Och nö. Endlich gibt es Anfänge einer grundsätzlichen, konstruktiven Debatte über die Zukunft unserer Emanzipationsbewegung. Und dann das:
Vorgestern nimmt Elmar Kraushaar seinem eigentlich lesens- und diskussionswerten taz-Artikel über „den Stand der homosexuellen Bewegung“ jede Seriosität, indem er seine Kritik an Enough is Enough mit der wahrheitswidrigen Behauptung krönt, ihr Sprecher Alfonso Pantisano hätte behauptet, „jedes ‚Auflehnen‘ gegen die Unterdrückung homosexueller Menschen habe „gar nichts mit Politik zu tun. Sondern mit Anstand!“
Und heute fühlt sich die Deutsche AIDS-Hilfe in einer Pressemitteilung dazu veranlasst, dem Magazin „Männer“ in ungewöhnlicher Schärfe vorzuwerfen, einen Artikel veröffentlicht zu haben, der „weit über die Grenzen eines verantwortungsvollen Journalismus hinaus“ gehe. Tatsächlich ist der Männer-Artikel von Daniel Deuling („Wir werden nicht nur daran gemessen, mit wem wir unser Bett teilen. Sondern auch daran, wie wir dieses Faktum darstellen.“) sehr schwer bekömmlich, da er, da hat die AIDS-Hilfe recht, „Opfer zu Mittätern macht“.
Allerdings spiegelt der Beitrag nicht nur die Meinung vieler Homohasser wider, sondern reflektiert viele Gedanken, die sich auch die viele Homosexuelle machen.
Problematischer als den Beitrag und seine Schlussfolgerungen selbst finde ich deshalb, wie das Magazin diese zur Antithese einer frei erfundenen Alternativdiskussion macht. „Randale oder Anpassung?“ steht auf dem Titel des neuen Heftes, was man ja als verkaufsfördernden Teaser gerade noch so durchgehen lassen könnte. Aber auch im Heft so zu tun, als handele es sich bei „Randale oder Anpassung“ tatsächlich um zwei ernstzunehmende Alternativoptionen ist tatsächlich unter journalistischen Kriterien unredlich und als Beitrag zur Emanzipationsdiskussion problematisch.
Um eins klar zu stellen: Es handelt sich auch nicht um eine Zuspitzung, sondern schlicht um das Konstruieren von Pseudo-Dialektik, die nicht für sich in Anspruch nehmen kann, irgendetwas zur Aufklärung beizutragen, es sei denn, sie befördere ihre eigene Demaskierung.
„Anstand oder Politik“, „Randale oder Anpassung“, das sind nur die jüngsten Konflikt-Attrappen, die sich nahtlos an andere irrlichternde Spiegelfechtereien anreihen, die um Gegensatzbehauptungen wie „Politik oder Party“, „Alte oder Junge“, „Schrill oder Seriös“, „Professionalität oder Ehrenamt“, „Internetkultur oder reale Welt“, oder zuletzt an „Bart oder kein Bart“ herum gestrickt wurden.
Nicht, dass ich Männer, die taz oder Elmar Kraushaar wichtiger nehmen möchte, als ich es sowie tue. Aber gerade jetzt, wo uns der Kampf gegen Homophobie immer mehr in eine groteske und (bitte entschuldigt das militärstrategische Wort) „asymmetrische“ Verteidigungshaltung zu zwingen scheint, sollten doch zumindest die auf das Entfachen von Scheingefechte verhindern, die diese als solche erkennen können.
Zumal nach all dem, was in der Szene in den letzten Monaten an Wut, Frust, Verwirrung, Resignation, Sprachlosigkeit zu beobachten war, aber auch an neuer Entschlossenheit, alter Selbstvergewisserung, es immer schon gewusst zu haben, neuer Heldenverehrung und sturem Weiter-So-Aktionismus, es endlich Hoffnung zu geben scheint.
Hoffnung, dass endlich eben nicht mehr die Scheindiskussionen im Vordergrund stehen, die die allgemeine Verunsicherung dafür nutzen, vermeintliche Gegensätze heraufzubeschwören und somit eine wirkliche vorurteilsfreie Analyse immer schwieriger machen.
