Merz, Laschet, Klöckner und die Verläßlichkeit der ganz normalen Homophobie in der CDU

„Wir verbieten nichts, und wir sperren niemanden ein. Deshalb können Sie ruhig und entspannt sein. Aber lassen Sie die Kinder in Ruhe, bitte“

Vladimir Putin über Homosexuelle

Das Problem an der sehr kurzen Assoziationskette des Friedrich Merz von Schwul bis Kinderschänder ist nicht, wie gerade gerne behauptet wird, dass sie ein Weltbild aus dem vergangenen Jahrhundert offenbart. Das Problem ist, dass es das Weltbild von heute ist, dass das Gesagte ziemlich genau dem entspricht, was ein Großteil der Deutschen auf dieselben Fragen und Nachfragen antworten würden, wenn man sie denn fragen würde.

Friedrich Merz verteidigt sich in einem Interview auf t-online  damit, dass er ja die Frage, ob ein schwuler Bundeskanzler ein Problem sei, ja eindeutig mit „nein“ beantwortet habe und das deshalb seine anschließende Warnung über illegale Handlungen und das Wohl von Kindern nichts mit dem Thema Schwulsein zu tun habe. Das ist das erste, und auch dümmste Argument in jedem Homophobie-Bingo: Man habe ja bereits klargestellt, dass man nicht homophob sei, deshalb können auch alle weiteren Aussagen nicht homophob gemeint sein.

Das Bekenntnis, nichts gegen Schwule zu haben, ist in Deutschland weitgehend wertlos, weil es hier wie von autokratischen Homosexuellenverfolgern mittlerweile selbst von Rechtsradikalen benutzt wird, um dann anschließend gegen Schwule zu hetzen. Und zwar mit genau dem Aber-Argument, das auch Merz in den Sinn kam: Aber die Kinder! Ob Friedrich Merz bewusst war, dass ihm hier das uralte und besonders in Deutschlands Verfolgungsgeschichte Homosexueller besonders hartnäckig gepflegte Ressentiment vom Homo-Kinderschänder in den Sinn kam, ist dabei zweitrangig. Man ist nicht homophob, weil man es sein möchte, sondern, weil man es ist.

 (Für die,  die es immer noch nicht begriffen haben: Da Merz, der oft und gerne über heterosexuelle Zusammenhänge spricht und dabei noch nie auf die Idee kam, im direkten zeitlichen und/oder ursächlichen Zusammenhang eine Kinderschänderwarnung auszusprechen, ist quasi auszuschließen, dass es nicht explizit die homosexuelle sexuelle Identität war, die er mit Missbrauch in Verbindung brachte.)

Entscheidend für einen angemessenen Umgang mit Homosexualität und Homophobie ist nicht das Allerweltbekenntnis, sondern die tatsächliche Auseinandersetzung mit Homosexualität und Homohobievorwürfen. Wir reden hier nicht von einem Gender-Studium, sondern von einem Basissatz an Empathie und von fünf Minuten Reflexion. Oder, wie Konservative es vielleicht nennen würden: Vom Willen zu Anstand und gesundem Menschenverstand.

Wäre es nicht so homophobietypisch, müsste es fassungslos machen, wie der Mann, der nächster Bundeskanzler werden möchte, sich auch Tage nach seinen Äußerungen immer noch zum Opfer seines eigenen Tuns macht und zur Abwehr der Homophobievorwürfe fast alle zur Zeit gängigen homophoben Narrative bedient.

Spielen wir also mit dem, was Merz auf t-online in seinem Rechtfertigungsinterview sagt, mal wieder das alt-beliebte Homophobie-Bingo. Spoiler-Alarm: Er räumt ab in fast allen Punkten:

  • Er habe ja homosexuelle Freunde.

Ja, und das heißt bitte was?

  • Er komme ja mit Homosexuellen super aus.

Merz scheint wirklich noch zu denken, Homosexualität sei eine Charaktereigenschaft.

