Am 11. Mai hat Christine Lüders, die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, nach Vorlage eines neuen Rechtsgutachtens die Bundesregierung aufgefordert, die nach dem Paragrafen 175 erfolgten Urteile gegen homosexuelle Männer aufzuheben und diese zu entschädigen.
In der Presseerklärung der Antidiskriminierungstelle hieß es:
„Bis zur Entschärfung des Paragraphen im Jahr 1969 wurden nach Schätzungen rund 50.000 Männer zu teils mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, danach etwa 3.500. Sie verloren nicht selten Arbeitsplatz und Wohnung und erlitten soziale Ausgrenzung. Das Leben Hunderttausender weiterer schwuler Männer wurde durch die Angst vor Entdeckung, Erpressung und Existenzvernichtung geprägt.
Die 19.00 Uhr Ausgabe zdf-heute-Sendung vom gleichen Tag berichtete darüber und bebilderte die Nachricht mit diesem Foto:
Ich hatte daraufhin das ZDF angeschrieben, und nachgefragt, worin die Redaktion den Symbolgehalt bzw. den inhaltlichen Zusammenhang des Bildes zum entsprechenen Nachrichtenthema sieht.
Gestern hat mir der Sender wie folgt geantwortet:
„In Ermangelung geeigneter Fotos zur Illustration des Themas wurde leider ein ungeeignetes verwendet. Dies geschah arglos, was natürlich an der Wirkung des Bildes nichts ändert. Auch innerhalb der Redaktion löste dies erhebliche Kritik aus: Es war ein Fehler und abwegig, dieses Bild zu verwenden. Die Redaktionsleiterin des „heute-journals“, Anne Reidt, hat dies auch umgehend in einem Tweet eingeräumt.“
Das Positive dieser Antwort ist, dass die Redaktion einräumt, Mist gebaut zu haben. Das meine ich ganz im Ernst. Ich habe schon oft Journalisten auf ihr Bild von Homosexuellen (bzw. das Bild, das sie von Homosexuellen zeigen) angesprochen. In den allermeisten Fällen haben sie meine Frage gar nicht verstanden, geschweige denn auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht, ob und inwieweit sie mit ihrem Bild das Bild von Homosexuellen prägen, verfestigen und was sie mit diesen Bildern eigentlich aussagen.
Das Ärgerliche an dieser Antwort ist, dass hier behauptet wird, es hätten keine geeigneten Fotos zur Verfügung gestanden. Dass das Blödsinn ist, kann man schon daran sehen, dass das ZDF das Foto nicht nur in der 19.00 Uhr heute-Sendung verwendete, sondern auch mehrere Stunden später im heute-journal. Wäre man also wirklich schon um 19.00 Uhr auf die Idee gekommen, dass das Foto „ungeeignet“ ist, hätte man also einen halben Abend Zeit gehabt, sich ein anderes zu besorgen.
Interessant ist auch, dass ich nach dem Grund der Verwendung des Bildes in der früheren Sendung gefragt hatte, aber als Antwort die Reaktion der Redaktionsleiterin des späteren Formats bekommen habe. Eine Reaktion die zu einem Zeitpunkt stattgefunden hat, wo der selbe „Fehler“ bereits zweimal gemacht wurde und schon auf mehreren Kanälen dagegen protestiert worden war.
Die eigentliche Frage ist ja, worin die Redaktion den Fehler sieht. Und ob hinter diesem Fehler ein System steckt, oder ob es – wie die Antwort des Senders suggeriert – einfach nur dumm gelaufen ist. Oder ob das „dumm gelaufen“ einfach zum System gehört. Man sich also generell keine großen Gedanken dazu macht, und sich dann eben entschuldigt, wenn einem gar keine Erklärung mehr einfällt, warum man das, was man so macht, eben so macht.
Genau danach hatte ich nämlich auch gefragt:
„Wie wichtig war es für die Auswahl des Fotos, dass hier ein (halb-) nackter schwuler Mann zu sehen ist, oder war das Zufall?
Wurde dieses Foto speziell für diese Nachricht ausgesucht, oder steht es ganz allgemein für das Thema „Schwule“ bzw. „Homosexuelle“?
Wie oft und in welchen Zusammenhängen wurde dieses Foto bisher bereits verwendet?“
Aber darauf wollte (oder konnte) das ZDF mir keine Antwort geben.
