dargestellt wurde. Und darum ging es dann auch in unserem Beitrag auf blu.fm. Die Tatsache alleine ist nämlich keine News, nur der Umgang damit. Und den hat der Stern mit seiner Vorabveröffentlichung gründlich verbockt, wie auch Johannes Kram in seinem Nollendorfblog herausarbeitet. Dabei sind der Brief und das Interview eigentlich wirklich wunderbar. (…)

​Die nächsten Lese- und Diskussionsveranstaltungen zum Buch zum Nollendorfblog, „Johannes Kram: Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber …“:  ​ 19.06. – BIELEFELD, 04.07. – KÖLN, ​09.07.- BERLIN​, ​05.08. – NÜRNBERG​, ​13.08. – LÜBECK, 16.08. – TRIER​, ​22.08. – ERFURT​, ​18.09. MÜNCHEN, weitere Termine in Kürze​

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2 Gedanken zu „Coming-out von Jochen Schropp: Lieber STERN, Ihr habt es verbockt!

  1. Weil es sowohl hier als auch im verlinkten „Sprung“-Text so viel über Informationsmanagement geht: Falls Sie es nicht kennen, empfehle ich Ihnen „Stigma“ des Soziologen Erving Goffman. Begrifflich ist der Titel etwas unglücklich, geht es Goffman doch um sichtbare/ unsichtbare Abweichungen von der durch Mehrheiten gebildeten Norm in einer Gesellschaft und nicht darum, dass solche Abweichler im heutigen Sinn stigmatisiert sind. Er beschreibt sehr nüchtern die Schwierigkeiten der Abweichler in einer Gesellschaft, die in ihrem Verhalten so auf Normerfüllung angewiesen ist (weil „erfolgreiches“ Verhalten auf Vorannahmen basiert), dass sie bei Abweichungen von der Norm kein Verhaltensmuster parat haben und daher irritiert ist. Unter anderem beschreibt er eben auch das nötige Informationsmanagement unsichtbarer Abweichungen (wie es Homosexualität ist) im Sinne eines „Wem erzähle ich was wann?“ und die dadurch erhöhte alltägliche Belastung durch dieses dauernd darüber nachdenken müssens.
    Aus Goffmans Ausführungen kann man eigentlich nur schließen, dass Homosexualität zur Norm gemacht werde müsste, womit man wieder bei ihren beiden Texten und die Rolle von Institutionen bei dieser Normerweiterung wäre.
    Siehe https://en.wikipedia.org/wiki/Erving_Goffman#Stigma

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