Die Heftigkeit, mit der den 185 Schauspieler*innen gerade vorgehalten wird, wie wenig mutig und noch weniger notwendig ihre Coming-out-Aktion war, ist der beste Beweis dafür, wie notwendig und mutig sie war.
Auf welt.de gibt es unter dem entsprechenden dpa-Artikel über die Aktion #Actout mittlerweile über 600 Kommentare. Doch eigentlich gibt es nur einen.
Und der geht ungefähr so:
„Warum werden wir mit so einer unwichtigen Information belästigt? Die spielen sich doch nur unnötig auf.“
Hunderte Statements und fast alle sind Homo- und Transphobie in Reinform, weil hier aus Opfern Täter gemacht werden: Hier wird nicht nur die vorhandene Diskriminierung geleugnet, sondern auch noch zusätzlich unterstellt, dass es den Betroffenen gar nicht darum geht, einen Missstand zu beheben, sondern einen Vorteil zu erreichen. Demnach sind es nicht Homosexuelle und trans* Menschen, die sich gegen diskriminierende Strukturen der Mehrheitsgesellschaft wehren müssen. Es ist die Mehrheitsgesellschaft, die sich gegen Homosexuelle und trans* Menschen wehren muss!
Doch machen wir uns nichts vor: Dieses Falsch-Verständnis der tatsächlichen Situation queerer Menschen in Deutschland ist nicht nur Standard bei der konservativen bis reaktionären Stammklientel der Kommentar-Kellers von welt.de. Das Gerede von den Homos, die sich zu wichtig nehmen, ist Usus auch bei denjenigen, die felsenfest davon überzeugt sind, Alliierte im LGBTI-Emanzipationskampf zu sein.
Es ist bezeichnend, dass dieses Massen-Coming-out ausgerechnet in der Branche notwendig scheint, deren Personal sich in ganz besonderem Maße als aufgeklärt und liberal verortet, was offensichtlich die Schwierigkeit des Coming-outs nicht vermindert hat: Sich liberal fühlende Heteros sind ganz oft der Meinung, dass es schon eine Großtat von ihnen ist, mit queeren Menschen befreundet oder kollegial verbunden zu sein, ohne „damit“ ein Problem zu haben. Im Umkehrschluss erwarten sie dann oft, dass „das“ kein Thema sei. Queer sein ist supi, aber bitte privat und nicht in der Öffentlichkeit. Dass eine solche Erwartung besonders problematisch in einer Branche ist, der es um das Gestalten von Öffentlichkeit geht, liegt auf der Hand.
Das öffentlich-rechtliche System in Deutschland ist eine Errungenschaft, die es zu verteidigen gilt – umso mehr in Zeiten von Populismus und dem Gerede von Lügenpresse. Doch das öffentlich-rechtliche System, das lange Jahre nicht nur über Fernseh- sondern mittels Co-Finanzierungen auch über einen Großteil der deutschen Filminhalte und -besetzungen mitentschieden hat, ist der queeren Sichtbarkeit mit zum Verhängnis geworden. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist so mächtig ausgestattet, weil er eine demokratiefördernde Aufgabe hat, die unter anderem darind besteht, Vielfalt zu gewährleisten. Doch dem ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht nur nicht gerecht geworden. Dass ein solches Massen-Coming-Out notwendig und auch möglich war, zeigt den immensen Leidensdruck. Es macht deutlich, dass der ÖR fast schon zu einer Art Kartell gegen die Sichtbarkeit queerer Menschen geworden ist, da er die Macht, die er eigentlich besitzt, um Vielfalt zu fördern, dazu missbrauchte, sie zu erschweren.
Zwar gibt es viele Menschen in diesen Anstalten, die ihr Bestes tun und denen bewundernswerte diverse Inhalte gelingen. Doch nach allem, was man immer wieder hört, müssen diese Inhalte meist hart erkämpft werden. Eigentlich müsste es andersherum sein: Die Intendant*innen müssten mit mutigen Diversity-Initiativen vorangehen. Doch in den Funkhäusern gibt es meist nicht einmal das Mindestmaß an Diversity-Management, das man heute mittlerweile schon von einem mittelständigen Unternehmen erwartet. Und das sind Organisationen, die sich nicht auf ihre Fahnen schreiben, irgendwie Demokratie-relevant zu sein.
Dass sich die mächtige Produktionsfirma Ufa unter ihrem (schwulen) Chef Nico Hofmann Ende letzten Jahres einer Selbstverpflichtung zu mehr Diversität vor und hinter der Kamera verpflichtet hat, ist ein enorm wichtiger Schritt. Aber er zeigt auch, wie problematisch das Gebaren der Sender ist, da es ja eigentlich Aufgabe der Auftraggeber und nicht der „Zulieferer“ sein müsste, Werte und Standards festzulegen.
