Die Süddeutsche Zeitung fragt die Programmdirektorin des Senders Antenne Bayern, der den wunderbaren Sarah-Connor-Song „Vincent“ angeblich wegen der ersten Textzeile („Vincent kriegt keinen hoch, wenn er an Mädchen denkt“) nicht spielen möchte:
Frau Tenz, was stört Sie an der ersten Zeile von „Vincent“?
Ina Tenz: Als erwachsene Frau gar nichts, aber als Mutter. Ich habe einen neunjährigen Sohn, und wenn er diesen Song im Radio hören und mich dann fragen würde, was diese erste Zeile bedeutet, dann möchte ich mit meinem Sohn nicht im Auto irgendwo auf dem Weg von der Schule zum Gitarrenunterricht über dieses Thema sprechen. Dazu möchte ich nicht gezwungen werden, nur weil eine Sängerin meint, zu dieser Wortwahl greifen zu müssen, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen. Das hätte der Song auch ohne den ersten Satz geschafft.
Ich habe Frau Tenz einen offenen Brief geschrieben. Sie ist nicht die einzige, die das Problem um diesen Song verkörpert. Aber niemand verkörpert das Problem so sehr wie sie.
Sehr geehrte Frau Tenz,
es gibt viele Gründe dafür, warum in Deutschland Coming-out immer noch so ein großes Problem ist, warum die „Schwule Sau“ das beliebteste Schimpfwort an Deutschen Schulen ist, warum sich queere Jugendliche sich immer noch um ein vielfaches häufiger das Leben nehmen als ihre heterosexuelle AltersgenossInnen. Es gibt kulturelle Gründe, strukturelle Gründe. Es gibt aber einfach auch Menschen, die versagen, wenn es darauf ankommt. Menschen, die Täter sind, weil sie Nettes sagen und Schlimmes tun. Aus Absicht, oder auch nur Bequemlichkeit, Inkompetenz oder Ignoranz. Keine Ahnung, warum sie es tun. Aber sie tun es. Zu diesen TäterInnen gehören auch Sie. Und trotzdem: Den Song nicht zu spielen, ist Ihr gutes Recht. Aber Ihre Begründung dazu ist infam.
Es ist ja nicht so, dass es Tausende von solchen Songs gäbe, die in der Lage sind, wirklich etwas zu verändern, die wirklich eine Sprache gefunden haben, die so klug, so gut und trotzdem so sehr Hit sind, dass sie ins Herz und in den Verstand treffen. Genau genommen ist es nur dieser eine Song, der es geschafft hat, nachdem quasi die komplette Deutsche Popindustrie (und dazu gehören auch Sie) versagt hat, queere Lebenswirklichkeit einzufangen und mit ihrem Mittel pop, also populär zu machen. Es ist dieser eine Song, der dabei ist, das zu schaffen, was so wichtig ist. Und dann kommen Menschen wie Sie.
Sorry, aber wenn Sie die Sorte Mensch sind, deren große Sorge darin besteht, Ihr Sohn könnte Sie auf dem Weg darauf ansprechen, was es bedeutet „einen hoch zu bekommen“, dann sind Sie so ziemlich der falscheste Mensch, der bei einem Pop-Sender Verantwortung tragen dürfen sollte. Pop-Musik ist groß geworden durch Reibung, durch das Infragestellen gesellschaftlicher Rollen und Verhältnisse. Wenn sie sie diese Reibung nicht aushalten können, ja sie Ihnen sogar an der Stelle schon zu viel ist, wo Ihr Sohn Sie irgendwas mit Sexualität fragen könnte, dann machen Sie doch bitte ganz schnell etwas ganz anders, aber bitte lassen Sie Ihre Finger weg von Pop-Musik.
Sie tun so, als ob Sie einen Song über Homosexualität problematisieren. In Wahrheit problematisieren sie Homosexualität.
Wie groß Ihre Verlogenheit ist, zeigt Ihr Umgang mit Pop da, wo er wirklich problematisch ist, also dazu benutzt wird, gegen Minderheiten zu hetzen. Ja vielleicht ist es wirklich zu viel verlangt, wenn Ihr Gute-Laune-Sender eine eigene kritische Position zu Homohassern wie Andreas Gabalier zu entwickelt.
