Letzte Woche haben Mitglieder der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ für mehrere Minuten eine Gesprächsveranstaltung in Berlin mit dem Freitag-Herausgeber Jacob Augstein und der ehemaligen Bischöfin Margot Käßmann mit rechten Parolen gestört. Vieles spricht dafür, dass diese Störaktion eine weitere Stufe im Erstarken und im Selbstbewusstsein rechtsextremer Gruppen in Deutschland markiert. Jacob Augstein schrieb auf SPIEGEL ONLINE:
„Zwei Reihen im Publikum erhoben sich, Schilder wurden gereckt, Fäuste geballt, Parolen gebrüllt. Aber das waren lauter nett aussehende, adrette junge Leute. Sie hielten ordentlich ihre Schilder. Sie brüllten ordentlich. Und als man sie des Saales verwies, gingen sie ordentlich davon. Darf ich vorstellen: die „Identitäre Bewegung“, unsere neuen Nazis.“
Vergleichbares hat es in der Bundesrepublik noch nicht gegeben. Darauf war niemand vorbereitet, es gibt keine Erfahrungen aus denen man ableiten könnte, wie man mit einem solchen Vorfall umgehen sollte.
Das Gorki-Theater, in dem die Veranstaltung stattgefunden hat, hat vor einigen Tagen ein großes Transparent vor dem Theater aufgehangen. Darauf steht:
„Wir behalten uns vor, von unserem Hausrecht gebraucht zu machen und Personen, die rechtsextremen Parteien oder Organisationen angehören, der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch rassistische, nationalistische , antisemitische oder sonstige menschenverachtende Äußerungen in Erscheinung gerteten sind, den Zutritt zur Veranstaltung zu verwehren oder von dieser auszuschließen“
Ich verstehe, dass das Theater irgendwie reagieren musste. Und ich verstehe auch, dass eine solche Reaktion nie ganz richtig sein kann. Auch wenn es es in diesem Fall mehr als sonst mehr Veranstaltungsort als Kunstbetrieb war, wie will man das trennen, was es zu schützen gilt? Die Künstler, das Haus, die Kunst? An einem guten Theater ist das alles eins und das Gorki ist eines der besten. Und es geht ja auch nicht nur um das, was es zu schützen gilt, sondern auch um das, wovon man sich abgrenzen muss.
Natürlich muss das Gorki Theater, erst recht nach diesem Vorfall, ein deutliches Zeichen gegen Rechts setzen. Aber dieses Transparent finde ich ihm Rahmen der vielen falschen denkbaren Möglichkeiten für eines der falschesten.
Natürlich darf man solche Aktionen nicht dulden, natürlich darf man rechtextreme Organsisationen nicht salonfähig machen, natürlich kann mit mit den allermeisten Vertetern der Neuen Rechten keine faktenbasierte konstruktive Diskussion führen, natürlich gibt es die Grenzen des Diskurses, und die verlaufen sehr eng.
Aber auf dem Schild vor dem Gorki steht etwas ganz anderes.
Was soll das heißen, sich auf diese demonstrative Weise vorzubehalten, Personen, die „in der Vergangenheit durch rassistische, nationalistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Äußerungen in Erscheinung getreten sind, den Zutritt zur Veranstaltung zu verwehren“?
Hier geht es nicht um Organisationen, um Protagonisten, um Störer. Hier geht es um „in Erscheinung“ getretene Personen. Und so schlimm das auch ist, dass diese Personen auf diese Weise sichtbar wurden, es hat eben auch etwas Gutes: Sie sind sichtbar. Man weiß, wer sie sind. Man kann sie erreichen.
Müsste es nicht gerade jetzt darum gehen, solche Personen anzusprechen um sie zu konfrontieren, zu stellen und mit ihnen einen Diskurs über gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zu wagen? Müsste nicht gerade ein Haus wie das Maxim Gorki Theater (es ist aktuelles „Theater des Jahres“) an vorderster Stelle stehen, wenn es darum geht, unterschiedlichste Teile der Gesellschaft einzufangen und ins Gespräch zu bringen statt schon an der Eingangstür zwischen den Guten und Bösen zu unterscheiden?
Müsste es nicht gerade in diesen Zeiten darum gehen, mit Mitteln des Theaters zu verdeutlichen, dass es eben die Guten und die Bösen so nicht gibt, dass es eben so einfach nicht ist? Dass Rassismus ein Problem ist, das uns alle betrifft, dass wir alle – auch wenn wir das nicht wahrhaben wollen – uns in der Vergangenheit bereits rassistisch, menschenfeindlich geäußert haben, ganz einfach weil wir in einer strukturell rassistischen Gesellschaft großgeworden sind?
Müsste es nicht genau darum gehen, das zu beleuchten, also wo fängt Rassismus an, wie können wir ihn – auch bei uns!- erkennen, welche persönlichen und gesellschaftlichen Wege gibt es, ihn zu überwinden? Wem sollten wir zuhören, mit wem sollten wir reden, mit dem wir es sonst nicht tun?
ich finde fast alles, was ich im Gorki gesehen habe richtig klasse und wichtig. Und Theater darf auch der Selbstsuche und -vergewisserung dienen, der Abgrenzung, dem Empowerment von sich mit anderen, wie das ja bei Falk Richters Smalltown Boy so wunderbar gelungen ist.
