Die Schande. Eine Replik auf Henryk M. Broder

Außenminister Westerwelle nimmt seinen Partner nicht auf Staatsbesuche in Länder mit, in denen auf Homosexualität die Todesstrafe steht. Dass er das damit begründet, nicht unüberlegt handeln zu wollen, findet Henryk M. Broder eine Schande.

Broder hat recht, dass diese Entscheidung Westerwelles eine moralische Katastrophe ist. Ist diese jedoch dem Aussenminister vorzuwerfen? Oder entspricht sie nicht dem deutschen Interesse oder zumindest dem, was die meisten Deutschen (und auch die meisten Schwulen in Deutschland) dafür halten?

Broder meint, den Deutschen sei ziemlich egal, ob ein Politiker schwul ist. Was will er damit sagen? Dass den Deutschen auch der Kampf um die Selbstverständlichkeit schwuler Liebe im Zweifel wichtiger ist als die Wahrung anderer strategischen Interessen?

Es ist es naiv anzunehmen, dass die Tatsache, dass eine (angenommene) Mehrheit, glaubt, nichts gegen Schwule zu haben auch besagt, dass dem so ist. Man braucht gar nicht in die Umfragen (z.B die über die wachsenden Homo-Resentiments bei Jugendlichen) zu schauen. Ein kurzer Blick in die Kommentarspalten im Internet zeigt, dass sobald Homosexuelle wegen irgendetwas in der Kritik stehen, es fast ausschliesslich ihre Homosexualität ist, die die Menschen aufregt und nicht der Grund, warum sie eigentlich in die Kritik geraten sind. Solange Schwule den Erwartungen oder Wünschen der Gesellschaft entsprechen, werden sie weitgehend toleriert, spannend wird es aber, wenn die Erwartungen gebrochen werden.
Das Eis ist dünn, doch ausgerechnet mit diesem Eis sollen wir wir jetzt homofeindliche Diktaturen bewerfen. Nein, nicht wir, Westerwelle solls machen. Wir gucken dann am Fernseher zu, auch die, die der Meinung sind, ein Outing im Versicherungsbüro sei nun wirklich ein unzumutbares berufliches Risiko, werden dann den Daumen senken oder heben, wie sich das Aussenministerpaar geschlagen hat.

Um kein Zweifel aufkommen zu lassen: Die Zustände in diesen Ländern sind für Schwule unerträglich und dringend muss etwas passieren.

Aber nicht der Aussenminister ist das Problem sondern der bequeme Mainstream, der relativieren und nicht so genau hin gucken möchte (wozu Westerwelle übrigens auch vor seiner Wahl nie gehört hat).

Als im Iran 2005 zwei junge Schwule Männer nach Ansicht vieler Beobachter nur aufgrund ihrer Homosexualität gehängt wurden, nutzte die BILD-Zeitung den Abdruck des Bildes der beiden am Galgen nicht zum Protest gegen das Regime, sondern übernahm dessen offizielle Propaganda Sprachregelung: „Hier werden zwei Kinderschänder gehängt“.

Nur mal als Gedankenspiel: Wie würde eigentlich die BILD-Zeitung darauf reagieren wenn Klaus Wowereit darauf bestehen würde, zu einer Papst-Audienz seinen Partner mitzubringen? Würde sie den Papst auffordern, ein Zeichen zu setzten und in Zukunft auch andere schwule Politiker auffordern, bei solchen Terminen ihren Mann mitzubringen? Oder würde sie eher als Provokation empfinden, die dann doch etwas zu weit geht?

Als Papst Benedikt gewählt wurde, outete sich Broder als Papst Fan. Das änderte sich (zumindest öffentlich) auch nicht, als dieser erklärte, dass Homosexualität ein Angriff auf die Schöpfung sei. Man stelle sich mal die Aufregung vor, irgendjemand würde behaupten, das emanzipierte Leben von Schwarzen, Juden oder Moslems käme „einer Selbstzerstörung des Menschen und der Zerstörung von Gottes Werk selbst“ gleich! Bei den Schwulen geht das irgendwie durch. Da entschließt sich das „Wir sind Papst“- Land, den guten Mann dann doch nicht ganz ernst zu nehmen oder das Geasgte für nicht so schlimm.
Wie wollen wir fernen Diktatoren erklären, dass Schwule Rechte nicht relativierbar sind, wenn wir im eigenen Kulturkreis schon so rumeiern? Broder jedenfalls stellte sich erst gegen den Papst, als dieser plante, sich mit der Piusbruderschaft samt ihrem antisemitischen Bischof Williamson zu versöhnen. Dass die Piusbrüder gleichsam gegen Schwule hetzten, war übrigens kein besonders grosser Aufreger in diesem Zusammenhang.