Dabei wäre es doch gerade in diesen aufgeregten Zeiten, in denen Klischees, Stigmatisierungen und Vorurteile über Minderheiten die politische Debatte – und somit die Nachrichtenlage -bestimmen, so wichtig zu wissen, ob und welche Gedanken sich die Redaktionen über die von ihnen in die Welt gesetzten Bildaussagen machen. Wie wird über sowas diskutiert? Nach nach welchen Kriterien finden diese Diskussionen statt?
Wie kann es eigentlich passieren, dass eines der wichtigsten Nachrichtenformate des Landes eine Nachricht, in der es um Justizopfer geht, denen man durch diskriminierende Stereotypisierung das Leben schwer gemacht hat, ausgerechnet mit einem steroetypisierenden Foto bebildert?
Weil kein anderes da war? Was heißt das? Weil kein anderes „schwules Foto“ da war? Warum überhaupt ein „schwules Foto“? Warum nicht – das macht man doch sonst so gerne bei Rechtsthemen, einfach eines von Justitia, warum nicht – denn die hätte es ja nun wirklich verdient gehabt – eines von Christine Lüders? Und warum fällt das, was man ja angeblich selbst so schlimm findet, stundenlang niemandem auf, bzw: warum gelingt es nicht, es irgendwie zu ändern?
Kann es nicht sein, dass gar nicht die „Ermangelung geeigneter Fotos“ das Problem ist, sondern die Tatsache, dass man einfach überfordert ist, ein Gefühl dafür zu haben, was ein „geeignetes Foto“ ist?
Das wäre ja nicht schlimm, diese Überforderung.
Denn es ist ja auch einigermaßen absurd, ein Thema in ein Symbolbild packen zu müssen, dass sich dafür einfach überhaupt nicht eignet. Wie zeigt man Homosexualität, Schwulsein, Homosexuelle, Schwule? Ist nicht das Bebildern wollen schon ein Teil des Problems? Weil Bebildern eben nur Sinn macht, wenn man „Unterscheidungsmerkmale“, also das Andere inszeniert, der Nachrichtenzusammenhang aber eben genau der ist, dass das Andere nicht anders ist. Ein homosexueller Mann sieht eben meist genau so gleich und so anders aus wie ein heterosexueller. Und wenn man dem Mann dann einen anderen Mann an die Hand gibt, dann zeigt man eben nicht zwei Homosexuelle sondern ein homosexuelles Pärchen. Was etwas anderes ist. Was das Bild noch weiter vom Inhalt der Nachricht entfernt. Egal ab der eine nun halbnackt ist, oder nicht.
Denn gerade beim Thema 175 geht es ja darum, dass die betroffenen Männer ja eben keine Paare sein durften und, wenn sie es waren, dies in der Öffentlichkeit eben nicht sein konnten. Dass die Verfolgung schon mit der Unterstellung, mit der Erpressung zu tun hatte, dass da ein Sexpartner ist, also, dass überhaupt kein Partner da sein musste, um vom 175 verfolgt zu werden. Dass durch den 175 mehrere Generationen von schwulen Männern in Deutschland gar nicht davon träumen konnten, Hand in Hand, halbnackt über die Straße zu laufen, wie es dieses Bild zeigt. Und dass die Tatsache, das heute in der Regel auch nicht einfach so möglich ist (und es sogar wieder schwieriger wird) eben auch mit dem 175 zu tun hat. Und damit, dass viele Medien, viele Journalisten gar nicht merken, wie sehr ihr eigenes Bild von Schwulen, und das, was sie über sie vermitteln, geprägt ist von einer den 175 ganz selbstverständlich inhalierten nachkriegsdeutschen Leitkultur.
Die Bildausssucher und – abnehmer beim ZDF haben nicht nur ein ein nicht-geeignetes Bild zu einer Nachricht verwendet. Sie haben offensichtlich auch gar nicht verstanden, worum es in der Nachricht geht.
Das wäre ja nicht schlimm, diese Überforderung. Wenn man in der Lage wäre, sie zugeben zu können. ♦
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Hier mehr zu Homosexualität und Medien in diesem Blog.