Eine Debatte, die nicht auf ganz schnelle Antworten auf die Frage abzielt, was „Wir“ jetzt nach Bauchgefühl-Koalitionsvertrag, Sotschi, „Wird man doch wohl mal sagen dürfen“ und der Aussicht auf eine rechtlichen Gleichstellung jetzt machen sollten. Sondern darüber, wer „wir“ überhaupt sind und sein wollen.
Was so abstrakt nach esoterischer Selbstfindung klingt, berührt ganz praktische Fragen darüber, ob und wie eine politische Bewegung möglich ist, wie sie sich organisiert und orientiert.
Es ist eine Situation entstanden, in der jeder die fehlende politische Dimension des Anderen in Frage stellt, aber nicht bereit ist, darüber zu diskutieren, was denn eine politische Dimension heute überhaupt bedeutet und bedeuten kann. „Politisch“ ist ein hohles Qualitätssiegel geworden, das sich jeder auf die Stirn stempelt, was ja so lange in Ordnung ist, so lange nicht jeder behauptet nicht nur für sich, sondern auch für andere zu sprechen.
Die Diskussion, darüber, wie eine einflussreiche Interessenvertretung gestaltet werden kann ist bisher jedes mal im Keim erstickt worden. Der Befund, dass wir eben keine „schlagkräftige Homolobby“ haben, wurde mit der vermeintlichen Gegenthese gekontert, dass es so was wie eine „einheitliche“ Stimme nicht geben dürfe, was zwar richtig ist, aber überhaupt nicht zur Diskussion steht.
Jetzt endlich scheint sich der Staubnebel der vermeintlichen Meinungs- und Richtungsscharmützel zu lüften.
In Köln etwa stritten auf Einladung des Kölner Schwulen und Lesben Tages (KLuST) Protagonisten der Szene leidenschaftlich und kontrovers zum Thema „Wohin geht die Emanzipationsbewegung? Und wer geht mit? (…) Was wird aus der schwul-lesbischen Emanzipationsbewegung, wenn die rechtliche Gleichstellung Wirklichkeit wird?“
Neun Referenten (auch ich durfte dabei sein) argumentierten aus unterschiedlichsten Perspektiven und Erfahrungen, formulierten hart, persönlich wie ideell. Nichts Neues eigentlich. Aber diese Debatte machte einen Unterschied zu so vielen, die in den letzten Jahren geführt wurden: Sie funktionierte.
Und das nicht etwa weil – wie es so oft gefordert wird – die Diskutanten diesmal ihre eigenen Interessen zurück stellten und sich nur auf die gemeinsamen Chancen und Möglichkeiten konzentrierten. Im Gegenteil.
Unterschiedliche Interessen, Prioritäten und Ansatzweisen konnten, ja sollten klar benannt und vorgetragen werden. Es war die Aufforderung, frei zu denken und ehrlich zu berichten. Ein Experiment, das sich vorher nicht zum Befreiungsschlag erklärte, nicht zum immer wieder beschworenen mythischen Tisch, an den man sich nur gemeinsam setzen müsse, um dann irgendeine heilbringende Superlösung gebären zu können. Es ging eben nicht darum, die eine Antwort zu finden, sondern überhaupt einmal möglichst viele der umherwirrenden Fragen einmal einzufangen und zuzulassen.
Mit diesem Ansatz hatten es die Veranstalter geschafft, dass es einen wirklichen Austausch gab. Und sie offenbarten ganz nebenbei, wie dumm und lächerlich der Gegenentwurf, das allgemein übliche Instrument des Schlagabtausches ist, das entweder mit einer nichts-sagenden (wenn nicht sogar verlogenen und weiteres Unheil beschwörenden) Konsensbehauptung zum Erfolg erklärt wird, oder dessen hochjazzen auf eine höhere Eskalationsstufe als Erklärung dafür herhalten muss, wie unlösbar dieser Disput um eine Sache ist, obwohl (wie man am Berliner „CSD-Streit“ sehen konnte) niemand mehr erklären kann, was diese Sache denn eigentlich ist, und ob sie überhaupt noch eine Rolle spielt.
Aber das „Frei Denken“ war nur zur Hälfte dafür verantwortlich, dass sich die Teilnehmer und ihre Ansätze schliesslich aufeinander zu bewegten, dass bei allen (so hatte ich den Eindruck) am Ende das Gefühl vorherrschte, etwas gelernt zu haben und neue Hoffnung für die Entwicklung der Bewegung gewonnen zu haben.
Das andere Prinzip hiess: Zuhören!
