In Stephanie Kuhnens Sammelband „Lesben Raus! – Für mehr lesbische Sichtbarkeit“ gibt es ganz viele Stellen, an denen ich aus meiner schwulen Perspektive, aus meiner Erfahrung als schwuler Aktivist gerne dazwischenrufen möchte, wo ich „Ja, aber“ sagen möchte oder fragen: „Jetzt echt?“.
Diskussionen zwischen Lesben und Schwulen über lesbische Sichtbarkeit machen selten Spaß, meist nerven sie, sie gehen ans Eingemachte und scheitern oft schon bei der Frage, was denn das Eingemachte überhaupt ist. Es geht um Macht, Privilegien und Möglichkeiten, um Definitionen, Erwartungen, um alte Geschichten. Es geht auch darum, wie schön das alles zusammen passen könnte, denn das tut es ja, wenn man nicht darüber reden muss, was dieses Zusammen eigentlich ist. Aber das geht halt auch nicht, das Nichtdrüberreden, zumindest nicht, wenn man das Politische nicht ausklammern will, wenn es also um Interessen geht. Also geht es immer wieder von Neuem los. Lesben und Schwule sind sich gegenseitig wie Familienmitglieder, die man sich nicht aussuchen konnte, konkurrierende Geschwister, schicksalhaft verbunden. Sie wissen, womit sie sich gegenseitig auf die Palme bringen können. Und sie tun es. Sie kennen sich zu gut, und dann doch wieder gar nicht. Jetzt nach dem gewonnenen gemeinsamen Kampf für die Ehe für alle, bei dem immer wieder aufkommende Konflikte hinten angestellt werden mussten (oder je nach Sichtweise: durften), wäre eine gute Gelegenheit für geschwisterliche Beziehungsarbeit. Andererseits: Wozu braucht man sich jetzt noch? Oder, aus schwuler Perspektive gefragt: Was haben wir überhaupt mit Lesben zu tun?
An diesem Punkt kann man Kuhnens Buch ziemlich klar zusammen fassen: Eine ganze Menge. Wer als Schwuler glaubt, dass Lesben als gesellschaftliche Gruppe nur eine Art Koalitionspartner, eine Art strategischer Verbündeter sind, und das Gemeinsame nur dem gemeinsamen Feind, und der Notwendigkeit gemeinsamer Stärke geschuldet ist, der irrt. Das Geschwisterliche liegt schon darin begründet, dass sich auch die rein auf Schwule bezogene Homophobie auf Misogynie begründet, also darauf, dass die Assoziation mit dem Weiblichen mit einer Abwertung verbunden ist. Schwulenhass ist auch Frauenhass. Auch die schwule Emanzipationsgeschichte war keine, in die sich die Lesben dann irgendwann eingereiht hätten. Es war eher umgekehrt: Die moderne Homobewegung entstammt dem Feminismus, der Frauenbewegung. Natürlich hat man als Schwuler das Recht, sich nicht mit Feminismus beschäftigen zu müssen. Es wäre aber wohl dann eher eine Beschäftigung mit einer Selbstbehauptung, die die gesellschaftlichen Spannungsfelder und das eigene Verstricktsein darin ausblenden möchte. Und zur Wahrheit gehört eben auch, dass Lesben, etwa in der AIDS-Krise, ganz selbstverständlich an der Seite der Schwulen mitmarschiert sind, während die Vorwürfe vieler Lesben nicht unbegründet sind, dass sich die meisten Schwulen bei vermeintlich reinen Lesbenthemen eher nicht so angesprochen gefühlt haben.
Schwule profitieren von Lesbischer Unsichtbarkeit. Ob und wie Schwule diese – bewusst und unbewusst – auch selbst fördern, billigen oder in Kauf nehmen ist eine andere Frage. Die meisten von uns, ob lesbisch oder schwul, hätten dazu etwas zu sagen, könnten Geschichten erzählen und Dinge berichten, die erklären, wo das so ist, warum das so ist, oder eben auch nicht. Ich habe leider nicht viele solcher Diskussionen erlebt, die dann wirklich konstruktiv geblieben sind. Wir sind alle nicht nur Teil der Lösung sondern auch das Problem.
Um so wichtiger ist es, dass es jetzt dieses Buch gibt, das gleich am Anfang klar macht, dass es nicht darum geht, Schuld zu verteilen, sondern Lösungen zu suchen. Dabei macht Kuhnen einen entscheidenden Schritt. Sie schreibt, für lesbische Sichtbarkeit müsse grundlegende und selbstkritische Basis- und Definitionsarbeit geleistet werden. Und:
Bisher wurde die Sichtbarkeit in Abgrenzung zu schwuler Sichtbarkeit errechnet. Schwule Sichtbarkeit ist der Maßstab, an dem sich Lesben und ihre Sichtbarkeit messen lassen müssen und sich selbst auch dazu in Bezug setzen. Funktioniert das überhaupt, ohne eine unheilvolle Konkurrenz zu schaffen oder die vorhandene noch größer werden zu lassen?
Und dann:
Lesben werden nicht automatisch sichtbarer, wenn Schwule unsichtbar werden.