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Lesetipp zum Thema: Jan Feddersen auf SPIEGEL ONLINE über Entschädigungen für Opfer des „Schwulenparagrafen“:
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Hier geht es zum „Waldschlösschen Appell“ gegen Homophobie in den Medien, der von diesem Blog mitinittiert wurde. Passend dazu vom Macher dieses Blogs:
„Der Spiegel hat ein Homo-Tourette Syndrom“ (Interview mit dem Medienmagazin meedia.de)
Ein gutes Bild wäre gewesen: in der Mitte der Text von § 175 NS-Fassung, links und rechts davon die Täter – Adolf Hitler und Konrad Adenauer. Zwei Verbrecher und ihre Tat. Aber das hätte die Böhmermann-geschädigte Republik sicher überfordert.
nur kurz zur erklärung: bin hetero, hab mich aber auch öfter schon mit männern probiert. – und ich habe mal „layout“ in der werbung gelernt. – was an diesem hintergrund-foto ist denn so falsch ? hätte sowas auch selbst vielleicht zu diesem thema benutzt….
@Udo:
Bitte lesen Sie den oben abgebildeten Text, dann beantwortet sich Ihre Frage.
Eine lehrreiche Analyse. Ich hätte das Foto als seltsam und unpassend empfunden, hätte es aber nicht so präzise hinterfragen können wie es hier geschehen ist. Ziemlich schade finde ich außerdem, dass Homosexualität mit schwul sein gleichgesetzt wird, seltenst aber auch mit lesbisch sein. Ein Foto mit händchenhaltenden Frauen zum Thema Homosexualität ist vergleichsweise unwahrscheinlich.
Mich würde doch sehr interessieren, wie das ZDF auch Ihre anderen Fragen beantwortet (hätte). Obwohl die Antwort klar scheint: ein Mangel an Empathie und Sensibilität, ein Unvermögen und Unwille, sich in die Situation von Betroffenen hinein zu versetzen (wie Sie ja auch vermuten). Nicht nur beim Thema Homosexualität, sondern generell, wenn es um Minderheiten und „normfremde“ Lebensentwürfe geht.
Hm, wenn eine Aussage schon lautet „… nicht zwei Homosexuelle sondern ein homosexuelles Pärchen…“, dann wird schon deutlich, daß ein Problem produziert wird oder werden soll, das keines ist.
§ 175 StGB hat eben etwas bestraft, daß nicht bestrafenswert ist, auch keiner Bestrafung oder überhaupt einer Diskussion bedarf. Daher muß Rehabilitation her. Für den Bericht wurde eben ein Symbolbild verwendet, und dieses diskrimiert niemanden, es baut auch keine Vorurteile auf.
Man kann sich natürlich auch diskrimiert fühlen nur um des diskriminiert sein wollens.
@j. Im Grundsatz haben Sie natürlich recht, dass beim Thema Homosexualität Frauen in den Medien vielfach ausgeblendet werden. Hier hat das allerdings ausnahmsweise eine Berechtigung, das § 175 StGB a.F. ausschließlich sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe stellte.
Zum Thema insgesamt finde ich die Frage nach der Notwendigkeit der Bebilderung als solcher sehr vernünftig, jenseits davon das Bild selbst aber nicht völlig unvertretbar: Davon ausgehend, dass die Abgebildeten tatsächlich ein schwules Pärchen sind, zeigt das Bild halt einen Aspekt schwuler Lebenswirklichkeit. Dass sich davon nicht jeder repräsentiert fühlt liegt in der Natur heterogener Gruppen. Die Auswahl des Bilds muss auch nicht Ausdruck „einer den [§] 175 [StGB] ganz selbstverständlich inhalierten nachkriegsdeutschen Leitkultur“ sein, sondern kann genauso, wenn nicht gar naheliegender, Ausdruck der unter traditionell liberalen Journalisten verbreiteten (und dennoch leider unzutreffenden) Ansicht sein, dass vollständige Gleichberechtigung bereits erreicht und ein solches Bild im besten Sinne „normal“ ist. Natürlich muss man aber konzedieren, dass ein Ausdruck dieser naiven Haltung gerade vor dem Hintergrund der ausstehenden Rehabilitierung der nach § 175 StGB a.F. Verurteilten unsensibel ist. Womit wir wieder bei der Idee der Nicht. bzw. nicht abgrenzenden Bebilderung wären.