  • Homosexualität sei Privatsache.

Ist es nicht, weil Heterosexualität es auch nicht ist. Außerdem: Wer das sagt, meint damit fast immer: Homosexualität sollt bitte nicht so sichtbar sein.

  • Homosexualität sei ein Lebensentwurf.

Homosexualität ist keine Entscheidung! Die Debatte um Konversionstherapien und das daraus resultierende Verbot in Deutschland hat Merz entweder nicht mitbekommen oder nicht verstanden. Oder es ist ihm ganz einfach egal: Dass und warum Homosexuelle darum kämpfen mussten, dass man ihren – wie Merz es nennt: Entwurf – nicht mit Mitteln der Strafjustiz oder der Psychofolter austreibt.

Aber jeder kann mal in die falsche Wortwahl rutschen. Das ist nicht das Problem, sondern, dass man auch nach vielen Hinweisen und Aufklärungsversuchen anderer und einer Nachdenkmöglichkeit von mehreren Tagen immer noch nicht begreifen möchte, was man da eigentlich gesagt hat. Als ihn die Interviewer auf t-online darauf ansprechen, dass Homosexualität eben keine Entscheidung ist, schaut er diese an wie kleine Jungen, die irgendeine dumme Erklärung auftischen, warum sie nach dem Sandmännchen nicht nicht ins Bett gehen müssen. Und sagt: „Jetzt fängt’s aber wirklich an, ein bisschen Haarspalterei zu werden. Also wie jemand lebt und welchen Lebensentwurf er hat, ist Privatangelegenheit, so, und das habe ich damit zum Ausdruck gebracht und das kann man nun wirklich nicht mehr missverstehen.“

Ja, es ist wirklich nicht misszuverstehen: Merz antwortet auf den Einwand, den seine Argumentation als homophob deutlich macht, mit genau dieser homophoben Argumentation. Hierfür sind zwei Erklärungen denkbar: Entweder er schreit förmlich danach, endlich unmissverständlich als homophob verstanden zu werden. Oder er möchte seinen edlen Intellekt nicht mit dem Nachdenken über Logik im Zusammenhang mit Homosexuellem beschmutzen. Weiter geht’s:

  • Er habe doch mit einem Homosexuellen darüber gesprochen.

Wenn man mit jemandem diskutiert, der nicht darauf verzichten möchte, das N-Wort zu benutzen, kommt er fast immer: Der Verweis darauf, mit einem Schwarzen gesprochen zu haben, für den das N-Wort offensichtlich kein Problem sei. Friedrich Merz macht es noch einfacher: In der Verteidigung seiner Aussagen lässt er die Information, ob der Schwule, bei dem er dafür Absolution gesucht hat, diese auch tatsächlich erteilt hat, einfach weg. Friedrich Merz sagt, er habe Alexander Voigt, dem Vorsitzenden der Lesben und Schwulen in der Union, in einem Telefongespräch mitgeteilt: „Passen Sie auf, das ist an keiner Stelle irgendwo bösartig gemeint gewesen, wenn’s auch so interpretiert worden ist, ich hab mit dem Thema kein Problem.“

Was Alexander Voigt dazu zu sagen hat, sagt er nicht. Voigt hatte zuvor erklärt, er sei maßlos verärgert darüber, dass Merz den „immer wieder hergestellten, aber nicht vorhandenen Zusammenhang zwischen Homosexualität und Pädophilie“ herstelle. Merz sagt nicht, ob sie über Voigts Vorwürfe gesprochen haben, ob er in dem Gespräch etwas gelernt oder eingesehen habe. Ja, wie er das schildert – „passen Sie auf!“ – kann es ja gar nicht darum gegangen sein, dass er selbst etwas von seinem Kritiker lernen wollte. Sondern nur, dass dieser lernen sollte, dass seine Kritik unberechtigt ist. Das Argument, das Merz hier macht, ist, das, dass er keins braucht. Beziehungsweise, dass es schon eines ist, mit einem Schwulen gesprochen zu haben.

