Foto: © JCS‘ /
Kann es Zufall sein, dass der Mann, der in der deutschen Metoo-Debatte die schwule Dimension zum Thema machte und der Mann, dem bisher die heftigsten Vorwürfe sexualisierter Gewalt gegen Frauen gemacht werden, derselbe ist?
Noch bevor die ZEIT von den Anschuldigungen gegen den Regisseur Dieter Wedel (die er alle bestreitet, und weshalb auch hier seine Unschuld vermutet werden muss) berichtete, hatte der sich bereits zu Metoo geäußert. Allerdings nicht als mutmaßlicher Täter, sondern angebliches Opfer. In einer dpa-Meldung vom 22. November 2017 heißt es:
„Er sei als junger Schauspieler für schwul gehalten worden, sagte Wedel dem Radiosender Hit Radio FFH: «Die schwulen Regisseure und homosexuellen Schauspieler haben mich mächtig unter Druck gesetzt.» Aber er habe nicht nachgegeben und sei auch nicht gebrochen worden. Aufgehört hätten die Belästigungen, als er 30 und ein bekannter Regisseur war.“
Leider ist das Original-Interview online nicht mehr zu finden, man kann also nicht nachhören, ob er Metoo selbst aufbrachte, oder ob er danach gefragt wurde. Obwohl letztes wahrscheinlich ist – die Diskussion war damals allgegenwärtig und es war naheliegend, in einem Gespräch mit einem der mächtigsten deutschen Vertreter der Branche diesen darauf anzusprechen – so muss dem Regisseur doch bewusst gewesen sein, dass er hier eine News in die Welt setzt: Starregisseur wurde als junger Mann von Schwulen belästigt. Es ist die Gegenkonstellation zur Kevin Spacey-Geschichte: Dort ist der Promi der Täter, hier der (spätere) Promi das Opfer. Aber auch in anderer Hinsicht sind beide Fälle miteinander verwandt. Beide Male, ob bewusst oder unbewusst, war der „schwul“-Aspekt geeignet, der Geschichte einen Spin zu verleihen, und gerade weil es bei Wedel eine Geschichte war, die noch gar nicht begonnen hatte, stellt sich die Frage, ob hier nicht der Grund dafür zu suchen ist:
Während Spacey vorgeworfen wurde, mit seinem schwulen Coming-Out von der eigentlichen Story, also den Missbrauchvorwürfen, ablenken zu wollen, drängt sich bei Wedel der Verdacht auf, dass er versuchte, mit seiner Schwulen-Erzählung eine Nebelkerze zünden zu wollen, um den drohenden Skandal um seine ihm vorgeworfenen Missbräuche zu relativieren. Denn ganz abgesehen davon, ob diese stimmen, muss ihm bewusst gewesen sein, dass sie durch Metoo zum Thema werden könnten. Wie wir heute wissen, sind Anschuldigungen um gewalttätige Übergriffe seit Jahrzehnten nicht nur Thema unter KollegInnen sondern sogar aktenkundig.
Da es also schwer vorstellbar erscheint, dass Wedel die Schilderungen seiner Erlebnisse als junger Schauspieler nicht im Bewusstsein der Vorwürfe vorbrachte, die die Schauspielerinnen gegen ihn erheben, muss man sich noch einmal genauer anschauen, was er im November 2017 gesagt hat:
«Die schwulen Regisseure und homosexuellen Schauspieler haben mich mächtig unter Druck gesetzt.»
Erstens: Was bedeutet „unter Druck gesetzt“? Da dies alles heißen kann von unangenehmen aber legitimen Avancen bis zu auch aus damaliger Sicht schweren Verfehlungen, ist es von Interviewer-Seite mindestens fahrlässig, da offensichtlich nicht genauer nachgefragt zu haben. Von Wedels Seite ist es aber ist es wohl Kalkül. Hätte es, was ja durchaus sein kann, illegitime Vorfälle gegeben, dann er hätte er sie zumindest etwas konkretisieren müssen, damit man eine Ahnung davon bekommen kann, um welche Dimension es sich handelt. Aber darum schien es Wedel nicht zu gehen, er schien darauf zu vertrauen, dass die „Dimension schwul“ völlig genügte. Und er hatte ja auch recht damit, wie das Medienecho zeigte. Vielleicht rechnete er damals damit, dass sein eigenes Verhalten Thema werden würde, aber nicht damit, wie heftig und schonungslos die Berichterstattung der ZEIT werden würde.
Vielleicht hat er wirklich gedacht, mit dem Thematisieren schwuler Schuld Berichte über seine eigene Schuld abmildern zu können. Das klingt aus heutiger Sicht im Wissen um die Anschuldigungen gegen ihn nicht nach einer besonders zielführenden Idee. Aber viel spricht dafür, dass bis dahin Wedel seine ganze lange Karriere gut damit gefahren war, Vorwürfe gegen ihn mit Gegenangriffen zu beantworten. Kam ihm dafür die Diskussion um Kevin Spacey, oder anders: Kamen ihm die Schwulen dafür gerade recht?
Denn, zweitens: Wedel berichtet nicht, dass schwule Regisseure und Schauspieler ihn „mächtig unter Druck“ gesetzt hätten. Er redet nicht von einzelnen Schwulen, sondern den Schwulen. Was er da sagt und – soweit ich das überblicken kann – in der Berichterstattung darüber nie hinterfragt worden ist, bedeutet: Die Schwulen waren so. Doch was bedeutet dieses „so“? Warum gaben und geben sich die betreffenden Medien damit zufrieden? Weil es so plausibel ist? Oder weil es für die Relevanz einer Geschichte schon ausreichend ist, wenn „schwul“ drin steht?
Durch seinen Pauschalvorwurf richtet er nicht nur ein schiefes Licht auf „die“ Schwulen, sondern erschwert auch eine Sicht auf die Situation der Opfer von Übergriffen, die es durch Schwule gegeben hat. Denn, ganz abgesehen, ob er selber dazu gehört, müsste es ja darum gehen, Verhältnisse zu beschreiben und über diese aufzuklären, statt so zu tun, als ob es sich bei den, oder besser: dem „Schwulen“ um etwas latent-Gefährliches und darüber hinaus auch noch Unbeschreibliches handelte.
Nach Kevin Spaceys Coming-Out im Zuge der Missbrauchsvorwürfe gegen ihn, lautete der Vorwurf amerikanischer Aktivisten: „He threw the gay community under the bus.“
In einer ähnlich anmutenden Situation muss man deshalb auch Dieter Wedel fragen, ob seine Geschichte von „den“ Schwulen nicht vor allem das Ziel hatte, sie alle gemeinsam vor den Bus zu werfen. Dass dieser Bus durch die Veröffentlichungen der ZEIT eine andere Abzweigung genommen hat, ist, so schlimm es auch für die vermutlichen Opfer des Regisseurs ist, für die Metoo-Debatte ein Segen. Seine Schwulen-Geschichte (und zu ihr gehört auch die Tatsache, sie bis dahin so unhinterfragt funktioniert hatte) mag angesichts des jetzigen Wedel-Skandals als unwichtig erscheinen.
Ist sie aber nicht. ♦
Mehr dazu hier im Blog: Hat Kevin Spacey wirklich die Community „vor den Bus geworfen“?
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Gottchen, der Arme. Stimmt schon, bei einer so von Schwuchteln dominierten Branche wie dem Film (weiß gar nicht, wie die das alle zu Zeiten des §175 vom Gefängnis aus gemacht haben…) kann man ja als Hete gar nicht anders, als quasi aus bloßem Protest Weiber zu begrabschen.