Es ist ein kleiner, aber entscheidender Satz. Er ermöglicht eine Auseinandersetzung, die so oft so schwierig wurde, weil oft die gegenteilige Behauptung im Raum stand, eine Behauptung, die es für Schwule sehr schwierig machte, in der ganzen Sache irgendwas richtig zu machen. Der Verzicht auf die eigene Sichtbarkeit kann keine Lösung sein. Er würde es für alle eine Verschlechterung bedeuten.
Aber nur, weil Schwule nicht alles Schuld sind, bedeutet das nicht, dass sie sich so einfach aus der Verantwortung stehlen können. Sichtbarkeit bedeutet Macht und die ist in der Community ungleich zu Lasten der Lesben verteilt, und zwar deutlich. „Lesben raus!“ zeigt an vielen Beispielen, wie selbstverständlich homosexuelle Projekte als schwule Projekte verstanden werden, wie unkritisch Aufmerksamkeit, Strukturen und Gelder zu den Männern wandern. In „Lesben raus!“ können Schwule nicht nur viel wichtiges über Lesben lernen, sondern vor allem auch über sich selbst.
Das ist nicht immer schön. Aber wichtig ist es schon. Lesben und Schwule haben sich einiges zu erzählen. Doch jetzt ist für Schwule auch ein guter Zeitpunkt, einmal zuzuhören. ♦
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Lieber Johannes, ich habe 40 Jahre lang einen schwulen Buchladen in Basel geführt und dabei auch Lesbenliteratur verkauft. Ich habe einigen Lesben geholfen, in Eigenregie eine kleine Pubilikation zu vertreiben und habe später selber ein „Lesbenblatt“ in der Szene verteilt. Wir haben in Basel von 1991 – 1997 ein Schwulen- und Lesbenzentrum gehabt. Soweit der Hintergrund. Ich denke, wir sollten unsere Verschiedenheiten akzeptieren und uns nicht gegenseitig übertrumpfen.
Auch sollten wir uns an historische Fakten halten und nicht von der Vergangenheit träumen. Lesben haben in Basel nicht erkannt, wie wichtig die Aids-Krise war. In den USA aber schon. Lesben sind aufgetaucht, als es um die Eing. Partnerschaft ging. Als wir sie hatten, waren sie schnell wieder weg. Als die Steuererklärungen mit dem neuen Zivilstand gedruckt und verteilt waren, wollten das Lesben nicht, um sich nicht „zwangsouten“ zu müssen…
Ich habe Lesben als Kundinnen sehr unterschiedlich erlebt. Nur mit wenigen konnte ich diskutieren. Lesben werden anders diskriminiert als Schwule. Dem müssen wir Rechnung tragen, statt uns öffentlich zu befehden. Frauen beginnen ihr Leben gleichgeschlechtlich, alle Männer hingegen verschiedengeschlechtlich. Da müssen wir durch und das auch berücksichtigen. Frauenhass und Schwulenhass sind verwandt. Das hat die Schwulenbewegung damals noch thematisiert, auch ohne Lesben dabei zu haben. Grüsse von Peter
Lieber Johannes, danke für den reflektierten Beitrag, macht Lust aufs Buch. Peters Beitrag zeigt auch, wie unterschiedlich die Schwulen und Lesben Bewegungen so regional/lokal auch sind. Habe letztes Jahr in New York gelebt und war erstaunt zu erfahren, wir zentral Lesben während der frühen AIDS Epidemie waren – sie haben nicht nur mitmarschiert sondern fast alles Praktische organisiert wie Unterkunft, Pflege und Hospitz – „typisch Frauenbereiche?“ – nachdem so viele erkrankte Schwule ausgestoßen wurden.
Als ich mit 23 mein Comming Out hatte war ich etwas naiv, hatte ich doch immer tolle, tlw die besten Beziehungen zu Männern gehabt, vom super Vater und großen Bruder über beste Freunde (homo und hetero) bis hin zu 2 Liebesbeziehungen, die ich nicht missen wollen würde – auch wenn ich nicht darauf zurück blicke seitdem mich eine Frau verführt hat :-)) Jedenfalls war für mich klar, dass wir als sexuelle Minderheiten schon mal viel gemeinsam haben und dachte, wir sitzen im gleichen Boot. Umso schockierender ist für mich Frauen- und Lesbenmissachtung, die ich wiederholt von Schwulen erfahren musste. Der Gipfel war ein (biodeutscher) Typ der Männer als höherwärtige Menschen sieht und auch deshalb meinte schwul zu sein, damit er seinen Schwanz nicht in die niedere Lebensart stecken musste (nicht genau seine Worte, aber im Wesentlichen). Volltrottel gibt es immer (in allen gendern), bloss habe ich eben höhere Erwartungen an Schwule als an Macho-Heteros.
Und ja, humorlose Lesben gibt es auch.
Wenn wir nun aber schon gut dabei sind die gender-binary zu überwinden sollten wir (m.E. künstliche) Gräben zwischen uns doch auch überwinden können. Dazu gehört dann auch ein Anpassen der Machtverhältnisse. Lass uns gemeinsam gegen Misogynie und Homophobie vorgehen, da haben wir alle was davon.