Ja, es geht hier um den neuen Berliner Tatort „Wir – Ihr – Sie“ , ja genau den, bei dem der Kommissar Sex mit einem Mann hat. Aber es geht um viel mehr. Deshalb erstmal eine kleine Würdigung dessen, was da bisher so alles schief gewesen ist.
Noch bevor ich selber wusste, dass ich es war, ja, bevor ich überhaupt richtig kapierte, was das eigentlich ist, schwul, wusste ich, dass es so mit die größte Scheiße sein muss, die einem passieren kann. Einer der Gründe dafür war, dass es die Schulleitung meines Gymnasiums eine tolle Idee fand, einen katholischen Priester (einen, und das war Teil des Problems, sehr freundlichen, aufrichtigen, aber trotzdem halt katholischen Priester) uns das mit der Sexualität erklären zu lassen. Ein anderer Grund war Derrick.
Neben den schönen Villen der mordverdächtigen oberen Zehntausend ist mir vor allem Schwulsein als Todesursache im Gedächtnis geblieben, die immer kurz vor Ende aus dem Hut gezaubert wurde, also dann, wenn alles, was eigentlich plausibel gewesen wäre jetzt doch irgendwie nicht mehr sein kann. Wenn nichts mehr ging, ging immer noch Tod wegen schwul. Egal, ob es dann was mit Familienschande, einer unglücklichen unmögliche Liebe, einem unmöglichen Leben oder mit Erpressung zu tun hatte: Ich lernte schnell, dass Schwulsein etwas war, von dem man mindestens so viel Angst haben musste, wie vor Verkehrsunfällen, Naturkatastrophen und bösen nächtlichen Monstern. Das war in den 70ern. Aber auch heute noch werden Krimis so erzählt. Ralf Husmann, der„Stromberg“-Autor schrieb seinen Dresdner Tatort „Auf einen Schlag“, der Anfang März diesen Jahres ausgestrahlt wurde, genau nach diesem Strickmuster.
Im Unterschied zu seinen früheren Kollegen darf vermutet werden, dass Husmann nicht selbst der Meinung ist, dass Schwulsein irgendwie Mist ist, ja, dass er wahrscheinlich sogar die, die so denken, kritisieren möchte. Dass er die homophoben Verhältnisse ändern möchte.
Tut er aber nicht. Mit seiner hanebüchenen Story von einem, der sterben muss, weil sein Schwulsein schlecht fürs Schlager-Image ist, konstruiert er eine irrige Realität, die natürlich keine schlimmen Zustände beschreibt und anprangert, sondern die Angst und die Logik, die solchen Zuständen zugrunde liegen, restauriert und beschwört. Oder, um es anders zu sagen: Man wünscht sich, dass möglichst wenige Coming-out-Schwule sich diesen Tatort angesehen haben.
Aber das darf Kunst. Kunst darf dummer Blödsinn sein. Auch leichtsinniger, gefährlicher, angstmachender, verletzender Blödsinn. Gerade was deutsche Fernsehkrimis betrifft, sind Lesben und Schwule jahrzehntelang damit aufgewachsen, damit irgendwie klarzukommen. (Hier dazu ein schöner TV-Geschichtsrückblick für dpa von Gregor Tholl) Eine Story muss nicht stimmen. Sie muss nur gut sein.
Doch darum geht es hier nicht, das hier ist kein Kritiker-Blog. Hier beschäftige ich mich in Bezug auf Medien damit, was sie mit oder aus Homosexuellen, vor allem Schwulen machen, wie sie sich (bewusst oder unbewusst) für oder gegen unsere Emanzipation stellen, wie sie die Herausforderung einer angemessenen Beschäftigung mit neuen und alten homophoben Mechanismen und Entwicklungen meistern.
Und wie sie daran scheitern:
Während Husmanns Tatort-Vorgänger ihre Schwulenstorys vor allem dadurch verklärten, dass sie die Homos als Freaks zeigten, ist es heute üblich, die Homohasser zu Freaks zu machen. Bei „Auf einen Schlag“ waren das depperte Volks- und Schlagermusiker. Irgendwelche offensichtlich aus der Zeit gefallenen Idioten halt, über die sich der Alltagshomophobiker dann erheben kann, und sich dann trotzdem als Opfer fühlen darf, wenn man ihn für sein „Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber“ kritisiert.
So sind – und da ist das deutsche Fernsehen ja voll davon – auch gut gemeinte Geschichten über Homosexuelle im Endeffekt homophobe Geschichten, weil sie einen Konsens beschwören, bei dem die Homohasser (die Rassisten, die Fremdenfeinde, die Frauenfeinde) immer die anderen sind. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dieses schreckliche öffentlich-rechtliche Konsens-Narrativ, dieses „Wir sitzen alle auf einer Couch“-Prinzip mit dazu beigetragen hat, dass Deutschland ein Land ist, in dem selbst Leute wie Beatrix von Storch der Meinung sind, sie seien nicht homophob.
