„Braucht Berlin eine weitere Kampagne?“ fragte Chefaufreger Gunnar Schupelius in der BZ vor einer guten Woche und meinte damit die „Kampagne für sexuelle Vielfalt“ des Berliner Senats, mit der dieser „Vorurteile gegenüber Lesben, Schwulen, bi-, trans- und intergeschlechtlichen Personen“ abbauen möchte.
Wie sich Schnupelius die selbst gestellte Frage beantwortet hat, brauche ich glaube ich nicht auszuführen. Aber auf die Begründung sollte man doch nochmal hinweisen:
„Die Toleranz eine hat gute Tradition in dieser Stadt. Darauf sind wir stolz. Hier kann jeder tun und lassen, was er will, ausgenommen vielleicht in einigen muslimisch dominierten Kiezen. Wir Berliner brauchen wirklich keinen Toleranz-Unterricht von Herrn Wowereit und seinen Kollegen.“
Auf Welt.de, einem Medium, das wie die BZ im Spinger Verlag erscheint (und das in Berlin auch ausserhalb der „muslemisch dominierten Kieze“ gelesen wird), wurde heute ein Artikel über Klaus Wowereit veröffentlicht, indem dieser scharf kritisiert wird. Dem Regierenden Bürgermeister von Berlin wird u.a. vorgeworfen, „gelangweilt“ und den Problemen seiner Stadt gegenüber gleichgültig zu sein.
Spanndender als der Artikel selbst sind die Leser-Kommentare, die sich darunter sammeln. Es ist keine allzu große Überraschung, dass die Stimmung dort für Wowereit nicht besonders gut ist. Aber das Ausmaß und die Art der Verachtung sind doch auch für welt.de-Niveau (sic!) etwas derb.
Ich habe mir mal die ersten ersten dreißig Leserkommentare vorgenommen, um sie in die Kategorien „positiv“ (gegenüber Wowereit), „negativ“ und „neutral“ zu unterteilen. Das Ergebis ist ziemlich eindeutig: Kein einziger Kommentar war positiv, zwei Kommentare habe ich nicht verstanden und deshalb in dubio unter „neutral“ verbucht, der Rest (also fast alles) war negativ, wobei das Wort „negativ“ in diesem Zusammenhang schon etwas euphemistisch ist.
Aber nicht nur der Grad der Ablehnung ist eindeutig, auch die Tatsache, dass sich fast alle Kommentarschreiber bemüht haben, ihre größtmögliche persönliche Abneigung gegen Wowereit zum Ausdruck zu bringen, ist schon etwas spooky.
Nun könnte man natürlich hoffen, dass das alles gar nichts mit der Tatsache zu tun hat, dass Wowereit schwul ist. Und man könnte hoffen, dass Herr Schnupelius recht hat, und das mit der „Toleranz-Tradition“ in der Stadt nicht nur stimmt, sondern sogar für die kommentierenden Leser der Springerpresse zutreffen möge (oder doch zumindest für den Teil, der sich für deren Qualitätspresse interessiert). Ja, das könnte man. Aber es ist nicht so.
Von den insgesamt 30 Kommentaren sind neun mit eindeutiger homo-sexistischer Schlagrichtung, also jeder Dritte Kommentar muss seine Kritik an Wowereit damit in Verbindung bringen, dass dieser schwul ist.
Hier einige Kostproben:
„er soll sich um den arsch seines freundes kümmern,vielleicht nicht so langweilig.“
„Der interessiert sich im Moment mehr für die Jungs statt für die Politik.“
„Da wird es doch sicher einen neuen hippigen Darkroom geben.“
„Da hilft nur „kalt duschen“!“
„Ich kann das Diva-Tucken-Gehabe in Berlin echt nicht mehr sehen.“
Wie gesagt, das sind keine krassen Ausrutscher, sondern so oder so ähnlich ist jeder dritte Kommentar. Nicht mitgezählt habe ich die Beiträge, die sich nicht offen als homophob zu erkennen geben. (Die Feindseligkeiten und Andeutungen dieser Beiträge lassen jedoch auch nur in den wenigsten Fällen vermuten, dass es deren Verfassern möglich ist, eine Position gegenüber Wowereit einzunehmen, in denen seine sexuelle Orientierung keine Rolle spielt.)