Edith sagt: „…, da § 175 StGB a.F. ausschließlich…“
Das ist halt das Problem mit Symbolfotos und Stereotypen. Sie sollen möglichst für alle sprechen und niemanden explizit ausgrenzen. Das einzige Problem, das ich mit dem Foto habe ist, dass der eine Mann halbnackt ist. Jetzt kann man sich beschweren, dass der eine nicht schwarz ist oder dass kein lesbisches Pärchen gewählt wurde oder dass überhaupt ein Pärchen gewählt wurde und kein einzelner Mann/keine einzelne Frau. Recht machen kann man es selten allen. Man sollte dieses Bild aber auch nicht zu mehr machen, als es ist; eine Bebilderung.
Es hätte ja auch ein Symbolbild „Justiz“ getan (Richterin in Robe, Justitia-Figur, der rote Einband eines Gesetz uchs) oder Paragraph und die drei Ziffern 175 oder das Portrait von Christine Lüders.
Nur mal so.
Wenn ich jedes Mal böse Emails schreiben würde, wenn mein Beruf, mein Hobby oder meine sexuelle Präferenz mit einem Symbolbild (oder gleich mit einem ganzen Artikel) auf ein dummes Klischee reduziert würde, käme ich aus dem Schreiben nicht mehr heraus (und hätte keine Zeit mehr für Arbeit, Hobby und Sex^^).
Daher durchatmen und lieber daran denken, wieviel schlimmer es hätte werden können. Und oft auch kommt. Das Bild ist zwar unpassend, aber es ist nicht herabwürdigend, ehrverletzend oder gar dahingelogen. Kommt auch oft genug vor und dann sollte man meckern.
Und, ja, ich hab den Artikel zweimal gelesen, aber einen echt knalligen Grund dafür, dass das Bild völlig daneben ist, finde ich echt nicht. Mücke und Elefant.
Genieße das Leben. Zum Ärgern ist die Zeit zu schade 🙂
Claus
Wie bereits von einem Vorkommentator erwähnt, stellte § 175 StGB die „Unzucht“ (= sexuelle Handlungen) unter Männern unter Strafe, nicht die männliche Homosexualität an sich, nicht gleichgeschlechtliche Partnerschaft, nicht Küssen, nicht Händchenhalten. Wie soll man das in einer Nachrichtensendung „bebildern“? Gar nicht?
Für meine Begriffe gelingt es dem Autor nicht, seine Ablehnung des „Symbolbildes“ überzeugend zu begründen – ich sehe nicht einmal, dass er es versucht, sondern er suggeriert nur, dies verstehe sich von selbst.
@ Stefan
Ich habe selten eine so bornierte Aussage gelesen wie die, dass die Hitler-Fassung des § 175 StGB nicht die sexuelle Orientierung, sondern nur die sexuelle Handlung kriminalisiert habe. So mag ein Juraprofessor argumentieren, dem das Paragraphenrittertum in Fleisch und Blut übergegangen ist. Tatsache ist: Wenn jede sexuelle Handlung mit Strafe bewehrt ist, dann ist jede sexuelle Handlung verboten und damit in der Tat ein so wesentlicher Bestandteil der menschlichen Persönlichkeit, dass es sich um eine massive Verletzung von Menschenwürde und Grundrechten handelt. Der Europäische Gerichtshof hält es deshalb für unzumutbar, jemandem anzusinnen, seine sexuelle Orientierung lebenslang zu unterdrücken und geheim zu halten, um der Verfolgung zu entgehen (siehe seine Rechtsprechung zum Asylrecht von Schwulen). Genau das aber forderte Adolf Hitler: lebenslang kein Sex, lebenslang keine Liebe, lebenslang keine emotionale Beziehung, lebenslang keine Gemeinschaft mit anderen Schwulen, geschweige denn Zusammenlenben mit einem Freund.
Und jetzt zu diesem Foto: Da fiel jemandem zur Bebilderung des Vorhabens, die Opfer einer schweren, systematischen staatlichen Menschenrechtsverletzung zu rehablitieren, nichts Besseres ein, als zwei händchenhaltende Männer von hinten zu zeigen. Wem die völlige Unangemessenheit dieses Bildes zum Thema nicht auf der Stelle von selbst einleuchtet, dem kann ich nur mit Goethe sagen: Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nie erjagen. – Hätte man, wäre es um Juden oder Sinti oder irgendeine andere Gruppe gegangen, zwei Ärsche von hinten gezeigt?! Ich wage die Behauptung: nie und nimmer.