Aber es geschehen eben noch Wunder. Und eines davon ist eben der neue Berliner Tatort. Dass da zum ersten Mal mit Mark Waschke als Kommissar Karow ein Ermittler beim gleichgeschlechtlichen Sex gezeigt wird, ist nicht das Besondere. Nach ein paar Hundert Folgen war es einfach an der Zeit. Das Besondere ist, dass dieser Zeitwechsel hinein in die Realität fast alles richtig macht, was sonst fast immer, wenn es um Homosexualität in den Medien geht, falsch gemacht wird. (Über die Obsession von TV-Machern, Schwulenbars als Fetisch-Läden – in dem Fall Toms Bar umgestylt als „Maybe“ – darzustellen, gehen wir heute mal gütig hinweg.) Also, richtig gemacht:
Es fängt damit an, dass der Sex unmissverständlich sichtbar ist (mit einem passiven Kommissar, was für viele Zuschauer die Unmissverständichkeit noch unterstreichen könnte). Aber der Blick auf die beiden ist weder voyeuristisch nah, noch wendet er sich angeekelt ab, er will weder erotisieren, noch provozieren. Er will einfach nur erzählen: Kommissar Karo wird gerade gefickt. Die Szene taugt nur für die als Skandal, für die Homosexualität sowieso ein Skandal ist. (Hier geht es zum Nollendorfblog-Archiv über die Homophobie der BILD-Zeitung)
Aber eine Sensation ist sie trotzdem. Und zwar, weil sie alles vermeidet, was eine Sensation daraus machen könnte und normalerweise macht.
Während gleichgeschlechtlicher Sex im deutschen Fernsehen wahlweise als mutig, lustig, peinlich oder pikant zu gelten hat, ist es hier einfach nur, was es eben ist: Sex. Und da es im echten Leben wie auch in diesem Drehbuch Leute gibt, die das nicht so sehen können, fällt ein Satz, auf den Generationen von queeren Kindern vor deutschen Fernsehern innerlich gehofft haben, dass es einmal so einen Satz geben kann.
Es ist die Stelle, als die Kollegen das Videoband einer Überwachungskamera sichten, und ihrem vorgesetzten Kommissar jetzt beim Geschlechtverkehr mit einem Mann zuschauen. Und dann der eine Kollege darüber einen Witz machen will, was er da gerade sieht. Und dann überraschenderweise der Kommissar selbst dazu kommt, also jetzt neben seinen Kollegen steht, die ihm gerade beim Sex zusehen. Und dann zu dem Witzbold bezogen auf seinen guten Sex sagt: „Davon kannst Du nur träumen“.
Puh! Es geht doch. Endlich mal eine coole schwule Hauptfigur (oder zumindest ein Mann, der mit einem anderen Mann Sex hat, das ist noch nicht ganz klar …) die kein Freak, kein Opfer ist, die sich nicht schämt, sich nicht versteckt, nicht verklärt. Die einfach nur Sex hat und zeigt, dass darüber nur geredet wird, weil die anderen darüber reden.
Natürlich ist auch das nicht „normal“ im Sinne, dass so was, wenn es stattfinden würde, unbedingt so laufen würde. Es ist nicht mal wahrscheinlich. Aber es kann eben so laufen.
Und es könnte noch öfter so laufen, wenn Medien sich das auch vorstellen könnten. Und wenn Medien (wie der rbb, der diesen Tatort entwickelt hat) darauf verzichten, daraus einen Coup zu landen, wenn sie nicht alles wieder kaputt machen, weil sie sich dafür feiern lassen, wie mutig sie waren. Und wenn Schauspieler einfach nur Schauspieler sind, die sich ihrer Rolle und deren Geschichte verpflichtet fühlen und nicht dadurch ein ganz anderes Kopfkino starten, indem sie darüber reden, wie es ist, als Hetero einen Schwulen beim Sex zu spielen.
Ob dieser Tatort auch für Jungendliche geeignet ist? Ja, ganz besonders gut sogar!
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Hier der Vorbericht zum Tatort „Wir – Ihr – Sie“: BILD versaut schwulen „Tatort“ – Sex
Hier Nollendorfblog-Archiv zum Thema „Homosexuelle in den Medien“
Nächste Woche erscheint hier die TV-Krimi-„Homo-Zählung“. Bitte helft noch mit, eine Auflistung aller deutschen TV-ErmittlerInnen zu erstellen und ihrer Sexueller Identitäten zu erstellen:
Alles klar Herr Kommissar? Auf zur Krimi- und Homozählung!
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Das Vorschaubild (siehe Startseite) zeigt den (heterosexuellen) Schauspieler Felix Betzin, der in „Wir – Ihr – Sie“ u.a. die Sex-Szene mit Mark Waschke spielt. Auch er konnte der Anfrage des Nollendorfblogs widerstehen, darüber zu reden.
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