Gegen was demonstrieren wir hier eigentlich?

Damit kein Zweifel aufkommt: Ich bin ein Gegner der katholischen Kirche. Ich halte sie für gefährlich, und möchte auch ihre staatlich garantierte Rolle in unserer Gesellschaft nicht akzeptieren. Wenn der Papst am 22. September nach Berlin kommt (was sein gutes Recht ist) und im Bundestag spricht (was ich sehr bedenklich finde) erwartet ihn hoffentlich der Protest, den er verdient.

Doch: wo gegen protestieren wir eigentlich? Mit “wir” meine ich, soweit es sie geben kann, eine lesbisch – schwule Sicht: eine aus unseren eigenen Interessen motivierte Kritik.

Der LSVD hat im Internet über mögliche Slogans für die Papstdemo abstimmen lassen. Diese Abstimmung sei nicht verbindlich, sondern ein „Stimmungsbild“, das beim nächsten Netzwerktreffen präsentiert werde, „bei dem über das Motto unserer gemeinsame Demo am 22. September 2011 abschließend abgestimmt wird” heißt es auf der Website.
Über 2000 Leute haben an diesem “Stimmungsbild” mitgemalt. Das ist nicht nur quantitativ sehr beachtlich, sondern auch qualitativ, da es nicht nur um einen kurzen „I like“ – Reflex handelt, sondern um die Beschäftigung mit zehn Leitsprüchen und der Entscheidung für einen eigenen Favoriten.

Relativ abgeschlagen, und uns somit hoffentlich erspart, bleiben uns die eher ballermannesquen Vorschläge wie „Ratzi, gib Gummi“ und „Lieber Kondom statt Petersdom“ was wohl bei letzterem nicht nur an der grammatikalischen Unmöglichkeit liegt.

Gewonnen hat ein Bonmot von Max Frisch, „Ohne Kirche – keine Hölle“. Ein schöner Satz, ein spannendes Thema. Aber was hat er mit unserem Anliegen bei der Papst-Demonstration zu tun? Wollen wir wirklich gegen die Kirche insgesamt demonstrieren?

Die Lustfeindlichkeit, der Zölibat, ja sogar das Verbot eines offen schwulen Priestertums sind erst mal kircheninterne Probleme, die uns nur dann etwas angehen, wenn dadurch die sexuelle oder irgendwie anderswie gelagerte Ausbeutung gefördert wird. Niemand muß katholischer Priester werden, und wer es trotzdem tut, kennt die Spielregeln.

Wenn ich in einen Verein der Vollbartträger eintrete, und in der Satzung steht, daß alle Repräsentanten einen Vollbart zu tragen haben, muß ich eben meine Konsequenzen ziehen, wenn ich irgendwann doch lieber ohne Bart weiterleben möchte. Oder ich klebe mir, zumindest öffentlich, einen Faschingsbart an und leide dann unter der ständigen Verwandlung. Möglicherweise genieße ich sie auch.
Vielleicht muß ich auch mit der unguten Situation leben, die dann eintritt, wenn der sich der Klebebart an einer Seite zu lösen beginnt. Vielleicht habe ich dann ein Identitätsproblem, vielleicht suche ich mir auch nur einen besseren Kleber.
Man kann auch die Frauenmitglieder verstehen, die eine solche Satzung nicht so toll finden, aber das sind alles Vereinsprobleme. Jedenfalls so lange, wie ein solcher Verein nicht versucht, seine Satzung auf die ganze Gesellschaft zu übertragen, doch dazu kommen wir später.

Ja, für viele ist die Kirche die Hölle, aber hat nicht jeder nicht nur das Recht auf seinen eigenen Himmel, sondern auch auf seine eigene Hölle? Ja, es gibt viel darüber zu sagen, daß die Kirche auch auf Erden die Hölle mit im Gepäck hat. Aber wollen wir wirklich die Endlosdiskussion führen, in der die guten und die schlechten Wirkungen der Kirche gegeneinander abgewogen werden?