Ich als Hetero habe auch den ganzen Text hier lesen müssen, um zu kapieren, was man gegen das Bild haben kann. Dass der Mann halbnackt ist? Big fucking deal…ich glaube ja, dass Homophobie wenig mit solchen Stereotypen zu tun hat, sondern schlicht damit, was saudumme Menschen daraus machen. Wenn ein Hetero-Paar halbnackt abgebildet worden wäre, hätte das auch niemanden gejuckt. Wenn ich schwul wäre, hätte es mich vermutlich mehr gestört, wenn das ZDF zwei Dragqueens oder ein Bild einer CSD-Parade gezeigt hätte.
@ Ralf: „Wem die völlige Unangemessenheit dieses Bildes zum Thema nicht auf der Stelle von selbst einleuchtet, dem kann ich nur mit Goethe sagen: Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nie erjagen.“ Schönes Totschlagargument: Wenn Du ’ne Erklärung brauchst, hast Du selbst schuld, das sieht doch jeder! Und dann muß natürlich noch Goethe zitiert werden, und spätestens dann muß es reichen.
Tut es aber nicht (und das gilt entsprechend für den Blogbeitrag). Selbstverständlich darf man mit der Bebilderung nicht einverstanden sein, und natürlich muß man das nicht nachvollziehbar begründen (können). Aber aus diesem Unvermögen anderen einen Vorwurf zu machen halte ich dann doch für reichlich gewagt.
@ Paulo
Dann hast Du zu früh mit Lesen aufgehört. Da kommen noch zwei Sätze:
„Hätte man, wäre es um Juden oder Sinti oder irgendeine andere Gruppe gegangen, zwei Ärsche von hinten gezeigt? Ich wage die Behauptung: nie und nimmer.“
Was fiel dem ZDF ein, das Vorhaben, schwule NS-Opfer aus 1945-69 zu rehabilitieren, zu bebildern? Zwei Ärsche von hinten. Wann je und in Bezug auf welche Opfergruppe hätte irgendein Fernsehsender in seinen Hauptnachrichten anlässlich der Aufarbeitung von NS-Unrecht oder irgendwelcher anderen staatlichen Menschenrechtsverletzungen zwei Ärsche von hinten gezeigt, um die Opfer zu illustrieren? Hast Du je gesehen, dass im Fernsehen bei einer Nachricht über Menschenrechtsverletzungen zwei Ärsche von hinten zu sehen waren? Judenverfolgung – Bild: die Ärsche von Juden. Benachteiligung von Schwarzen wegen ihrer Hautfarbe – Bild: die Ärsche von Schwarzen. Verfolgung politischer Gegner des chinesischen Regimes – Bild: chinesische Ärsche. usw. usf. Kein Nachrichtenredakteur hat das je getan und wird es je tun. Aber wenn es um Schwule geht, macht man es. – Ich weiß nicht, wessen Ignoranz größer ist, die desjenigen, dem zur deutschen Schwulenverfolgung nur schwule Ärsche einfallen, oder die desjenigen, der es normal und in Ordnung findet, beim Stichwort Schwulenverfolgung nur an Ärsche zu denken.
Für mich als Hetero zeigt das Bild keine „schwulen Ärsche“, sondern ein von hinten fotografiertes händchenhaltendes Männerpaar. Vielleicht hat ja die sexuelle Orientierung schon etwas mit der Frage zutun, wie man ein solches Bild wahrnimmt.
Es ist übrigens ein Irrtum, es gebe eine spezifische „Hitler-Fassung des § 175 StGB“. Vorher (von 1872 – 1935) sprach die Vorschrift von die „widernatürliche(r) Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts … begangen wird“, von 1935 – 1969 nur noch von einem „Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt“, dann von einem „Mann über achtzehn Jahre, der mit einem anderen Mann unter einundzwanzig Jahren Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen läßt“ (1969 – 1973) und von 1973 – 1994 schließlich von einem „Mann über achtzehn Jahre, der sexuelle Handlungen an einem Mann unter achtzehn Jahren vornimmt oder von einem Mann unter achtzehn Jahren an sich vornehmen läßt“.
Nach dem ganzen Durchlesen des Textes verstehe ich wenigstens (oder glaube zu verstehen), was an dem Bild so schröcklich ist: Dass der Autor nicht die Händchen sieht, sondern die Hintern.
