Was hat Axel Springer auf dem CSD zu suchen?

Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer SE, hat den in der WELT erschienenen queerfeindlichen Gastbeitrag kritisiert, der in der Community für Entsetzen gesorgt hatte.

Der ganze Ton ist oberflächlich, herablassend und ressentimentgeladen. Nicht weit entfernt von der reaktionären Haltung: Homosexualität ist eine Krankheit. Transsexualität ist Einbildung. Statt des freiheitlichen Geistes des „jeder soll nach seiner Façon selig werden“, raunt es hier vom Schutz der „sittlichen Überzeugungen der Bevölkerung“. Der Text hat einen Sound, der für jeden freien toleranten Geist unangenehm ist.

Gleichzeitig verteidigt er, dass der Beitrag veröffentlicht wurde:

Ich verstehe jeden, der sich durch den Text verletzt fühlt. Dennoch darf die Funktion des Gastkommentars nicht ignoriert werden. Die Idee von Gastkommentaren ist ja, das Spektrum des Sagbaren bis an die Grenzen auszuloten und auf diese Weise Debatten anzustoßen. Deswegen schreiben da oft Autoren, die nie Eingang in normale Kommentarspalten finden würden. Sie sind nicht die Stimme der Redaktion, die ohnehin – gerade bei WELT – nicht einheitlich denkt, sondern ein diverses Meinungsspektrum verkörpert. Und erst recht nicht handelt es sich hierbei um die Stimme des ganzen Hauses. Unser Haus steht für Vielfalt. Also auch und gerade für Meinungsvielfalt.

An dieser Aussage ist einiges problematisch. Unter anderem, dass sie einfach nicht stimmt. Der in der WELT erschienene Artikel vertritt eben nicht eine irgendeine abseitige Meinung, deren Autoren, es „nie in normale Kommentarspalten“ schaffen würden. Er vertritt sogar die Meinung des WELT-Chefredakteurs Ulf Poshardt, der sich auf LikendIn ausdrücklich öffentlich hinter den transfeindlichen Artikel stellte, wie der Medienjournalist Stefan Niggemeier  auf Twitter dokumentierte.

Der queerfeindliche Artikel ist zudem, anders als von Döpfner dargestellt, keine abseitige Position, die das „Spektrum des Sagbaren bis an die Grenzen“ auszulotet. Queerfeindlichkeit gehört zur Grundausstattung der WELT und wird dort nicht nur von Gastautor*innen, sondern auch vom eigenen Spitzenpersonal gepflegt, um die Leserschaft bei Laune zu halten. Das geht so weit, dass Ulf Poschardt sogar den Überfall Russlands auf die Ukraine dazu nutze, um die angeblich verweichlichten Deutschen indirekt dazu aufforderte, mit dem albernen Queerkram auzfuhören:

Die Freiheit wird nicht am Tampon-Behälter in der Männertoilette verteidigt, eher am Hindukusch und ganz konkret bei unseren Freunden in der Ukraine, in Kiew, in der Ostukraine und im ganzen Land.

Immer wieder wird in der WELT, ähnlich wie im Gastbeitrag, mit falschen Fakten Stimmung gegen die Anliegen der LGBTI-Community geschürt.

Als der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte Ungarn im letzten Jahr Ungarn wegen der Anti-Homosexuellen-Gesetze kritisierte und die Meinung vertrat, das Land hätte in der EU nichts mehr zu suchen, schreib WELT-Chefkommentator Jacques Schuster einen Wut-Kommentar. Nicht gegen Viktor Orbán, sondern gegen Mark Rutte.

Er log, Rutte hätte Ungarn kritisiert, nur weil es gegen die Homo-Ehe sei, und die hätte es ja bis vor wenigen Jahren auch in Deutschland noch nicht gegeben. Dabei ging es bei Rutte gar nicht um die „Homo-Ehe“, sondern um das Gesetz, das Informationen über Homosexualität verbietet, um Kinder zu schützen. Schusters verharmlost also wissentlich die ungarische queerfeindliche Politik, um die gegen diese gerichtete Kritik zu skandalisieren. Über die westeuropäischen Altmitglieder der EU, die sich gegen die Queerfeindlichkeit in Osteuropa wenden, schreibt er:

Sie glauben im Ernst, dass ihre Vorstellung einer liberalen Gesellschaft und ihr Verständnis von der gesellschaftlichen Förderung sämtlicher Minderheiten die einzig zulässige Form des demokratischen Lebens sei. Darin ähneln sie Missionaren, sind wie diese beständig auf Seelenfang aus und wollen jedem einreden, allein ihre Kirche mache selig.

Fanatiker sind Menschen, die nur bis eins zählen können. In gesellschaftlichen Fragen sind die meisten westeuropäischen Regierungen und mit ihnen ein Teil der öffentlichen Meinung Fanatiker. Wer sich ihnen verweigert, hat zu verschwinden. Fliegt raus. Auf Nimmerwiedersehen. Ob dieses Gebaren dem europäischen Vertragswerk entspricht, kümmert sie nicht.
Nach Ansicht des WELT-Chefkommentators sind diejenigen, die sich gegen die Ausgrenzung Homosexueller einsetzen, also Fanatiker. Nach Ansicht des WELT Chefkommentators ist der Schutz Homosexueller in einer Demokratie nur eine Option.  Er verteidigt die Politik einer Regierung, die Homosexuellen-Rechte einschränkt, um Kinder zu schützen. Das ist mindestens so reaktionär wie der Gastbeitrag.
Nochmal zurück zu Döpfners Statement zum Gastbeitrag. Dort schreibt er:
War es richtig, dass dieser Artikel zu genau diesem Zeitpunkt bei WELT erscheint? Und war die Reaktion darauf angemessen? Zur Frage, ob es richtig war, kann man geteilter Auffassung sein. Dass sich infolgedessen Menschen der LGBTIAQ*-Community verletzt oder herabgewürdigt gefühlt haben, spricht dagegen. Ebenfalls dagegen spricht das Timing direkt zum Start des Pride Month. Wie ich das finde, tut hier gar nicht viel zur Sache. Denn wie ich schon oft gesagt habe: Ich habe hart daran gearbeitet, dass in diesem Haus jeder sagt und schreibt, was er oder sie denkt und nicht, was ich für richtig halte.

