„Heterojournalisten neigen dazu, Homofragen für Lifestylegeschichten zu halten“

Der Bundespräsident unterstützt auf dem Evangelischen Kirchentag offensichtlich die „Ehe für alle“ und die deutschen Leitmedien interessieren sich nicht dafür. Selbst für die taz, in der Jan Feddersen die Äußerungen des Bundespräsidenten protokolliert hat, erlangt die Information keinen News-Charakter.

Gleichzeitig wird eine entsprechende Meldung dieses Blogs auf Facebook innerhalb von weniger als 24 Stunden fast 5000 mal geteilt und geliket und hundertfach kommentiert. „Hat Deutschlands Staatsoberhaupt auf dem Kirchentag ‚Ja‘ zur Ehe-Öffnung gesagt? Darüber wird im Netz diskutiert“ schreibt queer.de . Die Diskussion beschränkt sich jedoch exakt auf den queeren „Teil“ des Netzes.

Wie kommt es zu diesen Unterschiedlichkeiten?

Ein Interview mit Jan Feddersen über die Worte des Bundespräsidenten und das Weghören der Medien.

War es ein Zufall, dass Gauck sagte, was er schließlich sagte?

Das war in gewisser Weise Zufall, schätze ich. Die Moderatorin wird die Frage so direkt gestellt haben, weil kein Thema Christen und Christinnen – nicht nur – in Deutschland so sehr beschäftigt wie die Ehe für alle. Der Kirchentag ist das wichtigste Laienforum von evangelischen Christen in Deutschland. Das Thema liegt hier in Stuttgart dauernd in der Luft. Keine LGBT-Veranstaltung, die nicht proppenvoll besucht wurde und wird. Hier kommt auch Homoheilerei zur Sprache, und die Homoheiler schneiden dabei gar nicht gut ab. Im Gegenteil! Gauck aber ist ein Theologe, der niemals Mainstream war, sondern, ähnlich wie Bodo Ramelow von der Linkspartei, Theologisches von Politischem trennt, also Moral und Welthaltung zu Lebensmöglichem. Der Bundespräsident schien mir auf diese Steilvorlage der Frage nur so gewartet zu haben – er salbadert ohnehin nie, sagt kein Äh und kein Öh, aber die Ehe für alle-Antwort kam gestochen scharf formuliert, als sei ihm dieser Passus schon länger durch den Kopf gegangen.

Was schätzt du, wie viele Journalisten haben diesen Auftritt verfolgt?

Nach meiner Beobachtung – es gab keinen Pressebereich in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle – dürften es nicht viel mehr als eine Handvoll gewesen sein. Aber es waren Kollegen von Spiegel Online, der FAZ und der SZ dabei. 

Und wie erklärst du dir, dass die Äußerung in den Medien außer bei dir fast keine Rolle spielte?

Meinem Eindruck nach sind printgeprägte Medien immer noch heteronormative Medien. Bei denen arbeiten – außer mit Einschränkungen bei der FAZ, in der die tektonischen Änderungen des Gesellschaftlichen traditionell empfindsam registriert werden – Heteros beiderlei Geschlechts, für die Homofragen wie eh und je der Omertà, dem Schweigen ob des „Schmuddelzeugs“ zuzurechnen sind. Homo-, Gender-, Familien-, Kinder- und Zusammenlebensfragen sind für sie Themen unter ferner liefen. Politisch sind ihnen Angelegenheiten, für die Chiffren wie G7, „Putin“, „Krieg und Frieden“, „Gerechtigkeit im finanziellen Sinne“ stehen. Das sind, so gesehen, auch Ablenkungsthemen vom großen Diskursfeld der Moderne: Wie wollen wir zusammenleben. Oder wie Gauck sinngemäß sagte: Wie schaffen wir eine Welt des Zusammenlebens, in der ein jeder und eine jede die Würde in Anspruch nehmen kann, die er oder sie möchte. Die Ehe für alle-Geschichte nicht als Kernthema des aktuellen Kerndiskurses zu erkennen, erklärt auch die momentane Medienkrise der Zeitungen: Weil man nicht erkennt, was die wirklichen Themen sind, werden diese Zeitungen auch immer weniger gelesen.

Kann die faktische Nicht-Beachtung der Gauck-Äußerungen auch damit zu tun haben, dass ihre journalistische Bewertung fast ausschließlich von Heteros vorgenommen wurde? 

Heterojournalisten neigen – gegen alle Vernunft – dazu, Homofragen für Lifestylegeschichten zu halten. Dass es Bürgerrechtsfragen, solche der bürgerlichen Gleichberechtigung, der sexuellen Selbstbestimmung ist ihnen, womöglich aus unbewusster Homophobie, nicht geläufig. Beziehungsweise: Will ihnen nicht einleuchten.

Warum hat er sich Gauck den Evangelischen Kirchentag als Forum für sein Statement ausgesucht?
Gauck weiß, dass der Evangelische Kirchentag so eine Art Olympiastadion des gesellschaftlichen Diskurses ist. Hier wird entscheidend verhandelt, was angesagt ist, was in der Luft liegt, was Sachen werden wird. Trans*,nebenbei, ist auf dem Kirchentag Thema – meines Wissens erstmals. Der Kirchentag ist Jugendbewegung schlechthin. Und weil Gauck erfrischend jugendlich wirkte. Kein Labersack, sondern einer, der präzise die Grenzen steckt, was ihm wichtig ist. Aber was ihm wichtig scheint, stellt er nicht ins Belieben offenbar.

Offenlegung: Die taz hatte im April 2015 eine Produktion meines Theaterstücks „Seite Eins“ für ihren Kongress, das tazlab, gebucht.

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