Auch als die Bruderschaft im gleichen Jahr den CSD in Stuttgart als „Umzug der sexuellen Perversion“ bekämpfte, war die Protestwelle eher klein bis unsichtbar. Die Ergebnisse einer Untersuchung, wie viel Prozent der Deutschen dieser Beschreibung insgeheim zustimmt, möchte man lieber nicht lesen. Als Ministerpräsident Mappus für den Stuttgarter CSD 2010 um ein Grußwort der Landesregierung gebeten wurde, delegierte er es an seine Sozialministerin, die dann aber entschied, dies lieber sein zu lassen. Seit zehn Jahren gilt in Baden Würtemberg das Thema CSD-Grusswort als heisses Eisen. Sieht so die Entschlossenheit eines Landes aus, die ihren Aussenminister in einen Kulturkampf schicken möchte?

Als in Maybrit Illners Talkshow über die umstrittene Auswahlpraxis bei den Delegationsmitgliedern seiner Auslandsreisen diskutiert wurde, meinte Hans-Olaf Henkel, dass dies nicht das Problem sei. Sinngemäß orakelte er lieber darüber, dass es aus deutscher Sicht viel problematischer sei, wenn ein schwuler Außenminister in Kulturkreise reise, die eine andere Auffassung zur Homosexualität hätten. Zumindest dieser Teil seiner Ausführungen bleib weitgehend unwidersprochen.

Wenn Westerwelle schwule Rechte wirklich am iranischen Elberus verteidigen würde, stünde er dann nicht vielleicht ziemlich alleine da? Und was würde dieses Signal für den Kampf von Schwulen und Lesben weltweit bedeuten? Geht es Broder überhaupt um Schwule oder nicht doch eigentlich um etwas ganz anderes? Warum polemisiert er gegen Schwule, die sich gegen Homophobie im eigenen Land engagieren?

Auch wenn Homophobie in Deutschland zur Zeit nicht besonders chic ist, ist sie allgegenwärtig und verfehlt ihre subtile Wirkung nicht. Von dem von Broder beschriebenen Stolz darauf, dass wir in Deutschland einige schwule Spitzenpolitiker haben, kommt an den Schulen, an denen „Schwule Sau“ immer noch das beliebteste Schimpfwort ist, wenig an. Die Selbstmordrate unter Jugendlichen bei uns wird auf ein vielfach höheres geschätzt als bei heterosexuellen Altersgenossen. Nicht nur der Iran, auch unsere Gesellschaft hat ihre homosexuellen Todesopfer. Das zu bagatellisieren macht es noch schlimmer. Es ist eine Schande!

3 Gedanken zu „Die Schande. Eine Replik auf Henryk M. Broder

  1. Dass es eine Diskrepanz zwischen offizieller und medialer/gesellschaftlicher Meinung zur LGBT Community gibt, ist klar. Es geht bei Broder jetzt um die deutsche „gesellschaftspolitische Staatsraison“, nicht um irgendwelche inneren Widersprüche in der deutschen Gesellschaft. Und da hat er uneingeschränkt Recht, wenn er fordert, dass Deutschland sich offiziell zu Menschenrechten bekennt, indem er Mängel konkret und fühlbar aufdeckt.

    Ich hab den Artikel bei Facebook verlinkt mit dem Zitat: ‎“Am Anfang einer solchen Überlegung steht der Wunsch, dem Frieden zuliebe nicht zu provozieren, am Ende die Selbstaufgabe.“ Ich finde das trifft es sehr gut und zeigt, dass er das Paradoxon der Toleranz verstanden hat. Ein toleranter Mensch müsste tolerieren, dass ein anderer Mensch seine Lebensweise nicht toleriert, dass er intolerant ist. Dieses Verhalten führt aber zu seiner eigenen Auslöschung, Intoleranz kann nicht Schnitt- oder Teilmenge der Toleranz sein.

    Westerwelle war strategisch dumm nicht zu sagen: „Der Kinkel hatte seine Alte auch (fast) nie bei Auslandsreisen dabei. Und der Steinmeier auch nicht.“ Stattdessen führt er Empfindlichkeiten von Mördern an, auf die er gerne Rücksicht nehmen will.

    Abschließend finde ich es wichtig, dass der Staat eine „Leitkultur der Menschenrechte“ (ungefähr so wie sie derzeit in der EU/BRD verfasst sind) vorgibt, auch wenn sie nicht von der Mehrheit getragen wird. Sich anderen Strömungen zu ergeben mit dem Argument, dass es so nicht in der Gesellschaft gelebt wird, gleicht einer Kapitulation vor Borniertheit und Angst der Menschen.

  2. Da zeigt sich leider das wahre spießige Gesicht des so liberalen Guidos..aber was aill amn auch von einem Karierepolitker aus dem kleinen Bonn anders erwarten..Seine Bemerkungen sind gerade als schwuler Aßenmenister vollkommen inakzeptabel da gerade diese Position auch zu einer Sicht unseres Freiheitsdenkens in Deutschland….verhindert…und Rücksicht auf Diktatoren ermuntert weiter schwule umzubringen…..Er sollte von seinem Posten zurücktreten da nicht mehr akzeptabel..

  3. Man darf nicht den „Kampf um die Selbstverständlichkeit schwuler Liebe“ aufwiegen gegen „die Wahrung anderer strategischen Interessen“. Das eine betrifft unsere Identität als freiheitlicher Staat, das andere (kleinliche) Tagespolitik.
    Patria o muerte!

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