RTL hat die Berliner Dragqueen Nina Queer nur wenige Tage vor der geplanten Teilnahme an der „Dschungel-Show“ wegen ihrer Selbstbezeichnung als „Hitler-Transe“ gefeuert und durch einen anderen Kandidaten ersetzt. Kurze Zeit später hat BILD, auf deren Plattform Queer BILD Nina Queer bis 2019 eine eigene Kolumne hatte, damit begonnen, ihre Ex-Kolumnistin als ein Opfer dubioser Vorwürfe zu inszenieren.
BILD schreibt:
„Queer (bürgerlich Daniel Wegscheider) hatte nach einem gewalttätigen und homophoben Angriff bei Facebook die Abschiebung der ausländischen Täter gefordert. Im Interview bedauerte sie die emotionale Wortwahl, sagte aber auch, dass sie solche Angriffe nie akzeptieren würde. Im Nachsatz sagte sie, wem diese Haltung nicht passe, sie ‚halt Hitler-Transe nennen soll. Damit muss ich leben‘. Der Satz sorgte für Aufregung. Queer stellte damals klar, dass es sich um eine harte, aber satirische Aussage handele.“
Doch das stimmt so nicht.
Zunächst hatte Queer in ihrem Post, der 2017 durch die Berichterstattung dieses Blogs 2017 mediale Aufmerksamkeit erlangte, nicht einfach die Abschiebung der „ausländischen Täter“ gefordert. Ihr Facebook-Posting war sehr viel krasser. Es ging damals um Jugendliche. Und das Zitat ging so:
„Es ist doch zum Kotzen! SOFORT ABSCHIEBEN! Ob in Deutschland geboren oder nicht. Wer Stress haben will, für den lässt sich doch bestimmt ein tolles Kriegsgebiet finden…..“
wem diese Haltung nicht passe, sie „halt Hitler-Transe nennen soll. Damit muss ich leben“.
„Dann bin ich eben die erste Hitler-Transe, die es gibt, dann nehme ich das so hin.“
Sollte das kein entscheidender Unterschied machen, hätte Cremer ja auch einfach das richtige Zitat verwenden können. Aber es ist etwas anderes, ob sich jemand damit abfindet, wie er bezeichnet wird („ … halt Hitler-Transe nennen soll“), weil er gegen eine solche Bezeichnung nicht viel ausrichten kann („damit muss ich leben“).
Oder ob jemand sagt, „Dann bin ich eben die erste Hitler-Transe“ und somit ein Selbst-Branding vornimmt, auf dass er – die erste Hitler-Transe! – offensichtlich stolz ist.
Was Cremer zu Nina Queers Verteidigung als Beiläufigkeit, als flapsiger Nachsatz abtut, war von der Dragqueen ganz offensichtlich bewusst gesetzt. Das “Hitler-Transe“-Zitat stammt aus einem Interview mit dem Tagesspiegel vom Sommer 2020, in dem Nina Queer ihr neues Buch bewirbt. Es heißt „Sie ist wieder da“, was natürlich eine Anspielung auf den Roman „Er ist wieder da“ von Timur Vernes ist, in dem Hitler 2011 eine Auferstehung erlebt. Nicht nur der Titel von Nina Queers Buch sondern auch das Cover ist dem von Timur Vernes nachempfunden. Nina Queer hatte die „Hitler-Transe“ ziemlich offensichtlich bereits vorher bewusst als Marketing-Trick benutzt und man kann diesen Bezug ja durchaus auch als originelles popkulturelles Zitat verstehen, solange deutlich ist, dass es sich um Satire handelt. Bis zum Tagesspiegel-Interview war die offensichtlich für die PR einkalkulierte mediale Entrüstung über ihre Hitler-Provokation in Buchtitel- und Cover allerdings ausgeblieben und es sieht ganz danach aus, als ob Nina Queer diese Entrüstung in diesem Zeitungs-Gespräch nun endlich bewirken wollte. Dazu verbindet sie ihr „Sofort-Abschieben!“ mit der „Hitler-Transe“, das sich nun auf etwas bezieht, das nichts mehr mit Satire zu tun hat. Dass sie ihre Abschiebe-Forderung für Minderjährige in Kriegsgebiete nicht satirisch sondern ernst meint, hat Nina Queer selbst beteuert; allenfalls die „Wortwahl“ sei übertrieben, weil sie aufgrund des Themas sehr „emotional“ gewesen sei. Als Klarstellung betont sie hierzu im Tagesspiegel-Interview:
„Man muss Grenzen überschreiten. Rückgrat und eine eigenen [sic! ]Meinung sind die wertvollste Währung, die man heute haben kann“
Nina Queer möchte also genau so verstanden werden. Sie möchte provozieren und das nicht nur mit satirischen Witzchen sondern auch mit politischen Aussagen, die von der Forderung nach der Todesstrafe für jugendliche Straftäter nicht allzu weit entfernt sind.
