Im Rahmen der weltweiten Aktion „Global Kiss-in. To russia with love“, die in 54 Städten auf sechs Kontinenten geplant war, gab es heute auch vor der Russischen Botschaft in Berlin eine kurze Kundgebung.
Aufgrund einiger Nachfragen hier die von diesem Blog entwickelte Rede, die von Gloria Viagra vorgetragen wurde.
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Wenn jemand einen Krieg beginnt gegen ein Land, ein Volk oder eine Bevölkerungsgruppe, dann beginnt dieser Krieg immer damit, dass dieser jemand dieses Land, dieses Volk oder diese Bevölkerungsgruppe als etwas beschreibt, vor dem man sich schützen müsse.
Ein Krieg beginnt damit, dass andere Menschen nur noch Gruppe und keine Individuen mehr sind, dass man sie abgewertet, sie zu einer Bedrohung erklärt.
Ein Krieg beginnt damit, dass sich Menschen stark fühlen dürfen. Weil andere Menschen klein gemacht werden. Ein Krieg beginnt in den Köpfen. Mit dem Hass der einen. Und der Angst der anderen.
Nach all dem, was wir über die Geschehnisse in Russland mitbekommen, muss man deutlich sagen: Seit einigen Monaten befinden sich Lesben, Schwule, Bi-, Trans- und Intersexuelle in Russland – in einer Art Kriegszustand.
Wir fühlen uns ohnmächtig. Wir spüren, dass wir etwas tun müssen. Irgendetwas, aber wir wissen nicht, was. Aber auch wenn es naiv klingt: Bei all unserer Machtlosigkeit wissen wir, dass es langfristig nur eine Lösung gibt. Es gibt nur eine Waffe gegen Krieg und Hass. Und diese Waffe ist die Liebe!
Imagine! John Lennon hat gesungen: You may say, I´m a dreamer /Du denkst vielleicht, ich bin ein Träumer. But I´m not the only one / Aber ich bin nicht alleine! Wir sind nicht alleine!:Überall auf der ganzen Welt, in New York, in Buenos Aires und in Südafrika setzen Menschen heute gemeinsam ein friedliches Zeichen für Menschenrechte.
Wir sind eine weltweite „Army of Lovers“! Ein internationales „Peace-Corps“! Wir stehen zusammen gegen die Verachtung von Menschen, gegen Menschen, die nichts anderes machen, als das zu sein, wer sie sind! Wer Lesben und Schwule in Russland angreift, greift Lesben und Schwule auf der ganzen Welt – greift die Grundfeste der Menschlichkeit an.
John Lennon und Yoko Ono haben 1969 als Protest gegen den Vietnamkrieg das sogenannte „Bed In“ als friedliche Protestform etabliert. Und in diesem Sinne der Hoffnung , des Glaubens an das Gute im Menschen stehen wir heute hier vor dieser Botschaft!. Wir rufen den Mitarbeitern in dieser Botschaft, wir rufen der russischen Regierung und den Menschen in ganz Russland zu: Auch wenn es Euch gerade schwer fällt, auch wenn ihr jetzt nicht verstehen könnt, dass Lesben und Schwule genauso fühlen wie ihr: Es ist gar nicht so schwer: All you need is love! Traut Euch!: Give Peace an chance!
Wir stehen heute hier mitten in Berlin. Nur wenige hundert Meter, nur wenige U-Bahnstationen entfernt, wurde vor weniger als 80 Jahren ein Erlass veröffentlicht, der die Bekämpfung Homosexuelle als „Volksseuche“ im Visier hatte. Die Begründung von damals gleicht der von heute: „Homosexuelle Betätigung“ ist eine der größten Gefahren für die Jugend.
Nein, man darf die Situation in Russland nicht mit der im nationalsozialistischen Deutschland vergleichen. Aber wir müssen ganz klar sagen: Wehret den Anfängen! Die Geschichte von Berlin zeigt: es liegt nur ein kleiner Schritt zwischen Ausgrenzung und Gewalt. Es ist kein Zufall, dass das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen genau das abbildet, warum wir heute hier sind: küssende Männer und zwei küssende Frauen unter freiem Himmel. Dieses Denkmal in Berlin ist ein Mahnmal, eine Warnung an uns alle. Und deswegen mahnen und warnen wir hier vor der russischen Botschaft:
Wer Küsse kriminalisiert, der bläst zur Jagd auf Menschen! Wer Liebe Propaganda nennt, der propagiert den Hass.
Hier aus Berlin rufen wir: Nie wieder Krieg heisst auch nie wieder Verfolgung von Lesben-, Schwulen, bi- inter- und transsexuellen Menschen. Nie wieder! Nicht in Russland. Nicht im Iran! Nicht in Uganda oder einem der anderen über 60 Ländern, in denen es Gesetze gegen gleichgeschlechtliche Liebe gibt.