Ganz einfach. Nicht überzeugen müssen. Nicht recht haben müssen. Nicht am Schluss irgendein gemeinsames Fazit erzwingen müssen, was auch heisst: Keine Kompromisse, keine Arbeitsgruppe. Keine Gewinner, keine Verlierer, keine To-Do-Liste, keine Abstimmung, Manifest, keine Positionsbeschreibung. Einfach nur zuhören.
Ganz einfach. Man muss es nur wollen.
Elmar Kraushaar kann das.
Aber er wollte nicht. Zunächst bastelt er noch brav an seinen persönlichen Lieblings-Scheindebättchen:
“ …. Die Protagonisten der Bewegung heute stammen aus der PR-Branche und führen ihre Kampagnen in der Sprache der Werber, als gelte es, ein neues Produkt zu etablieren. Hießen die Gruppen dereinst noch „Rotzschwul“ oder „Homosexuelle Aktion“, so macht man sich jetzt fit für den internationalen Markt. …“
Kraushaar tut tatsächlich so, als sei es ein Wert an sich, nicht verstanden zu werden.
„‚Enough is enough‘ ist die Formation der Stunde. …“
Doch erstens
wurde der Claim nicht von Marketingleuten erfunden, sondern von einer Gruppe junger Menschen, die durch die Homohass-Politik Russlands spontan den Entschluss fassten, eine unbefangene und nicht an den gängigen Ritualen orientierte (was man früher wohl „rotzig“ bezeichnet hätte) „Homosexuelle Aktion“ ins Leben zu rufen.
Und zweitens
ist das, was Kraushaar mit „macht man sich jetzt fit für den internationalen Markt“ beschreibt eine beachtliche Umdeutung der Tatsache, dass es auch insbesondere darum ging, in Russland gehört und verstanden zu werden. Was ja nach Aussage von russischen Aktivisten auch funktioniert hat.
„Ihre Aktionen sind fantasievoll und friedlich, ihre Währung ist – Einschaltquoten gleich – die Zahl der Teilnehmer, verbindliche Inhalte sucht man vergebens. Zur Unterstützung werden Musikvideos für Youtube produziert …“
Doch Musikvideos werden nicht für Youtube funktioniert, sondern für die Menschen die so dort sehen können. Und man kann ja über den inhaltlichen Gehalt von „Love Is Not For Propaganda“ streiten, aber nicht darüber, dass er in der politischen Auseinandersetzung um die russischen Gesetzte für viele Menschen eine gewisse Bedeutung hatte.
Über all das kann man diskutieren (hier im Blog ist das mehr als genug passiert). Man kann es aber auch sein lassen, wie all die Diskussionen, die sich immer nur daran abarbeiten, Unvergleichbares vergleichen und das Fehlen des Vergangenen beklagen zu wollen.
Doch wenn es nicht mehr ums Bewerten, ums Meinen und Streiten geht, sondern einfach nur um den Versuch, eine weiteren frei erfundene Konflikt in die Welt zu schiessen, sind deutliche Worte notwendig.
Ja, wir brauchen eine kontroverse Debatte, ja es gibt Konflikte, mit denen wir uns beschäftigen müssen. Aber das hier ist das Gegenteil, wenn selbst ein vermeintlicher Meinungssatz …
„… Politisch ist hier gar nichts, auch wenn es vorgeblich um die ganz große geht, um die in Berlin so wie die internationale. …“
auf einer pathetischen, aber schlicht falschen Behauptung basiert:
„Jedes ‚Auflehnen‘ gegen die Unterdrückung homosexueller Menschen hat – so formulierte es einmal Alfonso Pantisano, der Frontmann von „Enough is enough“ – „gar nichts mit Politik zu tun. Sondern mit Anstand!“
Kraushaar hat die Rede nicht nur falsch zitiert. Er hat nicht nur an einer entscheidenden Stelle etwas falsch verstanden.
Er hat sich schlicht geweigert zuzuhören, worum es überhaupt ging.
Aus der Rede zur Eröffnung der „Rainbow Flame“, dem Startschuss der Dauer-Mahnwache am Potsdamer Platz während der Olympischen Winterspiele in Sotschi:
„… Das IOC sagt: Sportler dürfen in Sotschi nur während der Pressekonferenzen ihre Meinung sagen.
Das IOC sagt, Sportler dürfen auf den Podien nach den Wettkämpfen keine politischen Äußerungen machen.
