Ausgerechnet der Kulturchef des als liberal und aufklärerisch geltenden SPIEGEL sucht eine Ursache für das vermeintliche Auseinanderdriften der Gesellschaft bei trans Menschen, die nicht mit ihrem alten Namen konfrontiert werden wollen. Hammelehle schürt so Angst vor trans Menschen, indem er sie für eine von ihm behauptete bedrohliche gesellschaftliche Entwicklung mitverantwortlich macht. Den Wunsch, den sogenannten „Deadname“ nicht mehr in der Öffentlichkeit verwendet zu sehen, bringt er in einem Zusammenhang mit dem „Vaporisieren“ von Wörtern in George Orwells Roman „1984“, in dem ein totalitärer Staat die Freiheit des Denkens und somit die Freiheit abschaffen möchte.
Doch Hammelehles wahnhafte Ressentiments sind nicht nur deshalb so problematisch, weil er transfeindlichen Angstmachern einredet, begründeten Anlass für ihren Hass zu haben, statt die zu verteidigen, die Opfer dieses Hasses sind. Der Essay des Kulturchefs ist nicht nur deswegen ein Problem, weil er sich auf die Kunst der Demagogie statt auf die der Fakten stützt. In meinem Blogbeitrag von gestern habe ich erläutert, wie Hammelehles schuldzuweisende Argumentation nur deshalb funktioniert, indem er die Hintergründe des „Deadnamings“ einfach unterschlägt. Doch seine ganze Argumention ist auch aus einem ganz anderen Grund wirres Zeug: Sie ist historischer Unsinn.
Hammelehle beschreibt das „Deadnaming“ als ein aktuelles Phänomen, ein Symptom dieser seltsamen „Umbruchsjahre“. Sein Kronzeuge ist der trans Schauspieler Elliot Page, der nicht mit seinem alten Namen angesprochen werden möchte. Ihm schwant:
Die Zahl der Transmenschen ist klein. Der kulturelle Umbruch jedoch, der von ihnen und anderen Minderheiten ausgeht, gewaltig. Dafür ist das Verschwinden von Elliot Pages Totnamen nur ein weiteres Indiz.
Das große Raunen, die große Warnung, die sich hinter jedem Satz von Hammelehle vernehmen lässt, sagt: Und wenn das so weiter geht? Ja, wo kommen wir da eigentlich hin?
Ja, wohin eigentlich?
Im Jahr 2007 erschien in der WELT ein Porträt über das älteste Kind des SPIEGEL-Gründers Rudolf Augsteins, die 1949 geborene Rechtsanwältin Maria Sabine Augstein, die – selbst trans – sich viele Jahre juristisch erfolgreich für die Rechte von trans Menschen eingesetzt hat. (Vier von fünf Entscheidungen vor dem Bundesverfassungsgericht, mit denen einzelne Vorschriften aus dem Transsexuellengesetz für verfassungswidrig erklärt wurden, hat Augstein erfochten.)
Die WELT schrieb:
Mit jedem ihrer Fälle verteidigt Maria Sabine Augstein auch ein Stück ihrer eigenen Geschichte: „Ich kann nachvollziehen, was es heißt, in einem Körper zu leben, der sich fremd anfühlt“, sagt die Anwältin. Sie selbst mag sich nur ungern erinnern an die Zeit, als sie noch ein Mann war. Nicht einmal ihren damaligen Namen will sie noch gedruckt sehen. „Diese Zeit ist für mich abgeschlossen. Das war zu schmerzvoll. Das habe ich abgehakt. Vorbei. Ich bin mit 28 Jahren als Maria Sabine Augstein neu geboren.“
Die WELT druckte ihren ehemaligen Namen nicht.
Das war 2007 und es darf als verbirgt gelten, dass die Haltung Augsteins inklusive der Bitte um das Unterlassen von Deadnaming die Gesellschaft an keiner Stelle in irgendeiner Form gespalten oder geschwächt hat. Im Gegenteil: Die Rechtsanwältin hat Herausragendes für trans Menschen erreicht, sondern auch dieses Land zu einem besseren gemacht. 2015 erhielt sie dafür das Bundesverdienstkreuz.
Die WELT druckte ihren ehemaligen Namen nicht.
Aus Respekt. Aus Empathie. Und auch aus Professionalität: Es gab und gibt keinen journalistischen Grund dafür.
What the fuck happened to DER SPIEGEL?
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Hier der Ursprungsbeitrag:
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