„Heimat statt Homos“: Die ordinäre Zeichensprache der neuen Großen Koalition

 

Die „Flüchlingskrise“ ist also ein Grund, warum wir wieder mehr über Heimat reden müssen. Na gut. Aber warum tun wir es dann nicht? Warum erfahren wir nichts über die Heimaten der Menschen, die zu uns kommen, weil sie sie verloren haben? Warum wissen wir nichts von ihrer Musik, ihrem Essen, ihre Geschichten und, ja: ihren Humor? Und warum reden wir über unsere Heimat als etwas, das wir vor allem beschützen müssen, was ja bedeutet, dass wir keine positive Erzählung von Heimat haben, über die es sich zu reden lohnt, sondern vor allem eine negative?

Jetzt ist gerade Heimat das neue Ding, vor einem Jahr war es noch Familile. Da wollten die Heimatschützer von heute die Familie dadurch schützen, dass sie anderen verbieten wollen eine zu sein. Und die, die mit „mehr Respekt vor Familien“ in den Wahlkampf gezogen sind, finden es jetzt besonders wichtig, dass Geflüchtete ihre Familie nicht zu sich holen dürfen. Auch wenn die angenommenen Zahlen ein vielfaches kleiner sind, als zunächst geschätzt.

Die Ehe für alle durfte nicht sein, weil sie den Kern unserer Gesellschaft zersört. Jetzt, wo das nicht passiert ist, wenden wir uns einem neuen vermeintlichen Kern zu.

“ »Heimat« bezeichnet letztlich einen irrealen Sehnsuchtsort, einen Knotenpunkt von Nostalgie, weichgewaschenen Erinnerungen un unerfüllbaren Wünschen.“

schreibt der Berliner Autor Daniel Schreiber in seinem sehr lesenswerten Essayband „Zuhause“.

„Heimat war schon immer eine mehr schlecht als recht an die Realität gebundene Wunschvorstellen. In der Regel gibt es Heimat nur dann, wenn man glaubt, sie verloren zu haben.“

Die Große Koalition möchte mit ihrem neuen CSU-geführten Heimatministerium ein Zeichen setzen. Dass sie gleichzeitig demonstrativ nahezu allen überfälligen Maßnahmen gegen die Diskriminierung von LGTBI* eine Absage erteilt, ist Teil der gleichen ordinären Zeichensprache: Schutz bedarf das Ressentiment und nicht die von ihm gebeutelten Gruppen.

Ein neues Transsexuellengesetz, die Ergänzung von Artikel 3, Absatz 3 im Grundgesetz um die Merkmale der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität, die Aufhebung des Altersunterschiedes bei der Entschädigung beim Paragrafen 175: All das hätte quasi nichts (und ein nationaler Aktionsplan zur Bekämpfung von Homophobie und Transfeindlichkeit wenig) gekostet, aber vielen geholfen, vielen und vor allem schwachen Mitgliedern der Community geholfen, stark zu werden. Es hätte verhindert, dass weitere Opfer dieser Gesellschaft ohne ihre lang ersehnte Entschädigung sterben müssen, dass sie sterben müssen mit dem Makel des Verdachtes, ein Missbrauchstäter zu sein, nur weil die Union weiterhin darauf besteht, einvernehmlichen schwulen Sex unter Gleichaltrigen anders zu bewerten als den unter Heteros.

All das ist kein Desinteresse. Es ist Absicht. Der Teig, aus dem deutsche Leitkultur geknetet wird, geht ohne Homosexuellenfeindlichkeit nicht auf. Und auch nicht ohne die Abgrenzung vor dem Fremden. Deutschland hat bald wahrscheinlich ein Leitkulturministerium, einen Leitkulturminister.

Unser Kampf ist noch lange nicht vorbei! ♦

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2 Gedanken zu „„Heimat statt Homos“: Die ordinäre Zeichensprache der neuen Großen Koalition

  1. Es war im Sommer vergangenen Jahres bereits zu ahnen, dass die Führungen der Unionsparteien der LGBTI*-Community die Öffnung der Ehe fortan als ein „ungerechtfertigt schmerzliches Zugeständnis“ vorhalten würden – und somit als eine (zwar rhetorische doch nichtsdestotrotz verhandlungswirksame) Legitimation dafür, dass man sich ab sofort und für mindestens 20 Jahre nicht mehr mit den Anliegen von LGBTI* auseinanderzusetzen braucht.

    Und klar – nachdem Gabriel, Augstein & Co. das Žižeksche diskursive Gift („Gerechtigkeit für manche ist ungerecht, solange es nicht Gerechtigkeit für viele gibt“) in das Denken der SPD eingeträufelt haben, traut sich dort natürlich niemand mehr, LGBTI*-Anliegen explizit zu vertreten. Man will ja nicht als „Partei der Minderheitenpolitik“ abgestempelt werden.

    Man sollte nicht übersehen, dass deutsche Politik nicht nur Bundespolitik ist. Schaut man auf die Länder (inklusive einiger CDU-geführter), so wird dort seit vielen Jahren weit konsequenter und entschlossener Politik für LGBTI*-Anliegen gemacht. Ebenso darf man hoffen, dass SPD-geführte Bundesministerien, wie in der Vergangenheit auch, wenig geräuschvoll aber effektiv positive Entscheidungen treffen.

    Nur bei der Bundeslegislative sind jetzt vermutlich für die kommenden 4 Jahre wieder alle Lichter aus, das hatten wir ja schon mal. Aber mittlerweile haben auch wir das alte Feuer wieder entzündet, also:

    Heimat für alle!

    Wenn schon, denn schon.

  2. Die Deutschen sind unfähig sich über Rechtstaatlichkeit, Gerechtigkeit oder Grundgesetz zu definieren. Was immer das sein soll, die „deutsche Identität“ oder das Affentheater gar eines „deutschen Ichs“ – es entsteht nur über die Ausgrenzung anderer.
    „Heimat! verbindet Herkunft mit Sentimentalität und Besitzanspruch und mit der Abwehr des anderen.

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