Ist dieser rituelle Kampf nicht mittlerweile zur gegenseitigen Selbstbefriedigung geworden? Gegenseitige Empörung, die dazu noch in die Hände der Kirche spielt.

Fakt ist: Der Mehrheit der Gesellschaft ist die Kirche egal. Aber: Der Mehrheit der Gesellschaft sind wir auch egal.

Der Besuch des Papstes in der Hauptstadt seines Heimatlandes stellt eine historisch besondere Situation dar. Entsprechend steht auch die Demonstration gegen ihn in einem besonderen Fokus. Wollen wir die von uns erwartete Protestfolklore bieten, auf die der Vatikan hofft,in dem wir ihn die Zunge heraus und den Arsch entgegen strecken. Mit Kondomen schmeißen? Wollen wir diese einmalige Aufmerksamkeit wirklich damit verschwenden, uns an der Kirche im Allgemeinen abzuarbeiten?

Für viele Menschen bedeutet die Kirche Trost, und sie verdienen Respekt für das was sie glauben, egal wie absurd es manchem vorkommen mag. Jeder kann glauben was er will. Und jeder kann auch der Meinung sein, daß in der Bibel festgeschrieben ist das Homosexualität böse ist. Das sollte uns eigentlich nicht weiter beunruhigen, zumal es ja meist die selben Menschen sind, sie daran glauben, daß man zum Kinderkriegen nicht unbedingt einen männlichen Samen benötigt.
Jeder darf ein Freak sein! Das erlaubt ihm das Grundgesetz. Es verbietet ihm aber auch, die Würde anderer Menschen anzugreifen.

Für den Papstbesuch würde ich gerne die Frage, ob die Kirche allgemein das Problem ist, einfach mal verschieben. Viele Menschen glauben nicht nur an Gott, sie glauben an die Kirche. Über Glauben kann man nicht streiten. Gegen Glauben kann man nicht demonstrieren. Gegen politische Agitation schon.

Warum sinnieren wir über Sinn und Unsinn der Kirche? Warum verteidigen wir nicht einfach nur unsere Interessen? Vielen gesellschaftlichen Gruppen stehen Ungeheuerlichkeiten der katholischen Kirche entgegen.
Unsere heißt Homophobie. Ich finde, darauf sollten wir uns konzentrieren. Nicht, weil die Kirche so toll ist. Sondern weil jeder allgemeine Protest, jede allgemeine Provokation die Kirche davor schützt als das da zu stehen, was sie ist: Eine gefährliche homophobe Organisation.

Tipp:
Über einen möglichen Grund von Homophobie in der Kirche habe ich hier gebloggt.

2 Gedanken zu „Gegen was demonstrieren wir hier eigentlich?

  1. Kirche in Abwehr!
    Die Kirche sieht sich verpflichtet, eine Botschaft unter den Menschen zu verbreiten. Alles, was sich ihr dabei in den Weg stellt, wird von ihr als Bedrohung dieses Auftrags gesehen. Sie bedroht deshalb ihrerseits im Kirchenrecht diejenigen, die antikirchliche Aktivitäten betreiben oder unterstützen mit Kirchenstrafen (Can 1370-1377). Sonderbarerweise scheinen diese Strafandrohungen sich auch auf Personen zu beziehen, die nicht Mitglied der Kirche sind. Die Kirche sieht sich in einem permanenten Zustand der Verfolgung. Menschen, denen die Kirche gleichgültig ist, werden eine solche mentale Verfassung eher als befremdlich empfinden. Aber da macht man, nach Auffassung der Kirche, die Rechnung ohne den Teufel. Gleichgültigkeit und bewusste Ablehnung der Kirche sind Teufelswerk. Gleiches gilt auch für Verhaltensweisen, die die Kirche nicht billigt. Daher der massive Widerstand etwa gegen gleichgeschlechtliche Lebensformen.

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