Die Frage ist eigentlich nur, was der größere Skandal ist: Die Dreistigkeit und das Ausmaß der Falschaussagen, mit denen sich der EON offensichtlich unter die Top Ten der angeblich LGBT-freundlichsten DAX-Konzerne geschummelt hatte? Oder die Bereitschaft, mit der die Firma Uhlala, Ausrichter des „LGBT+ Diversity Index“, dem Konzern trotz seiner Manipulationen bei der Geschichtswahrung hilft?
Im Dezember hatte Uhlala mit einem enormen Presseecho erstmalig den „Dax 30 LGBT+ Diversity Index“ veröffentlicht, ein Ranking, das laut Handelsblatt angeblich zeigt, wie es „um die Rechte und Belange von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und vergleichbaren Gruppen in Deutschlands Großkonzernen“ geht. Der Stromkonzern EON belegte auf dem Index den achten Platz, was mir sehr merkwürdig vorkam, da ich zu den im Report zum Index behaupteten Aktivitäten im Internet nichts finden konnte und mir der Konzern auch in einer Presseanfrage in anderer Sache hierzu keine Angaben machen konnte oder wollte.
Uhlala hat mir soeben auf Anfrage mitgeteilt, dass sich alle Verdachtsmomente weitgehend bestätigt haben, mit denen ich vor knapp einen Monat die Selbstauskünfte von EON zu deren LGBT-Engagement in Zweifel gezogen hatte.
– Anders als bei der Angaben im Index suggeriert, gibt es kein bundesweites EON-MitarbeiterInnennetzwerk.
– Anders als bei der Angaben im Index suggeriert, gibt es keine bundesweiten EON-LGBTI-Kampagnen.
– Anders als von EON behauptet, gibt es kein öffentliches Diversity-Statement zu LGBTI.
Doch wahrscheinlich ist alles noch viel schlimmer. Denn die von mir aufgezeigten Unstimmigkeiten bezogen sich nur auf Angaben, die im Internet nachprüfbar waren. Wenn aber ein Konzern schon die Wahrheit so sehr verdreht, wenn es sein öffentliches Engagement betrifft und es sich herausstellt, dass dieses quasi gar nicht vorhanden ist: Wie wahrscheinlich ist es dann, dass ausgerechnet intern alles so viel besser ist? Müssten dann nicht alle Angaben unter Fälschungsverdacht stehen und entsprechende Beweise gefordert werden?
Doch trotz der Täuschungen verlässt sich Uhalala weiterhin bei den nicht zu überprüfenden Angaben auf die Selbstauskünfte des Konzerns, der offensichtlich gar keine Scheu vor massiven Manipulationen hat. Die einzige Konsequenz bisher: EON fällt vom achten auf den 16. Platz, da es nur bei den drei von mir monierten Kriterien Punktabzüge gab.
Und so fällt die Korrektur im Index vergleichsweise gering aus, auch weil Uhlala bereit ist, weiterhin vage Angaben zu akzeptieren. Uhlala schreibt mir zum Feedback von EON auf meine Fragen:
Es gibt ein LGBT+ Mitarbeitendennetzwerk, jedoch nur in der größten Konzerngesellschaft. Da das Netzwerk nur in einer Konzerngesellschaft und nicht für den Gesamtkonzern existiert, wurden somit in dieser Kategorie Punkte abgezogen und nicht mehr die volle Punktzahl vergeben. Bei Innogy laufen intern LGBTI-Kampagnen. Da auch hier dies nur für eine Konzerngesellschaft gilt und nicht für den Gesamtkonzern wurde auch in dieser Kategorie nur ein Teil der Punkte vergeben. Ein öffentlich auf der Website sichtbares Diversity-Statement konnte uns E.ON nicht vorweisen, daher erhält E.ON in dieser Kategorie keine Punkte.
Mit den aktualisierten Punkten erreicht E.ON so nun den 16. Platz mit 57 Punkten.
