Auf meine letzte Kolumne auf BILDblog gab es einige kritische Reaktionen von Transmenschen. Diese hier erschien zunächst auf einer eher privaten Website. Mit Erlaubnis des Verfassers darf ich sie nun hier veröffentlichen. Johannes
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„Man kann sich ohne weiteres für beides einsetzen. Man kann beides zusammen denken: Akzeptanz aller sexuellen Orientierungen und aller Identitäten“
von Jonas
Mitte November erschien in Johannes Krams Reihe „Politically Correct“ auf dem BILDblog ein Beitrag, der sich mit der „Haben wir keine wichtigeren Probleme als…“-Rhetorik derjenigen beschäftigt, die auf die political correctness schimpfen. Der Artikel kritisiert diese Rhetorik zu Recht als populistisch und argumentiert, dass – wenn wir es mit der „Wertegemeinschaft“ ernst meinen – die Rechte marginalisierter Gruppen ebenso viel Beachtung finden müssen, wie die der Mehrheitsgesellschaft:
„Die NATO, also das, um was sich Journalisten wie Kohler gerade Sorgen machen, ist eben nicht wichtiger als die ‚Rechte der Schwulen‘, sie ist im Gegenteil unter anderem auch dafür da, diese zu garantieren. Zumindest dann, wenn man die Werte im Begriff ‚Wertegemeinschaft‘ als universal begreift“.
Soweit so richtig. Aber es gibt ein „aber“.
Denn Johannes Kram benutzt in der Überschrift neben einer abwertenden Bezeichnung für Homosexuelle ein Schimpfwort, das sich gegen trans* Menschen – und zwar fast ausschließlich gegen trans*weibliche Personen – richtet: „Nein, die **** und die **** sind nicht Schuld an Trump“.
Ich stoße mich massiv an der Verwendung dieses transmisogynen (also transfrauenfeindlichen) Schimpfworts. Es soll – zusammen mit dem kompletten Beitrag – dazu dienen, die Abwertung, die transgeschlechtliche Menschen erfahren, als Abwertung „erkennbar“ machen und sie „vorführen“. So beschrieb es Johannes in seiner Antwort auf meine zunächst per Direktnachricht formulierte Kritik. Also: das Schimpfwort soll einen Missstand entlarven.
Dazu ein paar Gedanken aus Sicht einer trans*männlichen Person.
Ein abwertender Begriff kann von denen, gegen die er sich richtet, in einem Akt des „Reclaiming“ zurückerobert werden. Durch dieses Reclaiming können die Begriffe einen Bedeutungswandel, eine erneute positive Besetzung erfahren. Die Verwendung pejorativer Begriffe als Selbstbezeichnung kann als Strategie des Empowerment, der (Selbst)Ermächtigung, gesehen werden. Ein Beispiel für ein solches Reclaiming ist z.B. der Begriff „queer“, der mittlerweile wieder positiv besetzt ist und nicht mehr als Beschimpfung wahrgenommen wird.
Jetzt geht es in der Überschrift des Blogbeitrags nicht direkt um ein Reclaiming – dem Schimpfwort soll hier keine neue, positive Bedeutung gegeben werden. Aber es ist ein rhetorisches Mittel, mit dem eine bestimmte, idealerweise positive, Wirkung erzielt werden soll. Die Frage ist nun, wie beim Reclaiming auch: Welche Folgekosten hat es diesen Begriff zu verwenden, solange er eben noch negativ besetzt ist? Denn egal, wie das Wort und seine Verwendung „gemeint“ sind – es ruft bestimmte Assoziationen bei den Leser*innen hervor. Und es wird unweigerlich bei Menschen, gegen die es schon verwendet wurde, Erinnerungen an negative Erlebnisse (Abwertungen, Beschimpfungen, Gewalterfahrungen) auslösen.
Ich finde, es gehört zur Verantwortung von Autor*innen, abzuwägen ob die sprachlichen Mittel die sie in einem solchen Fall wählen dem Ziel wirklich angemessen sind. Und – das ist für mich einer der Knackpunkte – die Entscheidung darüber Worte zu verwenden, die für eine marginalisierte Gruppe negative Konsequenzen haben können, kann aus meiner Sicht nur von der betroffenen Gruppe selbst getroffen werden. In diesem Fall sind das weder cisgeschlechtliche Menschen – also Menschen, die nicht trans* sind – noch männliche Personen, egal ob cis oder trans*. Denn weder Cismenschen noch männliche Personen trifft diese Beschimpfung in der Regel. Den Schaden haben vor allem trans*weibliche Personen.
Was für ein Schaden denn? Sind doch nur Worte, oder?