Die große Coming-out-Aktion der Schauspieler*innen beschämt nicht nur den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, sondern ist auch ein Indiz dafür, dass seine Macht schwindet. Durch die Konkurrenz der Streamingdienste können heute Filme und Serien immer mehr an den Geldern und Entscheidungsstrukturen des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks vorbei produziert werden.
Aber trotzdem fängt der Kampf um Sichtbarkeit und Diversität in den Medien jetzt gerade erst an. Auf #Actout hat außer den LGBTI- und Künstlerinnen-Communities fast niemand gewartet, wie das laute Schweigen der allermeisten kulturellen und medialen Eliten nahelegt. In den nächsten Wochen und Monaten wird viel Lobbyismus und Aufklärungsarbeit notwendig sein. Das Schöne dabei ist, dass der Kampf um Sichtbarkeit und Repräsentanz jetzt nicht mehr nur von einigen Wenigen gemeistert werden muss. Das bedeutet auch, dass niemand zur Aktivist*in werden muss, um aktiv für seine Interessen und die der anderen einzustehen. Wenn jede der 185 Personen immer mal wieder ausspricht, was nötig ist, dann ist das schon eine ganze Menge und sehr viel mehr, als in den letzten Jahren möglich war. Jede*r kann dazu beitragen, dass auf diese bewundernswerte Aktion wirkliche Veränderungen folgt.
Doch schon jetzt zeigt sich, dass das nicht einfach wird. In einer niederschmetternden Kritik der Coming-out-Aktion zieht beispielsweise die FAZ- Feuilletonchefin Sandra Kegel die Legitimation der „vierzehnseitige Klage“ ganz grundsätzlich in Zweifel. Dass Homophobie im deutschen Feuilleton genau so zu Hause ist wie am Stammtisch, ist nicht neu. Dass die dahinterstehende Logik jedoch so deckungsgleich ist, ist besorgniserregend.
Kegel schreibt:
Natürlich lassen sich Gegenbeispiele von Hollywood bis „Soko“ finden, und dass Unterzeichner wie Ulrich Matthes, der natürlich ungezählte Familienväter spielte, oder auch Udo Samel, Mavie Hörbiger oder Maren Kroymann an Unterbeschäftigung litten aufgrund verschlossener Türen, hat ihre Dauerpräsenz nicht vermuten lassen. Womöglich sind ja die Türen, die sie „aufmachen wollen“, bereits sperrangelweit offen.
Für mich ist schwer einzuschätzen, ob sich Sandra Kegel hier bewusst dümmer macht, als sie ist, oder ob sie gar nichts von den Umständen verstanden hat, über die sie hier schreibt. Denn niemand hat je bezweifelt, dass Schauspieler*innen wie Ulrich Matthes, Udo Samel und Mavie Hörbiger heterosexuelle Familienväter und -mütter spielen. Das Problem liegt genau andersherum, wie auch die Überschrift der Aktion „Wir sind schon da“ unterstreicht: Dass sich die meisten dieser Schauspieler*innen eben wegen dieser Rollen oft nicht trauen in einer breiten Öffentlichkeit ihre sexuelle Identität zu offenbaren, wie das heterosexuelle Schauspieler*innen bedenkenlos permanent tun können.
Dass selbst der Leiterin eines der angesehensten deutschen Feuilletons zu einer Aktion gegen Homophobie nur Homophobie einfällt, ist erschütternd. Aber es ist auch gut zu wissen, woran man ist.
Auch das ist ein Verdienst von #Actout.
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Update:
Hier alle Beiträge zum Thema #ActOut, die nach diesem Blogpost erschienen sind.
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In meinem Podcast habe ich mit den beiden #ActOut-Initiator*innen, der Schauspieler*in Karin Hanczewski („Tatort“) und ihrem Kollegen Godehard Giese („Babylon Berlin“) über ihre Initiative gesprochen: Die bewegende Entstehungsgeschichte, die Reaktionen und was nun passieren soll. Der von queer.de präsentierte QUEERKRAM-Podcast lässt sich auch auf allen großen Podcast-Portalen und Apps abspielen.
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Weitere Beiträge zum Thema:
Rede anlässlich zur Gründung der Queer Media Society:
Queer in den Medien: Homosexualität ist keine Privatsache!
Im Theatermagazin habe ich 2018 über Homophobie in Theater, Fernsehen und Film geschrieben und Coming-outs von Schauspieler*innen geschrieben. Ich bin sehr froh, dass sich die Überschrift von damals jetzt überholt hat. Sie lautete:
Jeder springt für sich allein.
Alle Beitrage zur Homophobie und Queerfeindlichkeit der FAZ gibt es hier.
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