Doch das eigentliche Problem ist nicht, dass hier ein Konzern, der sein Engagement vor allem in das Vortäuschen von Queer-Freundlichkeit investiert, hier trotzdem in relativer guter Position auf einer Liste geführt wird, die das Gegenteil behauptet. Das Problem ist, dass die Versuche, diese Liste mit Falschangaben zu manipulieren nach Plan von Uhlala ohne große öffentliche Aufklärung hätten stattfinden sollen. Es gab keine Pressemitteilung, die auf die Schummeleien und die Korrektur hingewiesen hatte. Auf der offiziellen Website des Diversity-Index wurde die Korrektur „stillschweigend“ vorgenommen, es gibt keinen Hinweis darauf, dass hier Änderungen erfolgt sind. Dass da überhaupt etwas passiert ist, könnte man theoretisch einem Facebook-Post entnehmen. Doch da ist weder von Manipulation noch von EON die Rede, der Post ist ganz offensichtlich nur dazu da behaupten zu können, man hätte irgendwas klargestellt. Doch wie soll man das zuordnen, wenn verschwiegen wird, was da einetlich korrigiert worden ist?
Hier der Facebbook-Post von Uhlala vom 8. Januar 2020:
++ DAX 30 | LGBT+ Diversity Index | Update ++
Nachdem wir auf einzelne inhaltliche Punkte in unserer Auswertung zum DAX 30 LGBT+ Diversity Index hingewiesen wurden, haben wir diesen wie folgt korrigiert. Wir sind stets dankbar für jegliches Feedback.
Auch in bei den Hashtags hat man wohl den Konzern „vergessen“:
#lgbt #queer #dax30 #leadership #german #diversity #inclusion #lgbtfriendly #trans #bi #rolemodels #employers #business
Es zeigt sich: Der Diversity-Index ist eine Farce und das nicht nur durch seine Methodik und Fehleranfälligkeit, die ich bereits im letzten Blog hierzu ausgeführt hatte. Die mangelnde Bereitschaft der durchführenden Firma Uhlala, gravierende Manipulationen aktiv zu kommunizieren und die eigene Methodik und Fehleranfälligkeit auch in einem solchen Fall nicht infrage zu stellen und entsprechend anzupassen zeigt, wie unseriös das ganze Ranking ist. Denn natürlich ist davon auszugehen, dass von den insgesamt 300 Angaben der 30 DAX-Unternehmen nicht nur ausgerechnet die drei Angaben falsch oder grob ungenau sind, die mir aufgrund anderer Recherchen aufgefallen sind.
Über die angeblich queerfreundlichsten DAX-Konzerne hatten aufgrund des Index fast alle großen deutschen Wirtschaftsmedien berichtet. (Handelsblatt: „So gut kümmern sich Dax-Konzerne um Homosexuelle“.) Sie sind auf eine riesige PR-Nummer hereingefallen. Der Index dient ganz offensichtlich nicht dazu, möglichst genaue Aussagen über die LGBTI-Maßnahmen in Unternehmen zu treffen. Er ist wohl vor allem ein Marketinginstrument für die Firma Uhlala, die sich auf der Website des Index so beschreibt:
Durch Events, Workshops, Trainings, Audits, Zertifizierung, Öffentlichkeitsarbeit und Consulting unterstützt sie progressive Arbeitgeber dabei, ihre LGBT+ Mitarbeitenden zu fördern, neue Angestellte zu gewinnen sowie ihre Arbeitgebermarke in und außerhalb der LGBT+ Community glaubwürdig zu stärken und bekannt zu machen.
Um es klar zu sagen: So gut dieser Index auch gemeint sein mag, er richtet sich gegen die Community. Er ist ein Alibi, eine Einladung zum Pinkwashing, er fällt denen in den Rücken, die sich in der Wirtschaft gegen Homosexuellenfeindlichkeit wehren. Wie der Fall EON / Katherina Reiche zeigt, wo ein Konzern sich weigert, sich von der Homophobie einer neuen Spitzenmanagerin zu distanzieren, während er sich gleichzeitig sich mit Manipulationen beim Diversity-Index gegen Homophobie-Vorwürfe wappnet. Uhlala hätte die Chance gehabt, hieraus weitreichende Konsequenzen zu ziehen. Doch daran hat man dort offensichtlich kein Interesse.
Der Diversitäts-Index gehört, zumindest in dieser Form, abgeschafft. Schnell.
UPDATE (15. Januar 2020):
Nach heftigen Protesten versucht Uhalala einen Neuanfang beim „Diversity-Index“
Hier der ursprüngliche Blog zum Thema:
Mogelverdacht beim „Diversity Index“: Sind das wirklich die queerfreundlichsten Unternehmen?
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Mehr zum Thema hier im Blog:
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