Alternative Fakten und Verschwörungsfimmel: Die Geburt der Annegret Trump-Karrenbauer

Nach ihrem Karnevalswitz über intersexuelle Menschen und dem Angriff auf ihre Kritiker am Aschermittwoch sind die Beliebtheitswerte der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer laut ZDF-Politbarometer eingebrochen. Die Deutschen halten sie nun mehrheitlich als Kanzlerin ungeeignet.

Das Interessante an dieser Befragung ist, dass nach vorherige Umfragen (hier u.a. bei RTL) die überwältigende Mehrheit der Befragten der Meinung war, dass sich AKK nicht für diesen Witz entschuldigen müsse. Es gibt also offensichtlich ein differenziertes Meinungsbild in dieser Sache: Die Deutschen finden den Witz als solchen nicht so schlimm, sind aber offenbar trotzdem darüber irritiert, dass eine voraussichtliche Bewerberin um das Kanzleramt es so sehr nötig hat, ihr Profil dadurch zu stärken, indem sie nach unten tritt.

Die Affaire um den Witz bedeutet offensichtlich eine Zäsur in der öffentlichn Beurteilung Kramp-Karrenbauers, auch da sie einen grundsätzlichen Unterschied zu Merkel deutlich gemacht hat.

Im SPIEGEL schrieb Dirk Kurbjuweit :

Es sind nicht viele Worte, aber sie stoßen die CDU ein Stück weiter aus der liberalen Mitte, in die Merkel eingedrungen war. Und da sich Annegret Kramp-Karrenbauer alles genau überlegt hat, wird sie das so wollen.

Damit wird der Karneval 2019, etwas überraschend, zu einem wichtigen Datum der deutschen Politik.

Es ist aber nicht nur die inhaltliche Grenzverschiebung, die den AKK-Witz und seine Rechtfertigung zu einem wichtigen Datum machen. Mindestens ebenso beachtlich ist die rhetorische: AKK hat erstmalig den gesamten rechtspopulistischen Werkzeugkasten genutzt. Sie hat quasi ihr „Donald-Trump-Diplom“ bestanden. Es ist die Geburtsstunde der Annegret Trump-Karrenbauer.

Um aufzuzeigen, wie mustergültig sich ihre Wandlung zur Rechtspopulistin vollzieht, habe ich hier die wichtigsten Kriterien zusammengetragen. Es sind sechs (weitere) Gründe, warum diese Frau nie Bundeskanzlerin werden darf:

1.: Feuer löschen, die mal selbst gelegt hat.

AKK ATK beschwert sich über die riesige Aufregung, die ihr Witz entfacht hat. Dabei hatte sie es in der Hand, diese frühzeitig zu beenden. Denn wenn sie darauf besteht, überhaupt keinen Witz über intersexuelle Menschen gemacht haben zu wollen, hätte sie dies ja umgehend klarstellen können. Wollte sie aber nicht. Sie wollte diese Aufregung, und sie wollte sie riesengroß, um sich dann über die Aufregung und ihr Ausmaß echauffieren zu können. Wenn diese Aufregung ihrer Meinung nach Schaden angerichtet hat, dann wollte sie diesen Schaden. AKK ATK ist also eine politische Pyromanin, nicht nur eine Brandstifterin, sondern eine, die es möglichst lange brennen lässt.

2.: Dinge bestreiten, die jeder gesehen hat

Populisten werden nicht dafür gefeiert, wie gut sie die Wahrheit erklären können. Populisten werden dafür gefeiert, wie egal ihnen die Wahrheit ist. Trump schadet es nicht, dauernd zu behaupten, Dinge nicht gesagt zu haben, von denen jeder gesehen hat, dass er sie gesagt hat.

