Ein Großteil der Lesben und Schwulen, die sich am Samstag zur Demo gegen die russische Homo-Politik in Berlin zusammen finden werden, haben vom Lesben- und Schwulenverband (LSVD) wohl noch nie etwas gehört. Manche mögen das bedauern. Die Leute vom LSVD tun das jedenfalls nicht. Sie arbeiten gerade hart daran, möglichst keine Rolle bei Lesben zu spielen.
Ausgerechnet in den Wochen, in denen nach vielen Jahren die Lesben- und Schwulenbewegung wieder in Bewegung kommt, demonstrieren deren selbsterklärte Sprecher „business as usual“, spielen unbekümmert weiter „Politbüro“, ein Spiel, was offensichtlich dann am meisten Spass macht, wenn man vom eigenen Volk nicht dabei gestört wird.
Selbst abgesehen davon, ob es dieses „Volk“ überhaupt gibt, also eine nennenswerte Zahl von Lesben und Schwulen, für die der LSVD irgendeine Bedeutung hat, ist es sehr beachtlich, mit welchem unerschütterlichen Selbstbewusstsein er sich in der Öffentlichkeit präsentiert.
Die Diskussion darüber, welche Haltung gegenüber den Olympischen Winterspielen angesichts der russischen Homo-Verfolgungspolitik angemessen ist, geht quer durch alle gesellschaftlichen Institutionen. Schon in der Bundesregiegung – oder noch spezifischer: – schon unter den FDP – Ministern der Bundesregierung gibt es unterschiedliche Positionen um den besten Weg, etwa darüber, ob ein Boykott mehr nutzen oder mehr kaputt machen kann.
Wenn man durch die vielen vielen Blog- und Facebook-Einträge von Lesben und Schwulen aller „Couleur“ scrollt (oder die der einschlägigen Medien und Organisationen), sieht man, wie vielschichtig auch hier die Diskussion ist. Vor allem aber merkt man, welche enorme Bedeutung und Eigendynamik das Thema hat, und wie interessiert, engagiert und politisch sich gerade die Teile der „Szene“ verhalten, die noch bis vor Kurzem als hoffnungslos desinteressiert, unengagiert und unpolitisch galten.
Den LSVD scheint all das nicht zu jucken. Während die Szene endlich wieder zur Szene wird und dabei ist, die richtigen Formen und Fragen zu suchen, tritt der Verband nicht als derjenige auf, der diesen Meinungs- und Willensbildungsprozess unterstützt, sondern als der, der die Antworten längst gefunden hat:
Am 25. August, also eine Woche vor der geplanten Demo in Berlin vermeldet der Sport Informationsdienst (SID), nicht nur, dass sich der Lesben- und Schwulenverband gegen einen Boykott der Spiele ausspricht, sondern auch, wie die alternativen Protestmethoden ganz konkret auszusehen haben:
So soll die Mannschaft des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) nach den Vorstellungen des LSVD Anstecknadeln in Regenbogenfarben tragen.
Der LSVD maßt sich also nicht nur an, die Richtung des Protestes vorzugeben, sondern auch noch die detaillierte Umsetzung. Das ist nicht nur eine Zumutung gegenüber allen Sportlern, denen er nicht nur auferlegen will, dass sie protestieren, sollen sondern auch wie. Es offenbart auch, wie wie wenig der LSVD tatsächlich an einer wirklichen Solidarisierung interessiert ist:
Nach der Athleten-Nominierung im Dezember will der LSVD die Sportler anschreiben und sie zum Tragen der Protest-Pins auffordern.
Der Lesben- und Schwulenverband will die Sportler gar nicht als autarke Verbündete, sondern nur als Forderungsempfänger, die je nach dem, ob sie auf diese Pin-Sache eingehen oder nicht, sich als gut oder böse erweisen.
Dieses Vorgehen zeigt aber auch, wie egal dem LSVD die Lesben und Schwulen in Deutschland sind, die sich mit dem Thema gerade auseinandersetzen. Ganz abgesehen davon, wie sinnig oder unsinnig die von ihm vertretene Position ist, ist es ihm offenbar auch völlig gleichgültig, ob diese in der Szene überhaupt wahrgenommen, geschweige denn nachvollzogen werden kann.
Der entsprechende Post mit den Forderungen auf seiner Facebook-Seite jedenfalls wurde bis eben von 23 Menschen „geliked“ (der Aufruf zur „Enough is Enough“ – Demo am Samstag zum gleichen Zeitpunkt von über 6000).
In einem Punkt erinnert das Gebaren des Verbandes dem der katholischen Kirche: Das Selbstbewusstsein des LSVD beruht weniger auf der eigenen Akzeptanz innerhalb der von ihm vertretenen Zielgruppe sondern auf dem festen Glauben in die eigene Weisheit.
Was niemand heute wirklich einschätzen kann, für den LSVD ist es bereits zweifelsfrei ausgemacht:
„Die russische Gesellschaft würde die Homosexuellen für den Boykott verantwortlich machen (…) Das würde die Lesben und Schwulen im Land eher weiter ins Abseits stellen.“
Immerhin kann der LSVD für diese These einen Kronzeugen präsentieren, das „Russian LGTB-Network“ , also so etwas wie die russische Variante des eigenen Vereines. Ich kenne diese Organisation nicht, gehe aber davon aus, dass sie von vielen ehrenhaften und mutigen Leuten getragen wird, so wie der LSVD auch.
Allerdings habe ich die Befürchtung, dass sich das „Russian LGBT Network“ und der LSVD nicht nur im Vertretungsanspruch von Lesben und Schwulen im jeweiligen Land ziemlich ähnlich sind sondern auch im Grad ihrer tatsächlichen Relevanz.
Wir sollten ihre Erkenntnisse zur Kenntnis nehmen. Mehr aber auch nicht. Und den deutschen Olympioniken sollten wir sagen, dass sie nicht einen Verband ernst nehmen müssen, dem selbst die von ihm vertreten geglaubten Gruppen ziemlich gleichgültig sind.
Der LSVD ist kein Politbüro, sondern eher ein liberal-konservativer Verband, der lediglich Vorschläge unterbreitet, die ihm mittelfristig mehrheitsfähig erscheinen. Das ist sonst eigentlich eher für links-alternative LGBTs sehr unbefriedigend. In der Frage des Sotschi-Boykotts muss man den LSVD jedoch loben, denn ein Boykott ist kontraproduktiv. Gut, dass der LSVD auf russische Aktivisten hört, satt populistischen Alarmismus zu verbreiten, auf die Bedürfnisse und Sorgen der betroffenen russischen Aktivisten einzugehen, ist lobenswert. Das tun zum Glück auch andere Homo-Gruppen. http://www.queer.de/detail.php?article_id=19916
„Die russische Gesellschaft würde die Homosexuellen für den Boykott verantwortlich machen (…) Das würde die Lesben und Schwulen im Land eher weiter ins Abseits stellen.“ Irgendwie hab ich das Gefühl, dass das nur ne Ausrede sein soll, um nix zu tun.
wen juckts?
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