Naja, was soll ich jetzt da sagen…. Selektive Wahrnehmung. Wie gesagt, jeder sieht, was er sehen will… Ich hab jetzt die Hände gesehen.. Ansonsten muss ich Peter zustimmen: Eine Dragqueen, DAS wäre unangemessen gewesen.. Und wie man den Geschlechtsverkehr symbolisiert, lass ich mal unkommentiert…
Und was Ralfs Judenvergleich angeht: Das Thema wird meist mit Schwarzweissen Fotos von Lagern oder Zugtransporten hinterlegt. Aber es geht hier eben nicht um Juden. Drum will ich gar nicht weiter drauf eingehen.
Sie haben wohl nichts Besseres zu tun, als aus Langeweile Briefe an das ZDF mit idiotischen Fragen zu schreiben um dann die Reaktion auch noch zu kritisieren. Wenn für Sie das Schwulsein so normal wäre, hätten Sie noch nicht einmal bemerkt, das da ein Mann ohne Shirt rumläuft (mir ist das auch erst aufgefallen, nachdem Sie diese behämmerte Frage gestellt haben). Ich finde Kritik an Stereotypen zwar m.E. angebracht, aber ein Photo ist nun einmal per se stereotyp.
Natürlich gab es eine spezifische Hitler-Fassung des § 175. Das Reichsgericht hatte die bis 1935 geltende Bismarck-Fassung stets so ausgelegt, dass sie nur für beischlafähnliche Handlungen (Anal- und Oralverkehr) galt. Hitler verschärfte den Paragraphen so, dass nicht einmal mehr körperliche Berührung erforderlich war, um den Tatbestand zu erfüllen. Ich führe das hier nicht weiter aus, sondern verweise auf den Wikipedia-Artikel zum § 175, der das sehr fachkundig und zutreffend erläutert. Unter Hitler und Adenauer genügte ein Kuss, eine „wollüstige“ Berührung, gegenseitige Onanie („Schenkelverkehr“), ja sogar wer zwei anderen beim Schmusen oder beim Sex nur zuschaute, war schuldig (dafür erfand man juristisch den „Triolenverkehr“). Die Verfolgung wurde im Dritten Reich und in der Bundesrepublik so intensiviert, dass im Gegensatz zur Weimarer Republik nun jede Form der Selbstorganisation, die Arbeit für die Entkriminalisierung (so sie von den Verfolgten selbst ausging), der Bestand von Kneipen, Selbsthilfegruppen, Treffpunkten und Zeitschriften verboten war. Ja selbst wer gar nicht schwul war und nur gesellschaftlichen Kontakt zu Schwulen hatte, wurde verfolgt. Berühmt wurde der Fall eines heterosexuellen Professors, der seiner schwulen Bekannten wegen als untragbar aus dem Dienst entfernt wurde.
@ Ralf: Ja, bei Wikipedia steht das so. Es ist aber falsch, denn das Reichsgericht hatte seine Rechtsprechung zum einen bereits vor Inkrafttreten der Neufassung 1935 geändert, und es hat sie zum anderen auch für die “Unzucht mit Tieren” geändert, für die sich der Wortlaut des Gesetzes überhaupt nicht geändert hatte (vgl. Pauli, Die Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen zwischen 1933 und 1945 …, 1992, S. 215 ff; Schäfer, „Widernatürliche Unzucht“ (§§ 175, 175a, 175b, 182 a.F. StGB), 2006, S. 38 ff.). Das Empörende an der Strafbarkeit der männlichen Homosexualität ist im übrigen doch gerade, dass es hierfür keiner Nazis bedurfte, sondern dass sich die Anschauungen des insgesamt eher nazifreien Gesetzgebers von 1969 nur graduell von denen der Vorkriegszeit unterschieden.
Wie relevant der Artikel von Johannes Kram ist, wird einem erst so richtig bewusst, wenn man sich durch die Kommentare arbeitet. Ich habe jahrelang schwulenpolitisch gearbeitet und musste immer wieder gegen Sexualisierung, gegen die Bilder im Kopf der heterosexuellen Mehrheit kämpfen. Bei dem Wort „schwul“ denkt halt kaum jemand an Partnerschaft, Liebe, Verantwortung oder gar Verfolgung. Vielmehr an Schwänze, Orgien oder CSD. Damit müssen wir anscheinend leben. Dass nun im ZDF auch Meldungen zu übelster Verfolgung und Diskriminierung mit in der Tendenz eher pronographischen Bildern belegt werden, macht mich ratlos und traurig. Und es verhönt die Opfer. Als wäre ein zwangssterilisierter Mann, ein nach §175 Verurteilter oder ein schwuler KZ-Überlebender mit nacktem Oberkörper, Hand in Hand mit seinem Lover durch eine deutsche Stadt gelaufen…
Der LSVD hat doch jetzt einen Sitz im ZDF-Fernsehrat. Wäre dort nicht das geeignete Gremium, den Vorfall noch einmal zu besprechen?