Nein, sind es nicht. Worte verletzen, Worte traumatisieren. Und gerade das von Johannes Kram verwendete Schimpfwort ruft einen Diskurs auf, unter dem trans* Weiblichkeiten massiv zu leiden haben und der geprägt von ist Fetischisierung und Objektifizierung und von einhergehenden gewaltsamen Akten.
Und wisst ihr, was die Ironie ist? Eine solche Objektifizierung erfahren trans* Menschen auch in Johannes Krams Artikel. Er zaubert sie aus dem Hut als er eine Menschengruppe braucht, mit der sich „Andersartigkeit“ besonders gut illustrieren lässt:
„Es gibt nur noch eine Gruppe, die sich noch besser zum liebsten Hass-Symbol der Demagogen eignet: Transmenschen. Der „Grad“ ihrer Andersartigkeit verbunden mit der Tatsache, dass die allermeisten Trump-Wähler nie bewusst einen von ihnen zu Gesicht bekommen werden, machten sie zu deren idealem Schreckgespenst“.
Vor und nach dieser Passage spielen transgeschlechtliche Menschen und ihre Rechte keine Rolle in dem Beitrag. Es geht um die Rechte von homosexuellen Menschen. Es geht um die Akzeptanz ihrer sexuellen Orientierung und um eine „Ehe für alle“ (die keine Ehe für alle ist, solange wir an einem binären Geschlechtermodell festhalten, aber das nur am Rande). Der Artikel – wie übrigens auch schon der an die „lieben Heteros “ gerichtete Beitrag Johannes Krams zum Orlando-Massaker – kommt komplett ohne das Konzept von Cisgeschlechtlichkeit aus. Johannes Kram blendet damit eine Dimension von Diskriminierung vollständig aus, unter der trans* Menschen massiv leiden und die nicht verschwunden sein wird, wenn gleichgeschlechtliche Paare endlich heiraten können.
Ich möchte die Ehe für alle. Ich möchte sie unbedingt und ich setze mich für sie ein! Aber ich möchte auch das Recht, in meinem Geschlecht anerkannt zu werden – ohne unnötige Hürden. Ich möchte Selbstbestimmung darüber, welcher Name und welches Geschlecht in meinen amtlichen Dokumenten steht, ohne mich pathologisierenden Begutachtungsverfahren aussetzen zu müssen und ohne die damit verbundenen Kosten.
Man kann sich ohne weiteres für beides einsetzen. Man kann beides zusammen denken: Akzeptanz aller sexuellen Orientierungen und aller Identitäten. Aber Johannes Kram gelingt das im BILDblog nicht – wie schon in dem oben erwähnten Artikel zu Orlando. Es ist symptomatisch, wie auch dort die_der „Hetero“ als absoluter Gegensatz von LGBTIQAA* positioniert wird. (Freundliche Erinnerung: Auch trans* oder intergeschlechtliche Menschen können hetero sein). Dadurch erscheint es so, als würden sich die Probleme der Menschen im trans* oder inter Spektrum dann schon irgendwie lösen, wenn wir nur mehr Akzeptanz für „sexuelle Vielfalt“ erreichen.
Das funktioniert so nicht! Und ich empfinde es vor diesem Hintergrund als Hohn, wenn mir suggeriert wird, dass die Nutzung des transfeindlichen Schimpfworts doch durch den Nutzen zu rechtfertigen sei, den wir davon haben.
Ich kann aus meiner alltäglichen Erfahrung versichern, dass vielen Menschen der abwertende, verletzende Charakter des verwendeten Worts nicht bewusst ist. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich daran nach dem BILDblog-Artikel nichts verändert hat. Genauso wenig, wie der Beitrag ein größeres Bewusstsein für die Art der Diskriminierung schafft, die trans* Menschen erfahren. Die Nutzung des Worts ist für mich vor diesem Hintergrund nur eine weitere Instrumentalisierung von trans* Menschen.
Effekthascherei – auf unsere Kosten.♦
Vielen Dank Johannes, vielen Dank Jonas – der (durchaus ja scharf kritisierende) Widerspruch und die Einbettung auf den nollendorfblog beweist, dass ein kritischer, stets argumentierender Diskurs frei von Beleidigung, Eitelkeit und Hass, ohne Rechthaberei und moralischer Überlegenheitsgeste so ungeheuer sinnvoll und – davon bin ich überzeugt – nötig ist, um in diesen beängstigenden Zeiten nicht in die Falle all derer zu tappen, die ein simples „Ich“ und „der/die/das Andere“ benötigen, um zu separieren, aufzuspalten und zu radikalisieren und den hieraus sich speisenden Hass als Brandbeschleuniger nutzen.