Das IOC sagt, Kritik an der russischen Homo-Verfolgungspolitik sei verboten, da es eine politische Äußerung sei.
Doch was ist daran politisch? Was ist politisch daran, wenn ich klarstelle, dass Homosexualität eine ganz normale Veranlagung ist und keine ansteckende Krankheit, vor der man kleine Kinder beschützen muss?
Ganz im Ernst, liebes IOC: Ist es etwa auch politisch, wenn ich mich in Sotschi als Sportler hinstelle und sage, dass die Erde rund und keine Scheibe ist? Wollen Sie wirklich sagen, dass es eine Meinungsäußerung ist, wenn ich betone, dass wir uns im Jahr 2014 befinden und nicht im Mittelalter?
Liebes IOC: Es geht hier nicht um Politik. Es geht hier schlicht und einfach um Grundbedingungen von Zivilisation. Das Auflehnen gegen ein politisches System, das eine Menschengruppe zu einer Gefahr der Gesellschaft erklärt und sie damit der Erniedrigung und Verfolgung preisgibt, hat erst einmal gar nichts mit Politik zu tun. Sondern mit Anstand! …“
Lasst uns gegen Homophobie kämpfen. Lasst und erklären, aufklären, lasst und um die richtigen Wege streiten. Es gibt dabei nicht die Strategie, die Lösung, aber unglaublich viele Menschen, die dazu etwas zu sagen haben.
ein sehr kluges – fast möchte ich sagen: weises – plädoyer.
ich gebe zu, dass ich mich beim lesen hier und da ertappt gefühlt habe. wo immer jemand eine (in meinen augen) allzu unreflektierte assimilationspolitik propagiert, da lasse ich mich rasch und gern in den strudel einer eskalierenden gegensatz-debatte hineinziehen.
sinnvoller wäre es wohl in der tat, nicht immer gleich zu sagen: du bist auf dem holzweg, sondern zu fragen: aha, welche konkreten erfahrungen hast du damit gemacht? hat dein ansatz fuktioniert? wenn ja, wo und mit welchem ergebnis?
ich halte theorie-debatten weiterhin für sehr wichtig, denn ich glaube daran, dass politische aktionen die besten ergebnisse hervorbringen, wenn die konkrete strategie auf einer gut durchdachten theoretischen basis steht. schade ist es aber, wenn solche debatten zum selbstzweck werden und man zu viel energie damit verpulvert, dem anderen nachzuweisen, dass er das falsche tut oder gar denkt – statt einfach selbst das zu tun, was man für richtig hält.
historisch gesehen deutet ja einiges darauf hin, dass wir die erfolge der letzten jahrzehnte eben nicht einer einzigen strategie verdanken, sondern dass es gerade ein zusammenwirken vermeintlich widersprüchlicher strategien war, die auf verschiedenen ebenen und in verschiedenen bereichen jede auf ihre art ein umdenken bewirkt haben.
ohne die provokanten aktionen „radikaler“ homos könnte heute z.b. kein „bürgerlicher“ schwuler über die eheöffnung diskutieren. umgekehrt hatte die einführung bürgerlicher privilegien für lesbische und schwule paare indirekt auch positive auswirkungen auf den alltag derjenigen homos, die diese privilegien lieber abschaffen wollen.
nicht erst heute haben wir es nicht mit dem EINEN diskriminierungsproblem zu tun, sondern mit vielen, teils scheinbar paradoxen problemen. es ist ein denkfehler, der häufig gemacht wird, und den du ja hier auch benennst, zu glauben, wir bräuchten den EINEN ansatz, der alle diese probleme löst.
und es muss nicht automatisch schädlich sein, mit mehreren strategien gleichzeitig zu arbeiten. die mögen einander zwar theoretisch ausschließen, und sicherlich wäre es unglaubwürdig, wenn ein und dieselbe person geichzeitig einen assimilatorischen und einen revolutionären ansatz verträte. in der konkreten politischen wirkung aber können vielleicht tatsächlich manchmal mehrere ansätze zusammen das effektivste bündel ergeben.
ich schließe mich deinem plädoyer also gern an: kein wischiwaschi herstellen. nicht immer konsens suchen und danach gar keine politische kante mehr haben (wie viele csd-motti schmerzlich belegen). wir sollten aber die ansätze und strategien der anderen mehr wertschätzen lernen.