Skandal um Homofolterstaat: Wie Berlins Messe-Chef Göke die Öffentlichkeit täuscht

Vorschaufoto: (c) Messe Berlin CC-Lizenz

Im heutigen Berliner Tagesspiegel fordere ich die Entlassung des Chefs der Berliner Messe, der auch für die größte Tourismus-Messe der Welt ITB zuständig ist, deren Partnerland in diesem Frühjahr der Homofolterstaat Malaysia war.

Da von Seite der Messe in dieser Sache viel Desinformation betrieben wird, zunächst zur Vorgeschichte:

Die Kritik am Festhalten der Malasysia-Entscheidung verbunden mit der Forderung nach ethischen Mindeststandards für „Partnerländer“ der ITB wurde im September letzten Jahres erstmal in diesem Blog formuliert. Nachdem mehrere Medien, der ehemalige Bundestagsabgeordnete Volker Beck und auch die grünen Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses Anja Kofbinger und Sebastian Walter sich dieser Forderung anschlossen, wurde die Sache zum Politikum. Nach anfänglichem Zögern (und auch, nachdem sie dafür zunächst hier im Blog aber auch von den eigenen Leuten heftig kritisiert worden war) engagierte sich auch die für die Messe zuständige grüne Bürgermeisterin Ramona Pop für neue Regelungen, die jedoch von der Messe zurückgewiesen wurden.

Zum Eklat kam es dann während der ITB Eröffungspressekonferenz im März, als Malaysias Tourismusminister Datuk Mohamaddin bin Ketapi zunächst die Frage eines Journalisten nicht beantworten wollte, ob sein Land für Juden und Homosexuelle sicher sei. Auch Nachfrage sagte er schließlich zum Thema Homosexualität: „Ich glaube, wir haben so etwas nicht in unserem Land.“

Die Äußerung des Tourismusministers wurde weltweites Medienthema. Ein Teil des Skandals: Bis heute konnte sich der Berlin-Brandenburger Landesverband des LSVD nicht zu einer offiziellen Kritik oder einer Unterstützung der Forderungen an die Messe durchringen. Die Messe Berlin ist Mitglied des vom LSVD BB betreuten „Bündnis gegen Homophobie“. Wie die Malaysia-Geschichte zeigte, hat dieses ominöse Bündnis offensichtlich vor allem die Funktion, deren Mitglieder vor Homophobie-Vorwürfen zu schützen, hat also die Funktion einer Pinkwashing-Agentur übernommen, die sich mit Geldern, die eigentlich für die Community gedacht waren, gegen diese wendet. (Hier der Zusammenhang: „Bündnis gegen Homophobie“: Wie der Berliner LSVD gegen die eigene Community kämpft.)

Doch zurück zur ITB. Bürgermeisterin Pop blieb schließlich der Messe fern und setze später im Senat einen „Code of Conduct“ durch, zu dem gehört, dass in Partnerland-Bewerbern für die ITB ab dem Jahr 2022 Reisende weder wegen ihres Geschlechts, ihrer Religion, ihrer sexuellen Orientierung noch ihrer Herkunft diskriminiert werden dürfen.

Die taz schrieb:

Im Nachhinein wirkt es so, als hätten es alle schon immer gewollt: Die Neuerung, Partnerländer der Internationalen Tourismus-Börse ITB in Zukunft durch einen „Code of Conduct“ an Menschenrechte zu binden, stößt bei PolitikerInnen und in der Community auf Zustimmung.

Ich kritisiere im gleichen taz-Beitrag aber auch, dass es nicht ausreichend ist, wenn es bei der Formulierung bleiben sollte, nach der nur „Reisende“ und nicht „Menschen“ vor Diskriminierung geschützt werden sollen: „Das wäre eine Hierarchisierung der Menschenrechte.“

Der Messe geht der „Code of Conduct“ allerdings zu weit. In einem Interview mit der Berliner Morgenpost (für das er wegen seiner „dreisten Heuchelei“ von queer.de die „Homo-Gurke“ verliehen wurde“) behauptet Göke jetzt, dass die Messe durch ihr Verhalten viel mehr für die Menschenrechte erreichen könne, als dies die Vorgabe des Senates vermöge:

Die eigentliche Frage ist doch, was ändert die Situation beispielsweise für Homo­sexuelle in Malaysia am meisten. Und da glaube ich, dass unser Ansatz, den wir bereits seit Jahren verfolgen, der richtige ist. Was wir als Messegesellschaft tun, ist, diese Themen in die Öffentlichkeit zu bringen. Wir sorgen für eine Diskussionsplattform, über die Druck ausgeübt werden kann in Richtung einer Veränderung in den jeweiligen Ländern. Deswegen bin ich davon überzeugt, dass wir mit unserem Ansatz viel mehr für die Rechte Homosexueller in Malaysia getan haben, als es ein Code of Conduct erreicht hätte.