Aber wir richten uns auch an die Bevölkerung hier in Deutschland. Die meisten Menschen in unserem Land sagen, dass sie für gleiche Rechte für Lesben und Schwulen sind. Dass ist ein grosser Fortschritt. In den vergangenen Jahren wurde viel erreicht. Aber wir dürfen uns nichts vormachen. Denn: Was bedeutet das im Alltag? Wie belastbar ist der Goodwill gegen Lesben und Schwule, wenn sie sich genau so verhalten, wie die Heteros es tun?
Wir alle kennen das: „Nein! Nein! Ich habe nichts gegen Lesben, nichts gegen Schwule. Wirklich nicht! Aber muss das unbedingt sein? Muss das unbedingt sein, müsst ihr Euch denn wirklich so benehmen – in der Öffentlichkeit? Könnt Ihr Euch nicht zuhause küssen?
Die Antwort heisst – besser kann man es nicht sagen, Ihr erinnert Euch: Casablaca/“As time goes by „- :
You must remember this: A kiss is just a kiss!
Ein Kuss ist nur ein Kuss! Egal, ob von Heteros, Homos, Bi- und Transsexuellen. Wir wollen keine Sonderrechte. Wir sind keine Exhibitionisten ( zumindest nicht mehr als die Heteros!), wir wollen mit unserer Sexualität, mit unserer Liebe, unserer Zärtlichkeit nicht provozieren. Alles, was wir wollen, sind gleiche Maßstäbe für alle.
Genau darum geht es, genau darum ist der öffentliche Kuss als ein Zeichen so wichtig: So lange in einer vergleichbaren Situation – und nur darum geht es – solange in einer vergleichbaren Situation Heteros beim Küssen, beim zärtlichen Berühren, bei einer öffentlichen Umarmung an die Liebe und Homos an die Angst denken, stimmt etwas nicht. Solange sich Lesben, Schwule, Bi- Trans und Intersexuelle für das rechtfertigen müssen, was für Heteros normal ist, kann eine Gesellschaft nicht gesund sein. Auch diese nicht.
Es führt kein Weg daran vorbei:
Die Menschen werden sich an öffentliche Küsse zwischen Männern und zwischen Frauen gewöhnen müssen. Wir können es ihnen nicht ersparen! So wie sich Hetero-Männer vor hundert Jahren daran gewöhnen mussten, dass Frauen auf einmal wählen durften! Und heute daran, dass ihr Vorgesetzter im Büro eine Frau ist. So wie die in Weißen in Amerika damit klar kommen mussten, dass die Schwarzen im Bus auf einmal vorne sitzen durften. Und einer von ihnen sogar Präsident.
Wir wissen: Emanzipation und der Fortschritt zu mehr Gerechtigkeit ist für viele Menschen auch eine Zumutung. Weil sie Abschied nehmen müssen von alten Gewohnheiten und Glaubenssätzen. Und das ist schwer!
Liebe Heteros überall auf der Welt, hier in Deutschland, aber auch in Russland: Wir Lesben-, Schwulen, Bi-, Inter- und Transsexuelle, wir wissen das.
Wir alle mussten einen Weg gehen, um das zu sein, was wir sind. Die Gleichberechtigung Homosexueller auf der ganzen Welt ist kein Modetrend. Sondern eine der Selbstverständlichkeiten, auf die man in 50 Jahren schauen wird und sich wundern wird, dass wir heute hier so dafür kämpfen mussten. Gehen Sie diesen Weg mit uns! Es lohnt sich. Liebe macht stark! Sie ist stärker als die Gewalt.
Haben Sie keine Angst vor einem Kuss. Und machen Sie denen keine Angst, die sich küssen!
Vielen Leuten gefällt ein Regenbogen, doch für uns bedeutet er mehr, es geht um Menschenrechte überall auf der Welt, auch tagtäglich selbst in einer Großstadt wie Berlin geht es um Aktzeptantanz, Annerkennung, Frieden, Harmonie, Respekt, Wertschätzung und noch vieles mehr. Wir zusammen können Zeichen setzten, meine Hetero Bekannten-innen erzählen mir das nichts zu ihnen ankommt sie aktzeptieren mich so wie ich bin. Doch sooft wurde ich schon beschimpft und ins lächerliche gezogen. Ja Worte und Handlungen tun weh, doch ich werde mich so lange ich kann für Menschenrechte einsetzten, denn reden hilft keinem weiter doch wir die community zeigen Gesicht. Dankeschön an alle.
Lieber Johannes, ganz großen Dank für die brillante Rede! Dir ist etwas gelungen, was unglaublich schwer ist und deshalb auch den besten Aktivisten häufig nicht gelingt: Du hast die Homo-Hasser dort abgeholt, wo sie stehen … sie dann aber gedanklich und unglaublich überzeugend weggeführt von ihren eigenen Ängsten, Aversionen, ihrem Hass! Danke!