Aber, wie gesagt: Merz ist nicht aus der Zeit gefallen. Homophobie war lange Jahre Markenkern der Union und auch heute noch sind viele Anhänger dankbar, dass die Konservativen schon aufpassen, dass das mit der Homosexuellerei in Deutschland nicht übertrieben wird.

Als Merz 1994 für die CDU in den Bundestag kam und zwei Jahre später CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender wurde, war der Paragraf 175 gerade erst abgeschafft worden. Die CDU hatte die Abschaffung bis zum Schluss hinausgezögert, obwohl sie durch die Wiedervereinigung notwendig geworden war. Wie tief die homofeindlichen Reflexe in der CDU liegen, zeigte sich aber auch danach immer wieder. (Ich habe hierzu im Blog ein ganzes Dossier zusammengestellt. Friedrich Merz homophobe Historie gibt es hier). Als 20 Jahre später 2014 die Abschaffung des Paragrafen und somit das Ende der Kriminalisierung Homosexueller gefeiert wurde, erklärte ein rheinland-pfälzischer CDU-Lokalpolitiker, dass dies kein Grund zum Feiern sei. Nach heftiger Kritik „entschuldigte“ er sich nach Merz-Manier: „Ich will niemanden diskriminieren, aber wir haben eine Schutzpflicht für unsere Kinder.“ Eine Provinzposse war das nicht, weil die damalige und heutige rheinland-pfälzische CDU-Vorsitzende Julia Klöckner sich zwar nach einigem Druck distanzierte, jedoch auffällig sanft. Klöckners Pressesprecher sagte lediglich, dass die „Meinung des Parteifreundes nicht die Positionen der CDU Rheinland-Pfalz“ sei.“ Eine Position ist kein Grundsatz, schon gar keine Grundüberzeugung, sondern etwas, was sich jederzeit ändern kann.

Besonders ekelhaft äußerte sich die immer wieder mit dem Kinder- und Jugendschutz gerechtfertigte Homophobie der Union, als sie 2017 – also sehr in diesem Jahrhundert – zwar mit für die Entschädigung der Opfer des 175 stimmte, doch in letzter Sekunde auf die Voraussetzung bestand, dass bei einheitlichem Sex unter Homosexuellen mit 16 Jahren ein anderes Schutzalter als bei Heterosexuellen (14 Jahre) zu berücksichtigen ist.

Der Union war es also noch 2017 wichtiger, den Eindruck zu erwecken, dass einvernehmliche sexuelle Handlungen unter Homosexuellen anders als bei Heterosexuellen in Gefahr des Missbrauchs sind, statt endlich Opfern im Seniorenalter  den Respekt und die Entschädigung zuzubilligen, die oft jahrzehntelang unter der von ihr vorangetreibenen Verfolgungspolitik gelitten hatten. Was Homosexuelle betrifft, bleibt sich die CDU ihrer Tradition als Täterpartei treu. Annegret Kramp-Karrenbauer wurde nicht trotz, sondern auch wegen ihrer Homophobie zur Parteivorsitzenden gewählt und es sagt einiges über das Selbstverständnis der CDU aus, dass vor zwei Jahren ausgerechnet Merz und AKK die beiden Führungspersonen waren, denen die Mitglieder am liebsten folgen wollten.

Die CDU heute, und das sagt Friedrich Merz selbst, findet im Großen und Ganzen die Reaktionen der Kritiker seiner Aussagen übertrieben und sichtbarer Widerspruch daran hat es außer von Homosexuellen in der Partei ja auch kaum gegeben.

Besonders interessant ist hierbei die Position von Armin Laschet, also Merz‘ direktem Konkurrenten um den Parteivorsitz, dem man unterstellen muss, in einer Interviewsituation wie der von Merz ziemlich ähnlich reagiert haben zu können.