Auch das stimmt so nicht. Bei Springer gibt es Unternehmensgrundsätze, die sogenannten „Essentials“, denen alle Journalist*innen verpflichtet sind. Zu diesen gehört unter anderem die Unterstützung der freien und sozialen Marktwirtschaft und das Existenzrecht Israels. Jeder, der bei Springer arbeitet, weiß, dass er dort keine antisemitischen Positionen publizieren darf.

Was vorbildlich ist. Antisemitismus ist schließlich keine Meinung. Das Problem ist, dass die Springer-Leute das bei Queerfeindlichkeit anders sehen. Nach der Kritik am Gastbeitrag schrieb Ulf Poshardt auf Twitter, dieser sei

auftakt zu einer debatte, die wir ebenso breit wie offen führen werden
In der WELT will man also tatsächlich „offen“ über Positionen debattieren, die der Vorstandsvorsitzende mit nah dran an „ist eine Krankheit. Transsexualität ist Einbildung.“ zusammenfasst. Meinungsfreiheit bedeutet in den Springer-Medien WELT und BILD vor allem die Freiheit, gegen Minderheiten auszuteilen. Toleranz bedeutet vor allem, die zu tolerieren, die gegen Minderheiten austeilen.
Döpfner:
Was im Zusammenhang mit dem Gastkommentar passiert, ist symptomatisch. Es ist ein Beispiel für die Polarisierung von Publizistik und Gesellschaft. Verlernt wird seit einigen Jahren in besorgniserregendem Tempo die demokratische Grundtugend, unterschiedlicher Meinung zu sein. „We agree to disagree“ nennen die Engländer das. Man widerspricht sich. Aber man redet miteinander. Immer häufiger aber wird nicht mehr widersprochen, nicht mehr miteinander geredet, sondern einfach ausgegrenzt. Deine Meinung gefällt mir nicht. Also rede ich nicht mit dir. Ich ghoste oder cancel dich.
Queere Menschen sollen also lernen, sich besser diskriminieren zu lassen.
Und da sind wir schon beim eigentlichen Problem von Döpfners Reaktion. Denn diese hätte es gar nicht gegeben, wenn Axel Springer  nach der Veröffentlichung des Gastartikels in WELT nicht von der queeren Jobmesse Sticks & Stones ausgeschlossen worden wäre. Für Döpfner, der sich aufgrund von Springers unternehmerischen Engagement in den USA um die Darstellung einer positiven Unternehmenskultur sorgen muss, ist die Ausladung von einer queeren Jobmesse in Deutschland ein Problem.
Was wiederum zeigt, dass die Sticks & Stones Betreiberfirma Uhlala hier alles richtig gemacht hat. Es ist zu wünschen, dass andere queere Organisationen diesem Beispiel folgen werden. Die CSDs sind nicht dazu da, das Firmenimage von Firmen zu reparieren. Dort sollten nur Organisationen und Marken vertreten sein, die queerfeindlicher Hetze keinen Raum geben.
Das Beispiel Sticks & Stones deutlich gemacht, dass Druck wirkt. Ohne Druck ist Emanzipation nicht zu haben. Dass Döpfner das anders sieht, ist verständlich, sein Problem. Ein CSD ist keine „We agree to disagree“-Veranstaltung, sondern das Gegenteil: Trotz aller Unterschiede vereint im Kampf gegen Ausgrenzung. Wer Homophobie und Queerfeindlichkeit für eine Meinung hält, hat sich selbst vom CSD ausgeladen. Falls es tatsächlich in diesem Jahr eine Anmeldung von Springer für den Berliner CSD gibt, sollte der Vorstand eine Lösung finden, wie das queere Mitarbeiter*innen-Netzwerk queerseite in die Parade integriert werden kann, die Springer-Marken jedoch außen vor bleiben.
In den Springer Essentials gibt es übrigens auch folgenden Satz:

Wir lehnen politischen und religiösen Extremismus und jede Art von Rassismus und sexueller Diskriminierung ab.

Ich bin mir sicher, dass eine CSD-Pause die Springer-Leute inspirieren wird, einmal darüber nachzudenken, wie man sich dieser Aufgabe stellen will.

Mehr zum Thema:

„Trans als Trigger: Wie die „Welt“ den Kampf gegen lästige, obskure Minderheiten befeuert„: Mein Kommentar des queerfeindlichen Beitrages auf uebermedien. 

Erwiderung auf Poschardt hier im Blog: Putins Krieg: Warum Europas Freiheit am Tampon-Behälter im Männerklo verteidigt wird

Hier im Blog: Die Queerfeindlichkeit von WELT und BILD.

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