Ehe für alle: Der geheime Plan um die Konfettibombe im Bundestag

Foto: REUTERS/Fabrizio Bensch

Die Konfettibombe im Bundestag und Volker Beck: Es ging als das Foto zur Ehe für alle um die Welt und es wird wahrscheinlich auch in nicht allzu ferner Zeit in deutschen Geschichts- und Schulbüchern zu finden sein.

Doch wie es zu diesem Foto kam, ist bisher nie öffentlich erzählt worden. Für das Nollendorfblog erklärt die damalige und heutige Grünen-Bundestagsabgeorfnete Ulle Schauws (ganz rechts im Konfettibild) nun erstmalig die Hintergründe der geheimen Aktion, die wohl niemand, der am 30. Juni 2017 die Ehe für alle feierte, je vergessen wird.

Ulle, danke, dass du uns die Geschichte mit der Konfettibombe erzählst. Wer hatte eigentlich die Idee und was war das Ziel?

Die Idee, Konfetti-Kanonen zu zünden, kam aus dem Büro von Volker Beck, im Besonderen von seinen Mitarbeiter*innen Charlotte Obermeier und Sebastian Brux. Für uns alle war klar, dass es bei dem Ereignis „Ehe für alle“ kein belangloses Bild aus dem Plenarsaal geben sollte; im schlimmsten Fall wäre es vielleicht sogar Merkels rote Karte geworden. Das Bild des Tages sollte aber so groß aussehen, wie es dem Erfolg der Eheöffnung gerecht wird, und es sollte unsere Freude ausdrücken, für die der Tag steht. Wir wollten, dass das Bild um die Welt geht. Gleichzeitig war es Volkers letzter Plenartag und nach so vielen Jahren Kampf für queere Themen wollten ihm sein Team und wir einen schönen Abschied bereiten. Die Inspiration gaben übrigens die Szenen aus dem neuseeländischen Parlament zur Eheöffnung 2013. Dort begannen die Zuschauer*innen nach tosendem Applaus ein Lied zu singen und der ganze Saal stimmte ein. Für dieses besondere Ereignis im deutschen Bundestag wollten wir ein ähnlich grandioses Bild.

Gab es auch Vorbehalte?

Ja, es gab Vorbehalte, denn – so wunderbar wie es am Ende war – ist so eine Aktion im Plenarsaal verboten. Also haben wir vorher schon genau abgewogen, was passiert, wenn wir es trotzdem machen. Ich hab in der Nacht davor schlecht geschlafen, denn ein bisschen Aufregung war schon dabei; und wir hatten keine Lust auf Ärger in der Fraktion oder mit dem Bundestagspräsidenten. Den Ärger gab es am Ende dennoch, aber es war bei weitem nicht so gravierend, wie erwartet. Vor Allem, wenn ich heute diese grandiosen Bilder sehe. Aber mir ist es gerade heute ein großes Anliegen zu betonen, dass Regeln im Plenum sehr nötig sind. Es ist wichtig, eine klare Ordnung für ein miteinander zu haben, an die wir uns alle halten müssen.

Wer war eingeweiht?

Es wussten tatsächlich nur die Mitarbeiter*innen von Volker und von uns Abgeordneten Sven-Christian Kindler, Monika Lazar, Lisa Paus und ich Bescheid. Auch Volker wusste nichts. An einige, wenige Vertreter*innen der Presse gab es im Vorfeld einen kleinen Hinweis, aber viel mehr als dass ein Bildereignis zur Ergebnisbekanntmachung geplant war, haben wir nicht verraten.

Wie liefen die Vorbereitungen ab und was waren die besonderen Herausforderungen?

Zwei Tage vorher haben Sven-Christian Kindler und ich in Volkers Büro einen Probeschuss abgefeuert. Erschreckend war, dass die Kanonen sehr laut waren. Uns wurde trotzdem schnell klar: zwei Kanonen sind zu wenig, wir brauchen mehr Konfetti. Daraufhin haben wir die Abgeordneten Lisa Paus und Monika Lazar angesprochen und die beiden waren sofort dabei.

Ulle Schauws sitzt seit 2013 für Bündnis 90 / Die Grünen im Bundestag und ist zusammen mit Sven Lehmann queerpolitische Sprecher*in ihrer Fraktion (Foto: Simon Erath)

Als nächstes mussten wir uns gut überlegen, wie wir die Konfetti-Kanonen unauffällig ins Plenum bekommen. Wir haben uns am Ende für die grauen Stofftaschen vom Bundestag entschieden, mit denen viele Angeordnete auch sonst ihre Unterlagen ins Plenum mitbringen. Zu viert haben wir uns dann frühzeitig in den Plenarsaal begeben, damit wir ganz sicher um Volker herum sitzen konnten.

