„Seitdem die Gleichstellung erreicht und die Ehe für alle geöffnet ist, habe ich Gott sei Dank wieder so viel Zeit, dass ich die Abende mit Lesen verbringen kann.“
Manfred Bruns am 17. Oktober 2017
Was für ein Leben! Was für ein Vorbild!
Der Bundesanwalt am Bundesgerichtshof, der zu dem Anwalt der Community in Deutschland wurde: Zum juristischen Wegbereiter und Ausfechter der rechtlichen Gleichstellung Homosexueller, der Abschaffung der Strafverfolgung und der Rehabilitierung der Opfer.
Der unermüdliche und unerschrockene Dauer- und Langzeitkämpfer, der, als er sich 2016 nach 30 Jahren Engagement im LSVD aus dem Bundesvorstand zurückzog, seinen VerbandskollegInnen und uns allen auf den Weg gab:
„Wir haben unsere Erfolge nur dadurch erreicht, dass wir uns nie haben entmutigen lassen. Wir haben viele Urteile von den Obergerichten bekommen, wo ich gedacht habe, also jetzt ist es aus, das geht nicht mehr und dann haben wir doch weitergemacht und am Ende haben wir uns durchgesetzt. Und das wünsche ich mir von Euch, dass ihr weiter so arbeitet.“
Der Mensch und Partner, der – obwohl zusammen mit Volker Beck einer der beiden wichtigsten „Väter“ der Ehe für alle – diese für sich selbst und seinen Partner, seine große Liebe, nicht „nutzte“. Seine Frau, die er 1963 heiratete und mit der er drei Kinder aufzog, und er haben sich nie scheiden lassen und pflegten einen guten Kontakt. (Volker Becks Erinnerung an seinen Freund und Mitstreiter hier im Tagesspiegel.)
Nun ist Manfred Bruns im Alter von 85 Jahren verstorben. Wir, die Community, verlieren, ja, sprechen wir das Wort ruhig aus: Einen unserer größten Helden. Ja, das klingt pathetisch, aber in dem wir uns vor ihm, seiner Leistung und seinem Leben verneigen, schöpfen wir Kraft, die wir so dringend brauchen. Wir schärfen unseren Blick für das, was wirklich wichtig ist im Kampf, den er für uns geführt hat und den wir nun ohne ihn weiterführen müssen. Den wir aber eben auf seinen Schultern weiterführen dürfen.
Ja, wir brauchen Helden und wir brauchen auch Heldenverehrung: Damit wir nicht immer wieder von vorne anfangen müssen. Damit auch wir uns trauen, Grenzen zu überwinden, uns trauen, uns unmöglich erscheinende Dinge vorzustellen und nicht von der Arbeit, dem Frust, den Unannehmlichkeiten zurückschrecken, die es eben auch gibt und geben muss. Vor allem aber: Damit wir uns anschauen können, was für eine Befreiung, was für ein Glück es ist, für etwas zu kämpfen, für etwas einzustehen, das größer ist als wir selbst. Dass uns aber auch selbst größer, weil freier macht.
Und der Tod von Manfred Bruns und der Blick auf seine Größe erinnern uns im zu Ende gehenden 50sten Stonewall-Jubiläumsjahr daran, dass wir nicht über den großen Teich schauen müssen, um Geschichten über uns zu finden, die zum Weitererzählen taugen, also Geschichten darüber, wie wir wurden, was wir sind.
Eben, weil ich wichtig finde, dass wir uns auch in Deutschland mehr mit unseren Vorkämpferinnen und Vorkämpfern und deren Leben zu beschäftigen, wollte ich vor zwei Jahren in diesem Blog ein Projekt starten, dass dann aber nichts geworden ist. „Schuld“ daran ist auch Manfred Bruns.
Worum es ging: Ich hatte für bedeutende (zunächst Männer-) Figuren der Community einen Fragebogen entwickelt (angelehnt an den des FAZ-Magazins von früher), mit dem ich „Wichtiges und Nichtiges rund um schwule Kultur und schwule Klischees“ erfragen wollte. (Ja, es war für den Anfang ganz bewusst kein queerer, sondern ein schwuler Fragebogen, denn es ging ja auch darum, schwule Klischees zu strapazieren und zu hinterfragen.)