Diese Behauptung ist zumindest grob irreführend. Denn die Messe hatte sich ganz offensichtlich zunächst strikt geweigert, das Thema Menschenrechte in Bezug auf Malaysia selbst zu thematisieren und hat dies dann auch erst nach dem großen medialen Druck getan. Als Bürgermeisterin Pop eine Art Forum vorgeschlagen hatte, „in dem Menschenrechtler, queere Gruppen und Vertreter aus Malaysia auf der ITB über die Lage Homosexueller im Land sprechen“, wehrte sich die Messe dagegen vehement. Der RBB schrieb dazu

(…) auch dem erteilt die Messe Berlin eine Absage: „Das wäre ein zu politisches Thema, was wir so auf der ITB einfach nicht diskutieren werden. Im Rahmen des ITB-Kongresses findet am ITB-Freitag allerdings ein LSBT-Seminar statt, bei dem es um Menschenrechte im Tourismus geht“, so Rika Jean-François.

Die Messe wollte also Vertretern Malaysias auf jeden Fall, anders als von Göke suggeriert, Menschenrechtsvorwürfe ersparen, und hatte gehofft, damit durchzukommen, an anderer Stelle das Thema allgemein zu behandeln. Dass auf der Messe dann trotzdem in einer Diskussionsveranstaltung über Malaysia gesprochen werden musste, hat offensichtlich mit dem aufgebauten Druck zu tun und u.a. auch damit, dass LSVD-Bundesvorstandsmitglied Helmut Metzner LGBTBI-VertreterInnen einlud, die dann aus dem Publikum zu Wort kommen konnten.

Auch mit einer anderen Behauptung möchte die Messe ganz offensichtlich einen irreführenden Eindruck erwecken. Göke behauptet im Morgenpost-Interview

Wir versuchen überall dort, wo wir das Gefühl haben, es müsste sich etwas ändern, Themen so zu setzen, dass sich etwas verändert. Das allerdings funktioniert viel besser subtil als mit der großen Glocke.

Und seine Pressestelle schrieb mir aufgrund meiner Anfrage im September 2018:

Wir sind im konstanten Austausch mit den Repräsentanten des jeweiligen Partnerlandes. Beschäftigt sich die Öffentlichkeit bzw. die Medien mit Themen wie Diskriminierung oder Verfolgung von Minderheiten, sprechen wir dies selbstverständlich im Dialog an.

Auf der öffentlich Diskussionsveranstaltung auf der ITB zum Thema Menschenrechte hatte ich nachgefragt, wie denn dieser „Dialog“ zu den Homophobievorwürfen im Fall von Malaysia genau ausgesehen hatte. Die Antwort: Man habe die malaysischen Partner lediglich darauf vorbereitet, dass solche Vorwürfe auftauchen könnten. Der „Dialog“ war also eher eine Art Pinkwashing-Beratung gewesen. Es wurde eben kein Druck aufgebaut, sondern vor diesem gewarnt.

Obwohl das Thema ja in Berlin mittlerweile hochgekocht war: Auch einen „Dialog“ mit dem offiziellen Regierungs-Vertreter Malaysias auf der Messe, dem Tourismusminister, zum Thema Homo-Rechte habe es nicht gegeben. Für ein Gespräch über Menschenrechte sei keine Zeit gewesen.

Der Chef der Berliner Messe, der behauptet, „subtil“ sich für Menschenrechte zu engagieren, macht genau das Gegenteil: „Subtil“ unterstützt er gegen Geld Homo-Folterstaaten in ihrer PR, Homosexuellen-Folter bloß ein „politische Thema“ zu sehen, zu dem man sich so oder so verhalten könne. Er schwächt damit die Kräfte, die in diesen Ländern für Verbesserung kämpfen, da er den Machthabern eine Lösung anbietet, die Menschenrechtsfragen nicht angehen zu müssen, und sich gleichzeitig aber trotzdem als „Partnerland“ der Messe einer Stadt zu promoten, die sich als „Regenbogenhauptstadt“ generiert.

Böke sagt:

„Fangen wir an Länder, Aussteller oder Besucher moralischen Wertungen zu unterwerfen, müssten wir unser Geschäft einstellen.“

Die Frage, ob Folter von Homosexuellen okay ist, ist also eine moralische Frage und keine Frage der Menschenrechte? Ernsthaft?

Ganz abgesehen davon, dass Göke auch hier wieder eine Nebelkerze wirft: In dieser Diskussion hatte niemand von der Messe verlangt, „Länder, Aussteller oder Besucher“ nach Menschenrechtsfragen auszuwählen (es ging immer um den privilegierten „Partnerstatus“ bzw. darum, ob es problematisch ist, einen eigenen ITB-Ableger in Singapur zu etablieren.

Doch so schlimm es auch ist, dass ausgerechnet die Messe Berlin ihre Möglichkeiten nicht nutzen möchte, zumindest mit Instrumenten wie dem Partnerstatus die Verbesserung von Menschenrechten auszuzeichnen statt gegen Geld diejenigen in den Vordergrund zu rücken, die von der Verschlimmerung ablenken wollen:

Noch schlimmer als sich faktisch für die Relativierung von Homosexuellenrechten bezahlen zu lassen, ist es, der Öffentlichkeit weismachen zu wollen, man mache genau das Gegenteil.

Der Chef der mächtigsten Tourismus-Messe wird damit nicht nur zum Problem für die Unversehrtheit von Homosexuellen auf der ganzen Welt. Er ist auch ein Problem für die Messe Berlin, deren Partnerstatus ein Gütezeichen sein sollte und kein Zeichen von Korrumpierbarkeit.


Zum Überblick hier eine Zusammenstellung aller Blogbeiträge zum Malaysia-Skandal.


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