Das spektakuläre Coming Out von Krzysztof Charamsa unmittelbar vor der Familiensynode in Rom hat dem bisher ranghöchsten bekannten Vatikan-Schwulen heftige Kritik seines langjährigen Arbeitgebers und gleichzeitig viel Applaus der LGTBI-Community beschert. Vor allem die deutlichen Worte seiner Abrechnung mit der Kirche fanden viel Lob. Der Theologe hatte erklärt, der katholische Klerus sei „größtenteils homosexuell und homophob“.
Homosexuell und gleichzeitig homophob? Sollte Charamsas Analyse stimmen, muss sich nicht nur die Katholische Kirche mit einer unbequemen Wahrheit auseinandersetzen. Denn Schwule sind in dieser Aussage nicht nur Opfer, sondern auch Täter. Der Hass der Katholiken auf die Schwulen ist auch der Hass vieler Schwuler auf sich selbst.
Homophobie bildet eine der sichtbarsten Schnittmengen aller monotheistischen Religionen. Es gibt zwar Religionsgemeinschaften, die in ihrem Homo-Hass sehr viel unerbittlicher sind, doch in kaum einer Kirche bestimmt er so sehr die Agenda wie in der katholischen. Der Wirbel um die Familiensynode macht wieder einmal deutlich, dass Homosexualität für die Katholiken vor allem eines ist: Eine Obsession.
Einer der bisher ranghöchsten Outings in der deutschen katholischen Kirche ist der Fall des ehemaligen Augsburger Bischofs Walter Mixa, der durch besonders schrille Homo-Hetze aufgefallen war. Anlässlich seiner Geschichte vertrat ich damals in diesem Blog die These, dass nicht nur die Angst, geoutet zu werden immer wieder zu homophoben Ausfällen prominenter Schrankschwuler führt. Die These von 2010 ging so:
„Schwule sind in der Katholischen Kirche keine Ausnahme sondern ein Teil der Regel. Die katholische Kirche hat nicht trotz sondern auch wegen ihrer Schwulen überlebt. Sie hat einen jahrhundertelang gültigen unausgesprochenen Pakt begründet, eine Lebensform, in der Männer Männer lieben können ohne absonderlich zu sein. Sie hat, ähnlich wie Fluggesellschaften, oder die Unternehmen der Beauty- und Stylingbranche, ein Berufsprofil geschaffen, das viele Schwule für maßgeschneidert hielten. Und sie hat einen Status ermöglicht, der Heteros vor den Schwulen und die Schwulen vor dem Hetero-Sein-Müssen bewahrt hat. (…) Auch wenn es absurd klingt, aber gerade indem Mixa gegen Schwule hetzt, versucht er genau diese Struktur zu retten. Jahrhundertelang hat die Katholische Kirche quasi ein Monopol für geregelte schwule Lebensweisen besessen. Seit der schwulen Emanzipation stürzt dieses Monopol ein. Ernst* (* eine Figur aus Wedekinds „Frühlingserwachen“) kann sich heute eben doch etwas schöneres vorstellen, als Priester zu werden. Er kann mit seiner Liebe glücklich werden. Dies kann aus innerkirchlicher Sicht nicht im Interesse der Amtskirche sein. Die Kirche fühlt sich an einem wunden Punkt getroffen, und durch diese ganzen offenen Schwulen provoziert. Schließlich hat sie doch die Lösung gefunden, wie man mit seinen Neigungen gut leben kann. Warum müssen die Schwulen und diese blöde Sexuelle Revolution da draußen das alles kaputt machen?“
Und heute? Ich bin auch heute noch davon überzeugt, dass der Hass der Klerus-Schwulen auf uns andere sich aus dem Schmerz ergibt, uns dabei zusehen zu müssen, wie wir ein Leben führen, dass nicht von morgens bis abends von Lüge und Selbstverleugnung geprägt ist. Doch seit 2010 ist einiges passiert. Papst Bededikt hatte den Hass auf Homosexuelle mit inquisitorischer Härte in das Zentrum seines Pontifikats gerückt. Bei Franziskus hat man eher den Eindruck, er würde das Thema gerne etwas runter kochen. Während der deutschen Papst noch 2011 von fast dem gesamten Bundestag dafür beklatscht wurde, dass er ihn als Bühne für seinen Naturrechts-Wahn missbrauchte, hält sich Franziskus bei seiner USA-Reise mit Homo-Bashing auffallend zurück. Dies spricht nicht unbedingt dafür, dass der Vatikan seine Haltung in dieser Frage geändert hat. Es zeigt aber, dass in den letzten fünf Jahren die Meinung besonders in besonders christlich gepägten Ländern gekippt ist. Es zeigt, dass der Vatikan sich heute auch in seiner eigenen Klientel rechtfertigen muss.