Im Gegenteil: Wahre Stärke, wahre Verehrung durch ihre Anhänger erwerben sich die Rechtspopulisten durch das Aufzeigen, wie immun sie gegen die Wahrheit sind. Stolz führen sie vor, wie sehr sie sich trauen, einfach zu erzählen, dass das, was alle gesehen haben, gar nicht stattgefunden hat. Egal ob das Narrativ des Witzes – wie sie behauptet -gegen Mäner ging: Jeder hatte gesehen, dass die eigentliche Pointe, das, was sie lächerlich gemacht hat, ganz eindeutig gegen das „dritte Geschlecht“ ausgerichtet war. Und es war ja eben nicht so, dass nur ihre Gegner sie genau so verstanden hatten. Auch fast alle ihre Unterstützer, also alle, die sie für diesen Witz verteidigt hatten, verteidigten sie dafür, dass es möglich sein müsse, einen Witz gegen das „dritte Geschlecht“ machen zu dürfen.

3. Alternative Fakten nachplappern

So wie Trump sich nicht zu schade ist, irgendwelchen Unsinn nachzuplappern, den er bei FOX-News gesehen hat, so macht es AKK AKT mit dem deutschen faktenresistenten Equivalent, der BILD-Zeitung. Diese hatte über die Karnevalstage so getan, als würden nun in Deutschland erstmalig Indianerkostüme verboten, was ernsthaft niemand gefordert hatte, und trotzdem erst von BILD und dann von AKK ATK einfach mal so behauptet wurde. Sie schafft also eine größtmögliche Empörung um etwas, was quasi nicht stattgefunden hat. Um dann über die Empörung zu empören, die sie selber angezettelt hat.

4. Mehr Sexismus wagen!

Eigentlich ist es ja so: Wenn ein Typ einer Frau einfach so in den Schritt greift, dann ist das nicht nur eine enorme sexistische Grenzüberschreitung, sondern auch ganz schön eklig und verkrampft. Doch in der Populismus-Sexismus-Logik funktioniert das genau andersherum: Nicht der übergriffige Täter ist verkrampft, sondern das Opfer, das sich wehrt. Im Beispiel die Frau, die sich gegen den Typen stellt. In der trumpschen AKK ATK-Logik, die von ihr angegriffene Minderheit und alle, die Empathie mit ihr empfinden. Trump sagt: Was habt ihr denn, war doch nur Locker-Room-Talk! Seine deutsche Schülerin sagt: „Heute sind wir das verkrampfteste Volk der Welt“. Well done, Annegret!

4. „Haben wir keine wirklichen Probleme?“

Natürlich hat niemand, der AKK für diesen Witz kritisiert hat, behauptet, dass es keine wichtigeren Probleme in diesem Land gibt. Dass sie trotzdem so tut, als sei dem so, zeigt, wie selbstverständlich sie mittlerweile im Basisgerede der Rechtpopulisten zu Hause ist: Whataboutism ohne rot zu werden.

5. Ohne Verschwörung geht nichts

Ob AKKs ATKs Leute wirklich an eine Verschwörung glauben, ist rätselhaft und nur schwer zu glauben. Aber offensichtlich gaben sie sich alle Mühe, eine in die Welt zu setzen. Der SPIEGEL jedenfalls ist darauf angesprungen:

Dann kam der Shitstorm, und Kramp-Karrenbauer war überrascht, dass aus einem so kleinen Witz eine so große Sache werden kann. Hätte sie aber ahnen können, wenn sie die Debatten der vergangenen Jahre zu diesem Thema verfolgt hätte, gerade im Internet.

Ihre Leute haben dann mal dort nachgeschaut, wie der Shitstorm entstanden ist, und hatten den Eindruck, hier hätten Aktivisten eine Welle ausgelöst, die geschickt gesteuert wurde und deshalb wuchs und wuchs. Kramp-Karrenbauers Leute fanden aber auch Wellenbrecher, vor allem von der CDU-Basis, die sich gegen den Shitstorm und vor die Parteichefin stellten. Und vor diesem Hintergrund hat Kramp-Karrenbauer sich entschieden.