Ich muss zugeben, dass mein ‚Schwulenbild‘ vom Aufwachsen in einer teils engstirnig katholisierten, teils faschistoid geprägten Jugend und Jungerwachsenenzeit mit geprägt wurde, und später von dem typischen, in Film und Comedy benutzten Trottel-Tunten-Transporter. In jungen Jahren war daher die Angst vor dem Entdecktwerden, davor, dass es Jemand mitkriegen könnte, von welcher Art Heirat oder Partnerschaft ich eventuell Träume hege, das bestimmende Lebensgefühl. Obwohl zu der Zeit, in der ich erwachsen wurde, der $ 175 so keine drastisch bedrohliche Rolle mehr gespielt haben sollte, also Achtziger bis Neunziger.
Ich hätte eher Bilder erwartet, die vielleicht eine Originalfassung der Dokumente zeigen,oder eine Serie der Entwicklung, von den Urhebern bis zur Rehabilierungsbotschaft, von den Kämpfern, die sich bis zum Ende dieser deutschen Schande eingesetzt haben.
Andererseits finde ich das Bild typisch, nicht weiter schlimm, als hätte man ein Lesbenpärchen dargestellt, wo eine halt oben ohne zu sehen wäre. Da die Brüste dann nicht sichtbar wären, wahrscheinlich nicht einmal ein Problem für die Kirchlichen im Fernseh-Beirat.;o)
Das Bild ist zwar irreführend, man hätte es eher bei einer Nachricht über die eheliche Gleichstellung verwenden können, falls diese in unserem auf Rückstand so bemühten Land irgendwann doch noch einleuchten sollte. Oder vielleicht für positiv erfolgtes Outing, oder so etwas, wäre es irgendwann wirklich mal selbstverständlich, unbeirrt so durch einen Park zu flanieren, oder am Badesee herum zu laufen.
Esist jedoch gut zu sehen, dass hier „reguläre“ Männer gezeigt werden, anstatt, wie sonst ganz oft und immer noch, Transvestiten oder DWT-Fetischisten abzubilden, und damit zu suggerieren, alle Homosexuellen wären von einer Art Androgynität ‚betroffen‘.
Da hat sich also wohl doch etwas im Schwulenbild geändert, wie es heute durch die Medien vermittelt wird.
Das tut dem nichts ab, dass dieses Bild vielleicht wenig passend ausgewählt wurde, um auf die Rehabilitierung der Opfer des $ 175 aufmerksam zu machen.
Wahrscheinlich wurde es aus Gesichtspunkten hergenommen, dass für die Redaktion ausschlaggebend war, irgendwas das Homosexuelle Zeigende zu nehmen, weil die große Mehrheit der Zuschauer unter denen verortet wird, für die Schwule immer noch etwas Exotisches darstellen. Vielleicht glaubt man, ZDF schauen sich vorwiegend Menschen an, in deren Umkreis Homosexuelle nicht, oder nicht so häufig vorkommen. Oder welche so denken müssten, könnten, weil sich Homosexuelle in diesen Kreisen zurücknehmen sollen, sich selbst zurück halten, oder auch immer noch ‚besser‘ zurückhalten werden.
Eine Idee dazu.
Vielleicht war das Foto also nur ein kurz hergeholter, symbolisch einfacher Inbegriff von –> die beiden Männer halten Händchen = homosexuell, und sollte gar nicht spezifisch die Tiefe der Thematik anvisieren. Selbst wenn man damit rechnet, dass ZDF eher von komplexer strukturierten Zuschauern gesehen wird, als das vielleicht bei RTL der Fall sein mag, so sind doch gewisse, zeitgedrängte Handlungen in einer stresslastigen Arbeitswelt nicht abzuwenden.Ich weiß nicht, inwiefern die Bericht-Erstellung beim ZDF oder allgemein bei Medien von diesem Zeitverknappungsdrall betroffen ist, oder wie gestresst und beladen dort die Mitarbeiter sein mögen.