Auf der anderen Seite illustriert der Wirbel um das Coming Out Charamsas nicht nur die Lächerlichkeit hinter der Tatsache, dass in diesen Zeiten weltpolitischer Krisen und Verteilungskämpfen eine der größten Menschheits-Organisationen allen Ernstes der Frage Priorität einräumt, ob Männer Männer lieben dürfen. (Dass es hier in erster Linie nicht um Frauen geht, ist nicht eine ganz andere, aber doch eine andere Geschichte.) Es zeigt auch, wie sehr diese Frage die innere Verfasstheit dieser Organisation berührt. Die Abgründe, in die wir dabei blicken, offenbaren nicht nur das Problematische der katholischen Subkultur, sondern auch der schwulen.
Durch die Betrachtung der katholischen Kirche als einem Bund von Männern, die zum Großteil durch ihren gemeinsam kultivierten schwulen Selbsthass zusammengehalten wird, wird deutlich, zu welchen grotesken Bewusstseinsformen eine als fehlerhaft empfundene Homosexualität immer wieder führen kann.
Warum etwa glauben ausgerechnet so viele homosexuelle Männer daran, von Gott dazu berufen zu sein, dass ihren Händen Übersinnliches passiert wie etwa die Transformation von Brot zum Leib des Schöpfersohnes? Warum erscheint es so vielen schwulen Männern offenbar unerträglich zu ein, ein ganz und gar unerwähltes Leben zu führen, ein ganz normaler Mensch sein zu müssen? Die katholische Kirche zeigt, wie groß die Gefallsucht vieler schwuler Männer ist, der Drang zum Elitären, Überhöhten, Auserwählten.
Nach Informationen des SPIEGEL hatte Homo-Hasser Bischof Mixa häufig Seminaristen zu Saunabesuchen eingeladen. Dass er gleichzeitig gegen die gleichgeschlechtliche Liebe hetzte wie kaum ein anderer, deutet darauf hin, dass er seine auf Seminaristenschenkeln ruhende Hand als die des Allmächtigen betrachtet haben muss. Dank klerikalem Katholizismus ist es offensichtlich möglich, die Geilheit der anderen zum Teufelszeug, die eigene jedoch zum Beweis der eigenen Heiligkeit umdeuten zu können.
Das ist pervers. Doch seit spätestens Rosa von Praunheim wissen wir, dass es nicht die Perversität der Schwulen ist, sondern einer Gesellschaft, die Schwule in diese Rollen gepresst hat.
Aber dies ändert nichts an der Tatsache, dass diese Perversität Bestandteil unserer schwulen Kultur ist. Der Stolz darauf, schwul zu sein, sollte einer sein, der sich darauf bezieht, wie wir es sind. Und nicht, dass wir es sind. Wir sind nicht schlechter. Aber wenn wir uns besser fühlen müssen, haben wir ein Problem.
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Ein schwarzer Tag mit Bischof Tebartz-van Elst und Ralf König ist schuld!
http://www.queer.de/detail.php?article_id=24800
„Marcels Gruppe Homosexueller, die zur Enthaltsamkeit „gefunden“ haben, ist die „Bruderschaft des Weges“ – das neueste Projekt von Markus Hoffmann, seines Zeichens Homo-„Heiler“ von „Wüstenstrom“. Das ist schon schlimm genug, gerade für Marcel, aber die Reaktionen darauf waren bedrückender: „Toll, dass er den richtigen Weg gefunden hat“, sagte die Frau neben einem. Viele ähnliche Kommentare waren zu hören, auch: „Wären doch nur alle so.“ Als Demo-Organisatorin Hedwig von Beverfoerde Marcels „Mut zu diesem öffentlichen Bekenntnis“ lobte, bekam er Beifall, auf den er sehr gerührt reagierte.
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Wir sollten nicht übersehen, dass die Liebe eines Mannes zu einem anderen Mann niemals verboten worden ist. Es ist immer nur die Penetration eines anderen Mannes verboten. Aber darüber redet keineR. Um diese Bilder in den Köpfen anzugreifen reicht es eben nicht, immer nur die Vanillesosse der Liebe und der Ehe in der Oeffentlichkeit auszugiessen. Die Ehe anerkennt ja nur diese Penetration der Frau. Sie soll damit „gleichwertig“ werden. Mit der Penetration der Männer werden aber Männer entwertet!
In den Zeiten der Aidskrise hat man sich daran erinnert. Heute ist alles wieder vergessen. Leider.
Ich weiß nicht, was mein Vorredner zum Ausdruck bringen will. Jedenfalls geht er von einer falschen Prämisse aus. Die kath. Kirche lehnt jede sexuelle Handlung außerhalb der verschiedengeschlechtlichen Ehe ab, also auch jeden Sex zwischen Männern, bei dem es nicht zur Penetration kommt. § 175 StGB 1935 übrigens, das bis 1969 in Deutschland geltende Nazi-Gesetz, von der kath. Kirche nie bekämpft, sondern bis zuletzt verteidigt, war so weit gefasst, dass es nicht einmal körperlicher Berührung zwischen zwei Männern bedurfte. Schon gemeinsames Onanieren in benachbarten Betten genügte.
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