Natürlich kann man RTL vorwerfen (wie das etwa hier oder hier geschieht), diese und andere minderheitenfeindliche und rassistischen Provokationen ignoriert zu haben und erst nach Protest aus der queeren Community und einer öffentlichen Intervention der Kabarettistin Désirée Nick die Reißleine gezogen zu haben. Andererseits kann man den Kölner Sender verstehen. Es gab gute Gründe dafür, sich auf den äußeren Eindruck zu verlassen, die politische Agenda der Berliner Lokalberühmtheit sei nicht so problematisch.
Neben der BILD-Zeitung kommt dem RBB-Fernsehen dabei eine ganz besonders unrühmliche Rolle zu. Der öffentlich-rechtliche Sender fungierte in den letzten Jahren als eine Art PR-Agentur der Dragqueen. Er sorgte nicht nur dafür, dass alle von Nina Queer entfachten Grenzüberschreitungen und Skandale in der Berichterstattung über sie quasi keine Rolle spielten, sondern bastelte auch noch absurde Geschichten um sie herum, die die gegen sie erhobenen Vorwürfe ganz offensichtlich als unbedeutend oder haltlos darstellen sollten.
Zwei Beispiele:
Nach ihrem Abschiebe-Post von 2017 trennte sich die Berliner SPD von Nina Queer als damalige „Toleranz-Botschafterin“ der Partei mit deutlichen Worten. Ihre Äußerungen, so erklärte die Partei, seien „völlig inakzeptabel“, man distanziere sich „nachdrücklich von diesen menschenverachtenden Kommentaren.“ Das Ganze führte zu einer großen Aufregung in den Berliner Medien. Nicht so aber im RBB-Fernsehen. Zwei Jahre später, im Mai 2019, feierte die RBB-Abendschau „70 Jahre Grundgesetz“, indem „prominente Berliner“ dazu eingeladen wurden, einen Artikel aus der Verfassung vorzulesen, zu dem diese „einen besonderen starken emotionalen Bezug“ hätten. Die Person, die immerhin nach Meinung der Berliner Regierungspartei SPD und großen Teilen der Berliner queeren Szene für menschenverachtende Provokationen stand, durfte sich nun als Testimonial der Menschenrechte inszenieren. Nina Queer wurde eingeladen, Artikel 2 vorzulesen, also den, der das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit, das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die Freiheit der Person schützt. Natürlich ist Nina Queer nicht abzusprechen, dass ihr all das wichtig ist. Aber es ist gleichzeitig auch heikel, wenn sich der RBB ausgerechnet für die Rolle der Menschenrechts-Verteidigerin jemanden aussucht, der öffentlichkeitswirksam gegen genau dieses Menschenrecht polemisiert hatte, um das es in diesem Grundgesetz-Artikel geht: Die körperliche Unversehrtheit, die das Grundgesetz ja auch jugendlichen Tätern garantiert.
Natürlich darf sich der RBB trotzdem auf Nina Queers Seite stellen, darf der Meinung sein, dass all diejenigen, die sie und ihre Provokationen als menschenverachtend betrachten, nicht recht haben oder übertreiben. Der RBB darf auch der Meinung sein, dass sich Nina Queer von diesen Positionen ja ausreichend distanziert habe. Aber: Dann hätte der RBB dies auch so benennen müssen. Durch das Verschweigen der Umstände tut der RBB so, als hätte es diese Umstände nicht gegeben oder als seien sie nicht relevant.
Weil sie von RTL aufgrund der Rassismusvorwürfe gefeuert wurde, spricht Nina Queer nun erwartungsgemäß von „Cancel Culture“. Wenn es wirklich eine „Cancel Culture“ in diesem Fall gibt, dann die des RBB-Fernsehens, das jahrelang diese Vorwürfe im Programm unterschlug, ja: cancelte.