Vielleicht hat man einfach nur in den Ordner mit den LGBT-relevanten Bilder geklickt und irgendwas halbwegs wenig Bewegendes heraus gefischt, weil sogenannte ‚wichtigere‘ Nachrichten drängten.
Noch eine Idee.
Ein konstruktiver Vorschlag, da jetzt doch ein LSVD-Mitglied im Fernseh-Beirat zugegen sein gestattet wurde, wäre es eventuell, eine Sendung zu konzipieren, die sich mit der Geschichte um den $ 175 ausführlich auseinandersetzt, und etwa die Erfahrungsgeschichte von Opfern portraitiert, um der Öffentlichkeit so zu vermitteln, weshalb zumindest uns Schwulen die Auswahl von Bildern zum Begriff davon, wie wir wahrgenommen werden, etwas mehr bedeutet, als ein beliebiger Griff in die Kiste mit dem Label „LBGT“ oder „Homo“.
@ Stefan
Da scheinen die Aussagen auseinanderzugehen:
„Der wesentliche Mangel des bisherigen § 175 StGB bestand darin, dass -wenigstens nach der bisherigen Rechtsprechung- nur beischlafähnliche Handlungen getroffen wurden.“
Schäfer, Die Einzelheiten der Strafrechtsnovelle vom 28. Juni 1935, in: Deutsche Justiz 35, S. 994, zit. nach Stümke/Finkler, Rosa Winkel, Rora Listen, rororo 1981
Und zum totalen Irrsinn:
„Das bloße Anschauen eines Mannes wurde in dem Moment strafbar, wo der Betrachtete oder ein Beobachter in diesem Blick eine ‚wolllüstige Absicht‘ entdeckte (‚ideeller´Koitus‘).“
Stümke/Finkler, a.a.O., S. 216
@ Ralf: Die von der bisherigen Rechtsprechung abweichende Entscheidung des Reichsgericht zur Strafbarkeit der mutuellen Onanie (RGSt 69, 273) erging am 1.8.1935, d.h. zur alten Fassung des § 175 RStGB, nicht zur erst am 1.9.1935 in Kraft getretenen Neufassung.
Und nochmal: Ich weiß wirklich nicht, ob der Vorgang dadurch schlimmer wird, dass man sich vorstellt, dass da „Hitler“ oder irgendwelche Nazis am Werke waren. Für meine Begriffe wird es gerade dadurch schlimm, dass es dafür keiner Nazis bedurfte (sowenig wie für die Perpetuierung dieser Auffassung bis hin zum Gesetzgeber des Jahres 1969).
@ Stefan
Danke für den Hinweis, aber wenn das am 1.8.1935, also unmittelbar vor der Neufassung, war, dann nahmen die Nazi-Richter des Nazi-Reichsgerichts das neue Nazi-Gesetz, dessen Inhalt ihnen nicht unbekannt gewesen sein kann, lediglich schon mal vorweg. Du wirst ja wohl nicht ernsthaft behaupten wollen, dass es 1935 in Deutschland noch eine unabhängige Justiz gegeben habe. Aufgabe des deutschen Richters war es, den Willen des Führers zu vollziehen. Sonst nichts. (Und wer das in Bezug auf Schwule 1935 tat, tat es weiter bis 1969, auch die Richter am Bundesverfassungsgericht.) Und doch: Es bedurfte der Nazis, denn kurz vor dem Absturz der Weimarer Republik in jene Krise, die sie in den Untergang führen sollte, hatte der Strafrechtsausschuss des damals noch demokratisch gewählten Reichstages am 16.10.1929 jene Reform beschlossen, die einvernehmliche Homosexualität zwischen Erwachsenen straffrei stellen sollte. Infolge der gleich danach einsetzenden Staatskrise versandete die Strafrechtsreform, und die Nazis schafften die Verfolgung nicht etwa ab, sondern verschärften sie. Ohne den Nationalsozialismus wäre die Reform vierzig Jahre früher gekommen. So ging die Verfolgung jene vierzig Jahre weiter, seit 1935 noch gesteigert.
Wenn man einfach irgendwelche Leute auf dem CSD fotografiert hätte, der ja unbestreitbar auch zur homosexuellen Lebenswirklichkeit gehört, wäre wahrscheinlich ein wesentlich klischeehafteres und somit auch noch unpassenderes Bild rausgekommen.