Nach und nach sollten höchst unterschiedliche Persönlichkeiten zu den immer gleichen 37 Fragen (z.B. „In welcher Stadt hättest Du gerne Dein Coming Out gehabt?“ / „In welcher Stadt hattest Du Dein Coming Out?“ „Der schönste schwule Film?“ /“Der wichtigste schwule Film?“ /“Deine Lieblingsoper?“ / „Community bedeutet für Dich?“ … ) zu Wort kommen und ich verspracht mir für meine Leserinnen und Leser dadurch interessante Vergleiche und Bezüge. Ich bat Manfred Bruns, als einer der ersten bei diesem Spiel mitzumachen, „das sowohl die Befragten als auch die Leser dazu herausfordert, sich selber zu verorten, sich anregen und überraschen zu lassen.“
Manfred Bruns hat mich dann tatsächlich überrascht, aber anders als ich mir das vorgestellt hatte. Er schickte mir als Antwort eine Mail in der er sich weigerte, meine Fragen zu beantworten. Aber gleichzeitig beantworte er sie doch. In dem er meine Fragen ablehnte und begründete, warum er das tat, erzählte er mir, was ich wissen wollte, ja viel mehr, als ich zu fragen gewagt hatte. Er spielte mein Spiel mit, aber er änderte die Spielregeln. Er zerstörte mein Format. Und schickte mir eines der berührendsten Schreiben, die ich je bekommen habe.
Ich habe es damals nicht veröffentlicht. Warum nicht, kann ich nicht mehr so genau sagen. Wahrscheinlich, weil ich hoffte, mein Fragebogen-Projekt doch noch zu realisieren und in dem Zusammenhang dann auch den Bruns-Brief zu veröffentlichen. Aber wahrscheinlich war mein Fragebogen Projekt eine unsinnige Formalie. Und Manfred Bruns hat mir (zwei Jahre vor seinem Tod und nur zwei Wochen nach der Abschaffung des Eheverbots) vorgeführt, was mit unsinnigen Formalien passiert, wenn sie auf Manfred Bruns treffen: Sie werden abgeschafft. Was für ein Glück! Danke Manfred Bruns.
Das Schreiben ist vom 17. Oktober 2017:
Hallo Johannes Kram,
(…) ich muss Sie leider enttäuschen.
Ich bin Jahrgang 1934, also jetzt 83 Jahre alt. Ihre Fragen nach meinem Coming-out haben mit meinem Leben nichts zu tun. Meine Jugend fällt in die vierziger und fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, als Schwule verfolgt, bestraft und als Asoziale ausgegrenzt wurden. Ich habe meine Homosexualität erst Anfang der achtziger Jahre zugelassen, weil ich psychisch am Ende war und es nicht mehr fertig brachte, mich dauernd zu verleugnen. Das war aber auch damals noch sehr schwierig.
Ich lebe mit meinem 79jährigen Mann seit 25 Jahren zusammen. Wir leben außerhalb der schwulen Kultur und fernab vom Mainstream. Wir haben seit 1994 kein Auto mehr. Wir besitzen zwar ein Fernsehgerät, schauen aber nie Fernsehen. Wir hören zwar viel Radio, aber nur Kulturprogramme mit klassischer Musik. Wir haben uns schon seit Jahren keine Filme mehr angeschaut und kein Theater oder Oper besucht. Die Theater und Opernbesuche haben wir aufgegeben, weil uns die Regieeinfälle oft so auf den Wecker gingen, dass wir das Theater schon in der Pause verlassen haben. Wir besuchen auch keine Lokale, außer gelegentlich mittags, wenn mein Mann nicht kochen kann oder will. Wir haben vor Ort auch keinen schwulen Freundeskreis. Den Seniorenstammtisch „40 na und“ haben wir eine Zeit lang besucht, aber dann haben uns die Gespräche dort nicht mehr gereizt.
Wir sind von außen betrachtet zwei Eigenbrötler, die sich ganz auf sich konzentrieren, sich dabei aber sehr wohl fühlen. Wir wissen natürlich, dass das ein Problem wird, wenn demnächst einer von uns sterben wird.
Unser gemeinsames Hobby ist das Fahrradfahren. Wir fahren jeden Nachmittag zwei Stunden in die schöne Karlsruher Umgebung und legen dabei im Durchschnitt 25 km zurück. Bis vor zwei Jahren habe wir im Sommer jeweils mehrere große Fahrradtouren unternommen und dabei – mit Ausnahme von England, Irland, Skandinavien und Spanien – ganz Europa erkundet. Es gibt kaum einen größeren Ort in Europa, den wir nicht besucht haben. Seit zwei Jahren machen wir im Hinblick auf unser Alter solche großen Touren nicht mehr, sondern mieten uns im Sommer in Hotels in schönen Gegenden ein und unternehmen von dort aus Tagestouren in die Umgebung.
Unser zweites Hobby ist das Lesen. Seitdem die Gleichstellung erreicht und die Ehe für alle geöffnet ist, habe ich Gott sei Dank wieder so viel Zeit, dass ich die Abende mit Lesen verbringen kann.
Das alle klingt für jüngere Leute sicher sehr absurd. Aber wir fühlen uns sehr wohl. Die letzten 25 Jahre zusammen mit meinem Mann waren die schönsten meins Lebens.
Herzliche Grüße
Beste Grüße
Manfred Bruns