Wie auch im nächsten Beispiel:
Im Sommer 2020 gibt es wieder einen Skandal nach Rassismus-Vorwürfe gegen Nina Queer, nachdem der Berliner CSD geplant hatte, die Dragqueen als Teil des coronabedingten Online-Pride auftreten zu lassen. Es kam zu enormen Verwerfungen innerhalb der Community und sogar zu dem einmaligen Vorgang, dass eingeplante People Of Colour-Moderator*innen ihre Teilnahme am CSD absagten, nachdem CSD-Vorstände sich geweigert hatten, sich von rassistischen Aussagen Nina Queers zu distanzieren, beziehungsweise diese überhaupt als rassistisch einzustufen.
Die Künstlerin und Moderatorin Malonda begründete ihre Ansage auf Facebook damit, dass der CSD-Vorstand nicht gewillt war
… die nicht nur aus meiner Sicht eindeutig rassistischen Einlassungen von Nina Queer klar als solche zu benennen und sich folglich zu distanzieren, war für mich ein deutliches Signal, als queere Schwarze Frau bei diesem Pride nicht mitgemeint zu sein.
Und forderte:
Es darf im Jahr 2020 keine passive Haltung zu derartig deutlichen rassistischen Äußerungen geben; speziell an einem Ort, den es ohne die weltweite Beteiligung von BIPOC Akteur*innen gar nicht gäbe. Dieses Umfeld war für mich folglich kein Rahmen, in dem ich stattfinden wollte.
Hier kann man dem RBB schon fast keine passive Haltung mehr vorwerfen. Es ist schlimmer.
In der Fernsehberichterstattung des RBB über den Berliner Pride war von den Verwerfungen keine Rede. Der RBB „cancelte“ im Black-Lives-Matter-Jahr sogar die Stimmen derer, die sich als People of Colour durch den Umgang des CSDs mit Rassismus vom Hauptstadt-Pride nicht mehr vertreten fühlten. Selbst die Absage der Moderatorin Malonda war dem RBB keine News wert.
Was den RBB aber nicht daran hinderte, am CSD-Tag eine Live-Schalte ausgerechnet zu der Person durchzuführen, von der sich nach heftiger Kritik schließlich selbst der CSD-Vorstand distanziert hatte.
Statt von den Protesten berichtete RBB-Reporter Arndt Breitfeld von einer kommerziellen Pride-Party, die Nina Queer an einem See veranstaltete und führte dann sogar ein Interview mit ihr. Er hatte also die Person vor seinem Mikrofon, die Ursache heftiger Differenzen gewesen ist.
Unglaublich aber wahr: Zu all dem befragte Breitfeld Nina Queer mit keinem einzigen Wort. Sicherlich einer der Berliner journalistischen Tiefpunkte des letzten Jahres. Wer sich mittels dem Fernsehprogramm des RBB über den CSD informierte, musste tatsächlich annehmen, dieser habe im letzten Jahr nur mit Corona zu kämpfen gehabt.
Ja, man kann über RTL meckern. Aber warum sollten bei einem Unterhaltungsformat eines Privatsenders ethische Standards gelten, die sogar für die Nachrichtensendungen des öffentlich-rechtlichen Senders RBB offensichtlich irrelevant sind?
Die Fans von Nina Queer können den Rausschmiss nicht verstehen. Sie können nicht nachvollziehen, was ihr da vorgeworfen wird, halten die Kritik an ihr großteils für überzogen und als einen Beweis dafür, dass man heute gar nichts mehr sagen darf. Klar: Cancel Culture! Die eigentlich so wichtige Diskussion um Rassismus in Deutschland wird nun nach den Spielregeln des Boulevards geführt. Dass die BILD in diesen Dingen verklärt statt aufklärt, darf erwartet werden.
Doch ohne die Cancel Culture des RBB, ohne seine Rassismus-Egalheit hätte es nicht so weit kommen müssen. ♦
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Update:
Wie schon bei den letzten Rassismus-Vorwürfen rechtfertigt sich Nina Queer mit einem großen Lügen-Text:
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Mehr im Blog zum Thema:
Wie die RBB-Intendantin Patricia Schlesinger beim Rassismus von Dieter Nuhr versagt hat.
Rassismus: Warum Nina Queer nicht Borat ist
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Im BILDblog habe ich über Nina Queers Kolumne bei Queer-BILD geschrieben: BILD feiert den schwulen Selbsthass
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