Und natürlich ist es völlig okay, auch seine Songs zu spielen. Aber kommen Sie sich nicht selber komisch vor, wenn Sie kein Problem damit haben, ihrem Sohn den Connor-Titel vorzuenthalten, jemandem wie Gabalier aber gleichzeitig auf ihrer Sender-Homepage völlig kritikfrei bescheinigen „einfach ein guter Typ“ zu sein? Ausgerechnet Gabalier, der u.a. fordert, Homosexuelle sollten sich öffentlich zurückhalten? Das ist für Sie und Ihren Sender also nicht nur kein Problem, nein so jemand ist sogar ein einfach guter Typ, ein „ultrasympathischer Steirer Bua“ , für den Sie sogar hemmungslos Werbung machen?
„Ich bin hier als Programmdirektorin verantwortlich dafür, welches Bild wir abgeben. Wir wollen diese Textzeile in unserem Programm nicht senden, weil unsere Zielgruppe vor allem junge Erwachsene und Familien sind“ (aus dem Interview mit der Süddeustchen Zeitung).
So etwas sagen sie nicht zu Gabalier, sondern zum Sarah-Connor-Song?
Kann es sein, dass Sie Ihren Sohn da gerade richtig mies missbrauchen, ihn da gerade in etwas reinziehen, was in Wirklichkeit gar nichts mit Verantwortung zu Ihrem Sohn (oder Familien) hat? Sondern einfach damit, dass sie als kommerzieller Sender einfach keinlei Verstörung mit ihrer werbemäßig definierten Zielgruppen riskieren möchten?
Nach einer Untersuchung von Prof. Klocke aus dem jahr 2012 liegt die Wahrscheinlichkeit, dass Ihr Sohn innerhalb der letzten 12 Monate mitbekommen hat, wie mindestens ein Mitschüler oder eine Mitschülerin das Wort „schwul“ oder „Schwuchtel“ als Schimpfwort benutzt hat, bei 83 Prozent.
Dass diese Zahl wohl immer noch so hoch ist, sagt viel darüber aus, wie wenig unsere Gesellschaft in der Lage ist, gegen unterschwellige Homophobie, das Mobbing gegen homosexuelle Jugendliche und die geringen Selbstwertgefühle, die gerade junge Homosexuelle haben, auszurichten.
Ist Ihnen das wirklich egal? Als Mutter, als Verantwortliche eines Senders, der sich an Familien richtet?
In der Abwägung, was ein solcher Song mit Kindern wie ihrem Sohn bewirken könnte, siegt tatsächlich, die Gefahr, dass er sie darauf ansprechen könnte, was diese eine Textzeile zu bedeuten hat?
Und überhaupt: Worin liegt das Problem? Wie kommen Sie darauf, dass man diese Textzeile von diesem Song, wie kommen Sie darauf, dass man diesen Song von dieser Textzeile so einfach trennen könnte?
„Vincent kriegt keinen hoch, wenn er an Mädchen denkt“:
Von all den Zuschreibungen, Umschreibungen und Beschreibungen von Homosexuellen und Homosexualität, die gerade in der Öffentlichkeit (auch der ihres Sohnes) wahrnehmbar sind, ist dieses eines der schönsten, besten und auch unproblematischsten, un-sexistischsten und Kinder- ungefährdetsten .
In welcher verkommenen Welt leben Sie, dass Sie das nicht mitbekommen, oder: In der ihnen das so egal ist? ♦
Hier gehts weiter zum Folgeartikel: Jogi Löw als „Schwabentucke“: Die homophobe Vorgeschichte der „Vincent“-Boykottiererin Ina Tenz von Antenne Bayern
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Nachtrag:
Ina Tenz hat die Vorwürfe zurückgewiesen und wirft dem Nollendorfblog „Falschbehauptungen“ vor.
Mehr zur Homophobie von Andreas Gabalier in diesem Blog.
Mehr zum Thema im Blog:
Anderssein und Popkultur: Wenn alle das gleiche Lied singen
Coming-out: Liebe Eltern, gebt Euch einen Ruck!
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