Die Tribünen oben waren voll mit LSBTIQ Verbänden und Zuschauer*innen, die alle auf das Ergebnis hin fieberten. Dann kam die Abstimmung. Während ausgezählt wurde, wurde mit der weiteren Plenumstagesordnung banal weiter gemacht. Für einen kurzen Moment war die freudig, aufgeregte Stimmung weg. Als dann klar war, gleich wird das Ergebnis verkündet, haben wir uns angeschaut, die Kanonen bereit gehalten und sind alle aufgestanden. Wir haben bei der Verkündung der überwältigenden Zahl positiver Stimmen sofort gezündet und – trotz anfänglicher Ladehemmung – war der Moment perfekt.

Die anderen Abgeordneten um uns herum haben sich natürlich wegen des lauten Knalls erschreckt. Aber schon kurz danach haben sich alle über den Konfettiregen gefreut. Auch aus den Reihen der SPD und die Linke gab es Zuspruch und viel aufrichtige Freude über das wunderbare Ergebnis. Volker war kurz vorher informiert worden. Er sollte sich ja nicht erschrecken.

Ist dann letztendlich alles so gelaufen wie geplant?

Diese Bild im Konfettiregen ist um die Welt gegangen. Das hatten wir uns erhofft. Die Presse hat sich sehr gefreut. Zwei Stunden später kam von meinem Neffen, der bei der UN in USA arbeitete, die SMS, dass die Meldung über die „Ehe für alle“ in Deutschland mit diesem Foto kursierte. Da wussten wir, wir hatten genau die richtige Entscheidung getroffen.

Ich saß auch auf der Pressetribüne und erinnere mich sehr intensiv daran, wie empört Bundestagspräsident Lammert reagierte und Euch rügte: Die Aktion sei „unangemessen“ und „unzulässig“ und diskreditiere durch den Verdacht der Albernheit auch Euer Anliegen. Wie wirkte die Reaktion auf Euch?

Bundestagspräsident Norbert Lammert hat uns ja sofort gerügt und die Frage stand im Raum, ob wir eine hohe Geldstrafe zahlen müssten. Britta Haßelmann hat als unsere erste parlamentarische Geschäftsführerin sofort mit ihm gesprochen und es für uns raus gerissen. Ich habe die Reaktion verstanden und fand es nachvollziehbar. Ich hatte mir die Entscheidung dazu ja auch nicht leicht gemacht, aber es trotzdem für richtig gehalten. Und Volker hat sich sehr gefreut.

Wie waren die Reaktionen um Euch herum?

Insbesondere von der SPD und die Linke haben sich viele mitgefreut. Es gab auch viele Tränen und Applaus auf den Tribünen und die Stimmung war euphorisch. Es waren so viele Vertreter*innen aller LSBTIQ Verbände anwesend. Ein historischer Moment.

Du hast an dem Tag neben Volker Beck gesessen. Wie hast Du Volker da erlebt?

Ich war sicher, dass Volker sehr glücklich war. Wie im siebten Himmel.

Wie war der restliche 30. Juni für dich?

Der 30. Juni war ja der letzte Freitag vor der Sommerpause und viele Saalmitarbeiter*innen hatten ihren letzten Arbeitstag. Einige befürchteten, dass sie an dem Tag sehr viel mehr Arbeit mit den Schnipseln hätten als sonst. Denn – vier Konfetti-Kanonen haben ordentlich Dreck produziert. Wir haben dann sofort zugesichert, alles selbst wegzumachen. Und das Ergebnis wird dem schwulen Museum jetzt übergeben. Nach dem Ende der Plenardebatte haben wir sofort jeden einzelnen Schnipsel wieder aufgelesen. Jetzt kenne ich jedenfalls jeden Winkel des Bodens im Plenarsaal.

Abends war dann noch unser grüner parlamentarischer Regenbogenempfang, bei dem wir diesen historischen Moment gefeiert und Volker verabschiedet haben. Es war ein großer Zufall, dass er an dem gleichen Abend stattfand und die Community dadurch den Erfolg am gleichen Ort selbstbewusst feiern konnte.

 Was erhoffst Du Dir davon, dass das Konfetti  jetzt ins Schwule Museum* kommt?

Ich wusste zwar nicht, dass die Schnipsel mal ins Schwule Museum kommen würden, aber ich wollte sie auf keinen Fall wegwerfen. Denn diese Schnipsel haben so viel Bedeutung für mich persönlich und die gesamte queere Community. Es war bislang der ereignisreichste Tag meiner Abgeordnetenlaufbahn.

Ich erhoffe mir, dass dadurch dieses Bild des Tages, das bereits im Museum hängt, greifbarer wird. Ich finde, es ist ein schönes Detail, zu wissen: Das sind die Schnipsel und die sind historisch. Wir wollten damals unsere bunten, vielfältigen Lebensrealitäten im Plenum sichtbar machen, und dass es diese Realitäten gibt, darf gerade heute nicht vergessen werden.

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