Auf die Aussagen von Merz angesprochen sagte er auf einer Pressekonferenz:

„Ich will das gar nicht bewerten. …

Ja, warum eigentlich nicht?

… Es spielt im Jahr 2020 wirklich keine Rolle mehr, wer wen liebt. …

Was ist eigentlich so schwierig daran, in einen solchen  Satz ein „sollte“ einzubauen?

… das ist Konsens in unserer Gesellschaft.

Zu Ende gedacht ist auch dieser Satz ohne ein „sollte“ homophob: Denn weil das mit dem Konsens ja eben nicht stimmt, weil es ja entgegen Laschets Aussage erwiesenermaßen doch jede Menge Homophobie gibt, liegt darin auch der Grund, warum Kritiker immer wieder gegen homophobe Aussagen protestieren müssen. Doch nach Laschets Logik ist dieser Protest unbegründet: Homosexuelle regen sich demnach auf über etwas, das es gar nicht gibt. Und ja, das ist – genau wie bei Merz – homophob.

… und das ist auch Konsens in einer modernen Volkspartei.

nun ja.

In der Sendung „Maischberger“ sagte Laschet dann noch, er verstehe die Kritik des (offen schwulen) Gesundheitsministers Jens Spahn, der Merz eine Assoziation von Homosexualität und Pädophilie unterstellt hatte, meinte aber dann über Merz:

„Ich glaube nicht, dass er homophob ist. Das geht zu weit.“

Entweder fällt Laschet dem homosexuellen Spahn, mit der er als Team für Vorsitz und Vizevorsitz der CDU kandidiert, brachial in den Rücken, indem er widerspricht, dass Merz Homosexuelle mit Pädophilie assoziiert habe. Oder er gesteht ein, dass Merz diese Assoziation machte, hält sie aber nicht für homophob. Beides ist aus homosexueller Sicht sehr problematisch. Symptomatisch aber auch hier, dass in der CDU fast niemand ein Problem damit zu haben scheint.

Bleibt in der Betrachtung des CDU-Spitzenpersonals noch Julia Klöckner. Die hatte schon in der Aufregung um AKKs Karnevalswitz die Lage aus Sicht der CDU verschlimmbessert, als sie dachte, für die Parteivorsitzende die in Bresche zu springen zu müssen. Klöckner verteidigte AKK, in dem sie meinte, es müsse auch möglich sein, über sexuelle Minderheiten Witze zu machen. Das Problem war nur, dass AKKs Verteidigungslinie aus der gegenteiligen Behauptung aufbaute und darauf bestand, sexuelle Minderheiten überhaupt nicht gemeint zu haben und allen, die so etwas behaupteten (also eigentlich auch ihre Stellvertreterin Klöckner) Bösartigkeit unterstellte. In der CDU kann, zumindest wenn es Aussagen zur sexuellen Identität geht, gerne Gegenteiliges behauptet werden, ohne dass die Beteiligten darin Widersprüche erkennen möchten. Auch Merz hatte seinen Kritiker*innen Bösartigkeit vorgeworfen. Jetzt hat er das Argumet gewechselt und sagt, er verstehe, wie man auf solche Vorwürfe kommt, aber er sei eben falsch verstanden worden. Bei seinen Kritiker*innen entschuldigt hat er sich natürlich nicht für seine boshaft unterstellte Bösrtigkeit.

Auch dieses mal versucht Klöckner, ihre Parteifreunde zu verteidigen. Und auch diesmal geht es ziemlich schief:

„Weder Friedrich Merz noch Armin Laschet oder Norbert Röttgen haben Ansichten aus dem vergangenen Jahrhundert“

… denn da hat sie Recht: Die Homophobie in der CDU ist keine Ansicht aus dem vergangenen Jahrhundert. Sie ist eine Ansicht, die auch heute nicht totzukriegen ist.

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