Mitzählen konnte ich auch nicht die Beiträge, die welt.de wohlweislich schon gelöscht hat. Denn immerhin verbietet die welt.de-Nettiquette Obszönitäten sowie den „Gebrauch vulgärer, missbräuchlicher oder hasserfüllter Sprache„. Da sich die oben zitierten Kommentare trotzdem auf der Seite halten, darf vermutet werrden, dass diese als harmlos betrachtet wurden. Man möchte sich nicht vorstellen, von welchem Kaliber bereits gelöschte Kommentare waren und welchen Einfluss sie auf meinen Homophobie-Quotienten genommen hätten.
Bleibt zu hoffen, dass welt.de nur eine Veranstaltung für die wirklich aussichtslosen Fälle ist. Alles andere wäre wirklich besorgniserregend.
Interessant ist hier auch die Konstellation, in der hier Homophobie auftritt. Die berliner Bürger müssen es wirklich schwer haben: eine Toleranzdiktatur der Homoelite auf der einen Seite, und dann diese Kieze, die „muslemisch“ dominiert werden auf der anderen. Wenn die jetzt auch noch in Erfahrung bringen sollten, dass man in diesen berüchtigten undeutschen Kiezen als Homo ein durchaus besseres Leben führen kann als beispielsweise in Hohenschönhausen …
Ich muss Herrn Schnupelius teilweise recht geben. Der Durchschnittsberliner brauch keine Nachhilfe in Toleranz. Das haben viele andere Gegenden und kleinere Städte nötiger. Ich komme aus einer linksorientierten Kleinstadt und selbst dort war Homosexualität noch längst nicht zu toleriert, geschweige dann akzeptiert wie in Berlin.
Ich glaube einfach, dass die Schwulen immer was brauchen gegen das sie demonstrieren oder meckern können. Diese Meinung kann ein jeder Berio-Mitarbeiter an Hand zweier Tassen Milchcafe bekräftigen. Sie gehen an den gleichen Gast, nur dass der Erste zu warm und der Zweite zu kalt war, obwohl beide aus der gleichen Maschine kamen…
Was ich damit sagen will ist, dass wir uns sicherlich nicht darauf ausruhen sollten, was frühere Generationen der Homobewegung in Berlin geleistet haben und wir dank dieser so leben können wie wir sind. Aber ehrlich, schraubt doch mal einen Gang zurück. Was denn noch alles? Wir werden in den meisten Bezirken von Berlin akzeptiert und was machen wir? Wir kapseln uns doch wieder ab. Wir schaffen uns schöne Zeitschriften mit Glanzcover an, nennen das ganze „Siegessäule“ und sagen uns selber, wo wir schwul essen und trinken gehen können, wo wir schwul ins Kino gehen können, ja sogar wo der schwule Allgemeinarzt und der schwule Bäcker um die Ecke ist…
Wieso überhaupt Meckern über Toleranz wenn wir doch unser eigenes Ding fahren und mit am engstirnigsten von allen Grupierungen, egal ob sexuell, religiös oder politisch gesehen, sind.
Unterstützend dazu möchte ich nochmal auf den Post von Amanda eingehen:
Das ist auch wieder kein Problem was nur Homosexuelle haben. Ich glaube wenn ein Moslem auf der Straße in Hohenschönhausen betet gehts ihm genauso schlecht wie zwei Homos die sich knutschen. Somit muss jeder sich einfach an ein paar ungeschriebene Gesetze halten, auch die Homosexuellen.
In diesem Sinne….
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