„Xavier Naidoo ist ein herausragender Sänger, der nach meiner Überzeugung weder Rassist noch homophob ist. Es war klar, dass er polarisiert, aber die Wucht der Reaktionen hat uns überrascht.“
Thomas Schreiber, NDR, ARD Unterhaltungskoordinator
Ob aus Dummheit, Berechnung oder beidem. Der ARD Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber ist ein gefährlicher Mann. Ganz unverhohlen versucht er, das Desaster um seine gescheiterte Nominierung von Xavier Naidoo den Kritikern in die Schuhe zu schieben. Er sagt nicht: Die Entscheidung war falsch. Er sagt: Die Kritik war überzogen. Gleichzeitig gibt er zu, mit einer Polarisierung gerechnet zu haben. Er tut also so, als ob ein Konflikt, den er vorprogrammiert hat, nur durch die Hefigkeit der Kritik eskaliert sei. Doch das stimmt nicht. Aus zwei Gründen.
Erstens:
Es gab keinen verabredeten Shitstorm. Jeder scheißt für sich alleine. Es waren halt nur sehr viele. Die „Wucht“ war eine rein quantitative. Xavier Naidoo wurde nicht verteufelt. Es wurden von fast allen Kritikern nur genau die Kritikpunkte vorgetragen, die bereits bekannt sind, und von denen Schreiber gewusst haben muss, dass sie, und wie sie thematisiert werden würden. Das einzige, was Schreiber daran überrascht haben könnte, ist, dass beim Vorwurf der Homophobie nicht nur die Homos aufgemuckt haben. Dass er ausgerechnet bei der für viele Schwule wichtigsten TV-Show des Jahres eine Polarisierung zum Thema Homophobie angezettelt hatte, wurde auch von fast allen heterosexuellen Journalisten als das gesehen, was es ist: Eine Provokation. Jetzt so zu tun, als ob die Aufregung darüber nicht ihm, sondern anderen aus dem Ruder gelaufen ist, ist besonders dreist. Und gefährlich. Er konstruiert aus seinem Versagen den Gesinnungsterror der anderen: Die virulente Homolobby hat gesiegt. Hoffentlich begreift jemand in der ARD, wie gruselig das ist. Die Geister, die Schreiber da beschworen hat, sind jedenfalls schon aus der Flasche. Til Schweiger spricht bereis von „Terrorismus“. Es werden sich bedenklichere Stimmen zu ihm gesellen.
Zweitens:
Die Zuspitzung der Debatte hat alleine der NDR mit Thomas Schreiber zu verantworten. Es ist nämlich nicht so, dass die Xaidoo-Kritiker – wie jetzt unterstellt wird – ihm seine Meinung verbieten wollen. Oder verhindern wollen, dass er in einer Unterhaltungssendung auftritt. Fast niemand stört sich an der Rolle, die er etwa bei seiner VOX-Show „Sing Meinen Song“ spielt. Doch die Rolle, die Schreiber für Naidoo erfunden hatte, war eine ganz andere. Eine Rolle, bei der jedem, der die bisherigen Diskussionen zu Xavier Naidoo auch nur ein bißschen mitbekommen hat, hätte erkennen müssen, dass er ihr nicht gerecht werden kann:
Der NDR-Mann erklärte, man habe den Künstler ausgesucht,
„weil der auf der Bühne stehen und für ein weltoffenes, tolerantes Deutschland sprechen“
solle. Über den rassistischen Aspekt dahinter habe ich schon in meinem letzen Blogbeitrag geschrieben: Man sagt nicht, das ist der beste Sänger für uns, weil er am besten singt. Man sagt, das ist der beste Sänger für uns, weil er eine andere Hautfarbe hat.
Aber als ob das nicht schon schlimm genug wäre, ist es natürlich im besten Falle sträflich naiv, einen Künster, dem eine Vielzahl seriöser Journalisten (auch aus dem eigenen Haus) seit langem eine brisante Nähe zu rechtspopulistischen Kreisen vorwerfen, als Sprecher für die Weltoffenheit Deutschlands zu exponieren. Und selbst, wenn man mal annimmt, dass die Vorwürfe gegen Naidoo gar nicht stimmen: Wie kann ein ARD-Journalist davon ausgehen, dass die pure Behauptung, dass sie nicht stimmen, dazu führt, dass die Kritik in sich zusammen fällt? An dieser Stelle möchte man fast Xavier Naidoo von den Chaoten im NDR schützen: Sie haben ihn nicht nur zum Feuer gegen ihn ausgerechnet an der Stelle provoziert, an der er am meisten angreifbar ist. Sie haben sich dann auch noch nur pro Forma vor ihn gestellt. Vieles spricht dafür, dass dieses Prinzip der kommunikativen Stümperei auch das ist, mit dem der NDR die Image- und Öffentlichkeitsarbeit für die ihm anvertrauten deutschen Eurovisions-Kandidaten im Vorfeld der Songcontest-Wettbewerbe auf internationaler Bühne versieht.
Dummheit oder Berechnung?
Für die Berechnung spricht, dass der NDR erkennbar bemüht ist, die queere Relevanz des ESC soweit wie möglich nach unten zu fahren. Das sieht man an den unsäglich egalen Vor- und Nachher-Shows, mit dem sie die den ESC, der so vielen alles andere als egal ist, in die Mangel nehmen.
Am deutlichsten wurde das Problem, das die ESC-Macher beim NDR mit den Homos haben, als Conchita Wurst sich aufmachte, den Laden gehörig aufzumischen.
Während fast überall in Europa der sich anbahnende Siegeszug Conchitas gefeiert wurde, entschloss sich der NDR, seinen Zuschauern zu empfehlen, dass sie ja wegschauen könnten.
Der nur schwer zu verstehende, aber nicht nur eurovisions- sondern auch queer-geschichtlich historische Satz des Abends „We are unstoppable“ blieb dann auch unkommentiert. Der NDR hoffte wohl, dass sich das, wie man in diesen Kreisen so sagt, „versendet“. Tut es aber nicht.
Eine Bitte an den ARD-Vorsitzenden:
Lieber Lutz Marmor, bitte retten Sie den ESC. Retten Sie ihn vor dem NDR. Die können es nicht. Die verstehen es nicht. Die wollen es nicht. ♦
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Offenlegung: Der ESC ist auch Teil meiner Geschichte.
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Eurovision ist nur eine Politik, die ich habe, sie wird sich bald ändern.
Ein weiterer Betrug mit dieser Eurovision.