Aber kann und müsste sich nicht gerade ein solches Theater in einer solchen Situation wirklichen Mut leisten, statt einer mutigen Pose, mit der es überall nichts als offene Türen einrennt?
Ist nicht ein solches Schild viel mehr Bestätigung an die eigene Klientel, sich keine Gedanken zu müssen, weil sie auf der richtigen Seite steht, statt dem, was eigentlich sinnvoll – und auch (gerade im Gorki! wo denn sonnst?) möglich ist: Ihr zuzumuten, dass auch sie nicht nur Teil der Lösung ist. Sondern auch des Problems?
Müsste nicht Theater heute versuchen, in seinen Inszenierungen Antworten zu suchen. Statt welche an die Tür zu schreiben, die keine sind? ♦
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Im Nollendorfblog zu Falk Richters „Small Town Boy“ im Maxim Gorki Theater:
„Schluss mit dem Theater! Geht ins Theater!“
Eurovision und Xavier Naidoo: Die ARD bastelt sich einen „wunderbaren N.-Wort“
„Rottet die Homosexuellen aus, und der Faschismus ist verschwunden!“
Maxim Gorki
Ein Theater, das gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, ja den Aufruf zum Massenmord, im Namen führt, sollte sich in gesellschaftspolitischen Fragen bedeckt halten.
@ Ralf: sehe ich nicht so. Das Gorki ist sich um sein problematisches Namenserbe bewusst und sieht es als Verpflichtung und Ansporn, diesem Geist entgegenzutreten. Wie gesagt: Ich finde die inhaltliche Arbeit des Gorki klasse. Umso unverständlicher und trauriger ist es, dass sie so eine Aktion machen
Inhaltlich bin ich völlig Deiner Meinung. Nur sehe ich durchaus eine Linie zum stalinistischen Erbe dieses Theaters. (Warum hält man wohl an dem Namen fest?) Es ist, wie Du sagst: Man markiert Antifaschismus – aber das ist im wahrsten Sinne des Wortes nur Theater. Wie soll denn das gehen? Der Intendant entdeckt im Publikum einen Mann, von dem er weiß, dass er sich vor 14 Tagen auf einer Demo rassistisch oder allgemein rechtsextrem geäußert oder dort ein entsprechendes Plakat gezeigt hat – und jetzt unterbricht er die Vorstellung, um den Mann des Hauses zu verweisen? Vielleicht ist das weit hergeholt, aber mich erinnert das an das Schild „Juden sind hier unerwünscht“. Mit solch leicht angreifbarer scheinsauberer Propaganda entlarvt man eher sich selbst, als dass man gesellschaftlich was bewegt. In diese Falle tappt man schnell, wenn man „gegen“ etwas sein will. Ich bin der Ansicht, dass „gegen“ nicht genügt. Das ist ja gerade der Fehler beim Antfaschismus (auch beim Antikommunismus). Ich muss „für“ etwas sein. Daraus ergibt sich dann meine Ablehnung des Gegenteils. Ich selbst bin z.B. nicht „gegen“ Rassismus, Antisemitismus und was es an Unersprießlichem sonst noch so alles gibt. Ich ziehe es vor, „für“ etwas zu sein, nämlich für Vielfalt der Gesellschaft und für Freiheit des Individuums. Daraus ergibt sich automatisch die Ablehnung jeder Art von politischem und religiösem Extremismus. Antifaschist sein ist unaufrichtig, wenn man gleichzeitig das stalinistische Erbe wahrt, nicht nur im Namen, sondern auch in der Ausgrenzung unliebsamer Personen. Ein Theater ist eine öffentliche Einrichtung, jedenfalls von seinem Anspruch her, in die Gesellschaft hineinzuwirken. Es darf nicht sein Publikum selektieren (ich benutze dieses Wort mit Absicht). Störern Hausverbot erteilen ist eine Sache. Das Recht zum Besuch kultureller Einrichtungen von einer bestimmten Gesinnung abhängig machen – das ist was ganz Anderes und steht schnell in der Nähe von Ideologien, die für den Theaterbesuch oder auch nur für das Sitzen auf einer Parkbank eine bestimmte Hautfarbe oder „Rasse“ verlangen. Und so schließt sich der Kreis. Man ist im Kern nicht anders als das, wogegen man vorgeblich kämpft, nur eben rot statt braun, Gorki statt Goebbels.
Ich lese diese Ankündigung etwas anders.
Für mich bezieht sich das auf Störer einer laufenden Vorführung.
Ein Theaterstück ist nun mal keine Diskussionsveranstaltung. Reden kann man vorher oder nachher, aber nicht mittendrin. Und natürlich muss es dem Theater überlassen bleiben, ob es das überhaupt möchte. Die dort Arbeitenden haben ihre Jobs nicht angefangen, um mit Extremisten zu diskutieren. Nichts dagegen, dass es getan wird, aber das würde ich ja von meinem Zahnarzt auch nicht verlangen, geschweige denn, es mir selbst im Büro aufs Auge drücken zu lassen.
Ich sehe Theater aber auch als „Stichwortgeber“ für weitere Aktionen und weiteres Nachdenken, nicht als „Austragungsort“. Kenne allerdings auch das Gorki und sein Selbstverständnis nicht persönlich, vielleicht ist es dort ja anders geplant.
Fand’s allerdings sehr gut, wie Du
…gleich von Anfang an klargestellt hast, dass Du die Problematik einer „richtigen“ Reaktion verstehst.
(Sorry, es war eine harte Woche…)