Wer tatsächlich nachgeschaut hat, wie die ganze Sache losgegangen ist, kann unmöglich an einen Plan, eine „geschickte Steuerung“ glauben. Mein oft zitierter Facebook-Post ist ja noch online und wer nur auf die allerersten Kommentare schaut, der sieht, wie etwa der grüne Bundestagsabgeordnete Sven Lehmann bei mir nachfragt, wo dieser Witz stattgefunden hat. Lehmann hatte dann einen offenen Brief an AKK geschrieben, der (wie der Bericht auf queer.de) die „Welle“ wachsen ließ. Mit der Andeutung, es habe hier eine Absprache, eine Steuerung gegeben, suggeriert das Umfeld von AKK ATK auch, Lehmann hätte diese Frage nur vorgetäuscht.

Es ist nicht nur das homophobe Bild der konspirativen Homolobby, das AKKs ATKs Leute hier beschwören. Es ist vor allem die Behauptung, dass die Aufregung über diesen Witz nicht echt gewesen sein kann, dass sie nur zustande kam, weil es hier eine Verabredung, eine geheime Planung gegeben hat. Das unterstellt nebenbei nicht nur einem Bundestagsabgeordneten, sondern auch der Seite queer.de (die nach meinem Post den ersten Beitrag zum Thema verfasst hatte), sich vor den Karren von „Aktivisten“ spannen zu lassen. Es degradiert eine Newsseite zum Kampagnenmedium, was um so dreister ist, da der queer.de Bericht nüchtern und journalistisch sachlich über den Witz berichtet hatte ( „AKK macht sich über intergeschlechtliche Menschen lustig„).

Vor allem aber entwertet es den Protest der Opfer, also der intersexuellen Menschen, die sich über diese Äußerungen geschockt gezeigt hatten: Alles nur Kampagne. Alles nur Aktivistengeschreie.

Und damit zum letzten Punkt:

6: Minderheiten im Regen stehen lassen!

Trotz allem: Auch wenn sie sie nicht angegriffen haben will, Annegret Trump-Karrenbauer hätte sich vor die Minderheit stellen müssen, die sich durch ihren Witz getroffen gefühlt hat. Sie hätte sagen können, dass es nicht ihre Absicht war. Aber sie hätte zumindest zur Kenntnis nehmen müssen, dass es zu Verletzungen geführt hat, ganz egal, was ihr Anteil dabei gewesen ist.

Doch so etwas machen Rechtspopulisten eben nicht. Rechtspopulisten ist das nicht nur egal. Sie sind auch noch stolz darauf. Und ja: Donald Trump ist ein ganz anderes Kaliber. Um so schlimmer, dass die Vorsitzende der CDU sich ihn als Lehrmeister ausgesucht hat. Shame on you, Annegret Trump-Karrenbauer!

Hier der Ursprungsbeitrag zum Thema: Stoppt Kramp-Karrenbauer!

Hier eine Übersicht aller Beiträge zu Kramp-Karrenbauer


Bitte mach mit! Als unabhängiges und werbefreies Blog brauchen wir Deine Hilfe. Hier kannst Du uns auf Paypal unterstützen. Oder hier ein freiwilliges Unterstützerabo abschließen:


Mehr dazu: Das Nollendorfblog braucht Deine Unterstützung.


10 Jahre Nollendorfblog: Lasst uns feiern …

Die große Community-Gala im Tipi am Kanzleramt am 28. Mai 2019. U.a. mit Ralf König – Barrie Kosky – Katharina Franck – Klaus Lederer – Tessa Ganserer – Sigrid Grajek – Hendryk Ekdahl – Kerstin Polte – Ludique!  – Desiree Klaeukens – Alfonso Pantisano – Ryan Stecken …. sowie Daniel Philipp Witte und Ricardo Frenzel Baudisch mit Highlights aus der „Operette für zwei schwule Tenöre“. Am Flügel: Florian Ludewig – Special Guest: Martin Schulz (Änderungen möglich)

Tickets hier.