„Man kann beim Bäcker in der Schlange nicht unterscheiden, wenn einer mit gebrochenen Deutsch ein Brötchen bestellt, ob das der hochqualifizierte Entwickler Künstlicher Intelligenz aus Indien ist oder eigentlich ein sich bei uns illegal aufhaltender, höchstens geduldeter Ausländer. Damit die Gesellschaft befriedet ist, müssen die anderen, die in der Reihe stehen, damit sie nicht diesen einen schief anschauen, und Angst vor ihm haben, sich alle sicher sein, dass jeder, der sich bei uns aufhält, sich auch legal bei uns aufhält. Die Menschen müssen sich sicher sein, auch wenn jemand anders aussieht und nur gebrochen Deutsch spricht, dass es keine Zweifel an seiner Rechtschaffenheit gibt. Das ist die Aufgabe einer fordernden, liberalen rechtsstaatlichen Einwanderungspolitik.“
Christian Lindner auf dem FDP-Parteitag am 12. Mai 2018
Warum Christian Lindners Bäckereianekdote „sumpfiger Alltagsrassismus“ ist, hat Stefan Kuzmany auf SPIEGEL ONLINE -, warum es „übelster Alltagsrassismus“ ist, hat Hanna Zobel auf bento erklärt. Für alle, die noch nicht ganz überzeugt sind: Um herauszufinden, ob etwas rassistisch, homophob etc. ist, genügt meist einfach die Veranschaulichung des Gegenszenarios. Der Berliner Journalist Dirk Ludigs hat das auf Facebook getan und zeigt so, was das Problem ist : „Für Hellhäutige gilt die Unschuldsvermutung.“
Besorgniserregend, dass ein Parteivorsitzender einer liberalen Partei das nicht erkennt. Doch noch schlimmer als das Erzählen dieser Anekdote finde ich, wie er mit der Kritik darauf umgeht. In einem Rechtfertigungs-Video behauptet er:
„Wer in meinen Äußerungen Rassismus oder Rechtspopulismus lesen will, der ist doch etwas hysterisch unterwegs.“
Was Linder da macht ist nicht weniger als der Versuch, jede Auseinandersetzung über Rassismus unmöglich zu machen. Denn wenn selbst ein solchen Beispiel nicht dazu dienen kann, über Rassismus zu reden, was denn sonst? Man braucht bei offensichtlichen Rassismus nicht darüber streiten, ob er Rassismus ist, weil er ja offensichtlich ist. Ich halte auch die Bäcker-Anekdote für offensichtlich, für eindeutig rassistisch, aber auch darüber kann man, muss man streiten. Doch wie kann das geschehen, wenn Lindner schon den Versuch einer solchen Debatte als „hysterisch“ abtut?
Ähnliches erlebe ich gerade mit Dieter Nuhr, dem ich homophobe Witze vorwerfe. Auch er schließt das aus: „Der Vorwurf der Homophobie ist, was meine Person angeht, absurd.“ Absurd. Hysterisch. So einfach ist das in Deutschland. Doch Rassismus und Homophobie wird man nicht so leicht los wie Hundekot, das ist nicht weg, wenn man es nicht mehr sieht, wenn es nicht mehr stinkt. Ressentiments stecken tiefer, da kommt man nur dran, wenn man bereit ist, sich damit auseinanderzusetzen.
Alltagsrassismus ist schlimm, aber wir sind alle nicht davor gefeit. Das entschuldigt ihn nicht, aber es hilft, ihn zu erklären: Wir leben in einer Gesellschaft in der rassistische Stereotype nie richtig beleuchtet werden. Und wir leben in einer Gesellschaft, die sich als liberal empfindet, und in der es zum guten Ton gehört, eben nicht rassistisch, homophob etc. zu sein. Daher auch die starken Abwehrreflexe: Rassistisch, homophob, das sind immer die anderen. Man muss nicht böswillig sein, nicht absichtlich handeln, um etwas rassistisches zu sagen. Ja, wir alle haben es wahrscheinlich schon getan. Niemand von uns ist perfekt und wir können von niemandem verlangen, dass er perfekt ist. Aber was wir von uns wie von anderen verlangen können, ist, dass wir bereit sind zu lernen, hinzuhören, darüber zu reden. Lindner könnte ja versuchen zu erklären, was daran nicht rassistisch ist. Aber selbst dazu ist er nicht bereit. Lindner könnte auch sagen: Sorry, ist mir rausgerutscht, war blöd, passiert mir nicht wieder. Oder: Hab ich nicht so gesehen, aber jetzt verstehe ich, was daran problematisch ist. Aber auch das kann er oder will er nicht.
Seine Anekdote mag eine Dummheit gewesen sein. Spätestens die versuchte Rechtfertigung dieser Anekdote ist es nicht mehr.
Shit happens. Aber noch schlimmer ist es, andere mit der Scheiße zu bewerfen, die man selbst verursacht hat. Nicht jeder, der etwas Rassistisches sagt, ist schon ein Rechtspopulist. Aber jemand, der ausschließt, dass er etwas Rassistisches gesagt haben könnte, weil es sich nicht als rassistisch empfindet, und jemand, der dann auch noch, die, die darüber reden wollen diskreditiert, macht den Job der Rechtspopulisten besser, als die es je können.
Denn das rechtspopulistische Deutschland hat nur so viel Macht, wie das Rest-, das liberale Deutschland ihm zugesteht. Wenn Linder das nicht selbst merkt oder seine Partei ihm das durchgehen lässt, sollte sie aufhören, sich liberal zu nennen. ♦
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Exakt auf den Punkt. Danke!
Tja… Lindners Ziel soll angeblich eine neue FDP sein, die eine rechtsbürgerliche Alternative zur Alternative für Deutschland ist. Bei Gelegenheiten wie dieser glaube ich, es könnte was Wahres sein an dieser Behauptung.